Fotografie

Behind the label

I'm not a refugee
Photo: TPC
d'Lëtzebuerger Land du 07.04.2017

Die Notwendigkeit, die Repräsentation von Geflüchteten zu hinterfragen, hat sich in der Kunst- und Medienwelt inzwischen herumgesprochen. Im Oktober 2015 veröffentlichte die australische Vereinigung Refugees, Survivors and Ex-Detainees unter dem Motto „Nothing about us without us“ eine vielzitierte Liste von zehn Grundsätzen für Künstler, die in Geflüchteten „a resource to feed into your next artistic project“ sehen könnten. Man solle sich beispielsweise den Unterschied zwischen Präsentation und Repräsentation vergegenwärtigen, Geflüchtete nicht auf ein Problem reduzieren (cf. „Flüchtlingsproblematik“).

Gerade einem solchen „Label“ stellt sich das europaweite Projekt I’m not a refugee entgegen, das in Luxemburg unter der Initiative von Frédérique Buck, Mitbegründerin des Oppent Haus-Projekts, einen Ableger gefunden hat. Gestartet ist das Projekt als Web- und Facebookseite, auf denen die Personen in Fotografien porträtiert und auf Basis von Interviews vorgestellt werden. Über einen Link kann man sie per Mail kontaktieren. Inzwischen ist das Projekt in Buchform bei Maison Moderne erschienen, eine Ausstellung findet seit Mittwoch im Lycée Ermesinde in Mersch statt.

So erzählt Mellot von den menschenverachtenden Umständen, die der 33-Jährige auf seiner Flucht aus Eritrea in der Sahara durchlebt hat. Er berichtet von einer Mitreisenden, die sich aus Angst, vergewaltigt zu werden, als seine Frau ausgab und die Reise ebenso wenig wie ihr kleines Kind überlebte. Andere, Hadi etwa, berichten, wie sie über unzählige Umwege nach Luxemburg fanden.

Es finden sich viele Parallelen in den insgesamt 17 Berichten. Das anfängliche Unbehagen über die Situation in der Heimat wurde meist von einer Erfahrung akuter Lebensgefahr überlagert, was schließlich den Anstoß zur Flucht gab. Auch in der Beschreibung der Abhängigkeit von Schmugglerbanden, der Panik auf den Booten oder LKW-Ladeflächen ähneln sich die Berichte. Übereinstimmung herrscht zudem in der Meinung über das Aufnahmeland Luxemburg, an dem der hohe Stellenwert der Menschenrechte ebenso wie die Multikulturalität gelobt werden. Kritische Worte finden sich nur vereinzelt, etwa wenn es um mögliche Ungerechtigkeiten bei der Länge der Anerkennungsprozeduren geht. Die Erlangung des Flüchtlingsstatus’ ist von immenser Bedeutung für alle Befragten, ist er doch Voraussetzung für Studium und Erwerbstätigkeit und damit für ein selbständiges Leben, das für die meisten ebenso Priorität hat wie sich ein soziales Netz aufzubauen und sich in die Luxemburger Gesellschaft zu integrieren.

Die Tonlagen fallen angesichts dieser Zukunftspläne jedoch durchaus unterschiedlich aus. Nour fragt sich, inwieweit der Spruch „The refugees of today are the Luxembourgers of tomorrow“ überhaupt zutrifft. Sie betont, dass dies nicht zuletzt von der Akzeptanz der Ortsansässigen abhängt. Wafaa unterstreicht ebenfalls, dass Integration von zwei Seiten kommen muss und sich die Europäer für die arabische Kultur interessieren sollten, schließlich definiere sie die Identität der Geflüchteten, weshalb Integration auch keinesfalls bedeuten dürfe, die eigene Kultur einfach aufzugeben. Im Vergleich zu den pragmatischen Vorstellungen der Befragten steigert sich die Einführung von Buck mit der Überbeanspruchung der Anapher „I have seen (the true power of humanity etc.)“ völlig unnötig ins Appellativ-Pathetische.

Die einfühlsamen Fotografien wurden neben einzelnen Beiträgen von Mike Zenari größtenteils von Sven Becker angefertigt. Insbesondere die Close-ups der Gesichter und Hände sind aufgrund ihrer Nähe und ihrer ansprechenden Schärfeverläufe von einer intimen Anmut. Der meist urbane Hintergrund ist unschwer Luxemburg-Stadt zuzuordnen. Oft wurde die Gegend um den Bahnhof gewählt, einem Ort, der emblematisch auf Reise und Ankunft verweist. Selten sind die Personen jedoch bei Tätigkeiten zu sehen, wie etwa Grafikdesigner Hadi, der mithilfe eines Grafik-Tablets eine digitale Zeichnung anfertigt.

Das Projekt bietet eine visuell und narrativ überaus ansprechende Plattform, die es den Beteiligten ermöglicht, Kontakte zu knüpfen und Anschluss zur Luxemburger Bevölkerung zu finden. Darüber hinaus liegt das Ziel in der Bewusstseinsbildung. Die nahezu unmittelbare Wiedergabe der Erfahrungen, Wünsche und Ideale ermöglicht einen empathischen Blick und fordert dazu auf, die Geflüchteten als Individuen zu sehen. Jedoch kann man sich fragen, inwieweit Emotionen eine Hilfe sind, wo es pragmatischer Lösungen, wie einer zeitnahen Abwicklung der Anträge, bedarf. Auch bleibt offen, welches Publikum anvisiert wird; wer sich ohnehin mit der Flüchtligsthematik beschäftigt, wird bereits zu obigen Einsichten gekommen sein. Personen mit Vorurteilen hingegen, die es sich in ihrer Informationsblase gemütlich gemacht haben, werden auch über dieses starke Projekt schwer zu erreichen sein.

Frédérique Buck : I’m not a refugee; mit Fotos von Sven Becker und Mike Zenari;
192 Seiten (Englisch) ist im März bei Maison Moderne erschienen; 178 Seiten, 25 Euro; ISBN 978-99959-33-22-7. Online: iamnotarefugee.lu

Boris Loder
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