Zinsbesteuerung

Schneller als befürchtet

d'Lëtzebuerger Land vom 06.03.2008

Die Diskussion über eine Nachbesserung der Zinsbesteuerungsdirektive ist eröffnet. Das scheint nach dem Treffen der EU-Finanzminister am Dienstag in Brüssel klar. Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück machte kein Geheimnis aus seinen Absichten, als er den Kollegen seine Sorgen über die Effizienz des aktuellen zweigleisigen Systems vorbrachte. Es sei nicht nur eine Frage der geographischen Ausweitung der Direktive, sondern sie müsse wiederbearbeitet werden, sagte Steinbrück, der vom Steuerbetrugsskandal in Liechtenstein profitierte (d‘Land, 29.2.2008), um den Druck auf die EU-Länder, die das Bankgeheimnis weiter hüten, zu erhöhen. 

Stören tut Steinbrück, dass die derzeitige Regelung sich nur auf natürliche Personen und nicht auf Firmen bezieht, weshalb Liechtensteiner Stiftungen, englische Trusts und auch die Luxemburger Société de patrimoine familial derzeit nicht in den Anwendungsbereich der Direktive fallen. Das bietet Großverdienern viel Spielraum zur Steueroptimierung. Wobei – das sei zur Verteidigung der SPFs gesagt: Sie sind den Stiftungen und den Trusts in Sachen Transparenz meilenweit voraus, da die wirtschaftlichen Nutznießer bekannt sind. Damit waren es aber der deutschen Forderungen nicht genug. Steinbrück wünscht sich künftig eine Ausweitung des Anwendungsbereich auf Dividenden und andere Kapitalerträge. Dadurch  würde es schwieriger, das Geld an der Steuer vorbei anzulegen. 

Soweit keine Überraschung. Dann allerdings hob der deutsche Finanzminister den moralischen Zeigefinger ganz hoch. Augenblicklich gäbe es keine Garantie dafür, dass die OECD-Standards in allen EU-Mitgliedstaaten angewendet würden. Steinbrück verzichtete diesmal darauf, einzelne Länder zu nennen, berichtet ein EU-Diplomat, stellte niemand an den Pranger. Wen meint der Mann? Unschuldig zu tun hilft nichts, Luxemburg steht auf der Liste der Verdächtigen. Auch wenn man gerne unterstreicht, nicht auf der Liste der Steuerparias der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu stehen. 

Worüber also sind die Deutschen noch verärgert? Mal abgesehen davon, dass sie die bisher überwiesenen Summen – für 2006 waren es laut Bundesfinanzministerium aus Luxemburg rund 49,5 Millionen Euro – unzureichend finden. Steuerkommissar László Kovács berichtete dem Ministerrat wie angekündigt von seiner Kontaktaufnahme mit Macao, Singapur und Hongkong. Die will er – im Auftrag des Ministerrats – dazu bewegen, jene Zinsbesteuerungsdirektive, über die seit Dienstag wieder gestritten wird, ebenfalls anzuwenden. Damit das Kapital nicht, wie Zahnpasta aus einer zu fest gedrückten Tube, unkontrolliert aus Europa entweicht. Doch Kovács und sein Team ernteten in Asien ein müdes Gähnen, bestenfalls ein höfliches Lächeln. Weder Hongkong noch Singapur seien interessiert berichtete der Kommissar den Ministern. Schlecht für Kovács ist vor allem: Mit Hongkong haben Belgien und Luxemburg bereits Nichtdoppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen. Damit unterwandern sie seine Bemühun­gen, Hongkong zum Datenaustausch, wie ihn die EU-Länder mit Ausnahme von Österreich, Belgien und Luxemburg untereinander praktizieren, zu bewegen. 

Vor allem, da Luxemburg nicht auf das 2005-er Modell der OECD für Nichtdoppelbesteuerungsabkommen zurückgegriffen hat, sondern auf sein Vorgängermodell. Artikel 26 der neuen OECD-Vorlage besiegelt den Informationsaustausch zwischen den Vertragspartnern. Er besagt – da liegt der Hund begraben – dass Daten ausgetauscht werden, die zur Durchsetzung der jeweils nationalen Steuergesetze relevant sind. Steuern aller Art. Demnach könnten Vertragspartner Informationen anfordern, ohne dass es laufende strafrechtliche Verfahren gibt, um die Datenanfrage zu begründen. Und um die eigenen Gesetze durchzusetzen, auch wenn das vermeintliche Vergehen im Vertragspartnerland nicht strafrechtlich geahndet wird. Das gilt in Steuersachen, die vom Abkommen nicht abgedeckt werden. Solche Verträge will Hongkong nicht unterschreiben, weswegen die frühere britische Kronkolonie bisher nur mit einer handvoll Länder ins Geschäft gekommen ist. Aber genau zu dieser Art Austausch möchte der EU-Kommissar Hongkong überreden. Kein Wunder demnach, dass es Kovács aufregt, wenn einzelne EU-Länder sich zuvor auf „weichere“ Abkommen, ohne strenge Mitteilungspflicht einigen.

Dabei kann Luxemburg gar nicht anders, denn als das OECD-Modell verhandelt wurde, entschied man sich, wie auch Belgien, Österreich und die Schweiz, ganz nach britischer Manier für ein Opt-Out. Ansonsten wäre das Bankgeheimnis futsch gewesen. Logischerweise tragen auch andere Nichtdoppelbesteuerungsabkommen, die Luxemburg abschließt, diesem Umstand Rechnung. So befindet sich ein Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, zu denen Dubai und Abu Dhabi gehören, auf dem Gesetzesweg. Auch mit den aufstrebenden Finanzzentren Bahrain und Katar sind welche unterschrieben, alles Orte, an denen sich Kovács nach Asien wohl als nächstes umsehen müsste.

Die deutschen Ideen fielen Beobachtern zufolge bei den Niederlanden, Italien, den Briten und den Skandinaviern auf fruchtbaren Boden. Vor allem die Schweden konnten demnach die moralischen Beweggründe der Deutschen nachvollziehen. Nach den neuesten spektakulären Steuerbetrugsfällen würden sich die normalen deutschen Steuerzahler veräppelt fühlen, so Steinbrück sinngemäß. Auch die Schweden machten sich Sorgen über die Moral ihrer Steuerzahler. In der New York Times wurde Finanzminister Anders Borg mit dem Satz: „Die Steuerparadiese sind zu Steuerparasiten geworden“ zitiert. 

Quellensteuer oder Informationsaustausch? Eine größere soziale und gesellschaftliche Problematik verbirgt sich für die Gegner des Bankgeheimnisses demnach hinter dieser Frage. Kann also nur eine weiße Weste haben, wer den Informationsaustausch praktiziert? Ist das Quellen- oder Abgeltungssteuersystem per se anrüchig, womöglich weil man den Banken das Aufheben der Steuern nicht anvertrauen kann? Nun, die Mehrheit der EU-Länder haben en interne eine Abgeltungssteuer, darunter auch die Schweden. Böswillig könnte man also unterstellen, es handle sich in der Sache eher um ein Problem solcher Ländern, deren Steuerlast den Grenzwert dessen, was die Leute bereit sind zu zahlen, überschritten hat. Oder solcher Länder, deren Bürger nicht wollen, dass der Staat jederzeit überall reingucken kann. Viele, die in Deutschland nicht zum gläsernen Bürger werden wollten, hätten ihr Geld ins Ausland überwiesen, heißt es in Bankkreisen. Was sie nicht zu Steuersündern macht. „Tax reporting  gehört zum modernen Private Banking dazu“, sagt Sere de Cillia von der Bankenvereinigung.

Dieser Gesellschafts- und Tugendhaftigkeitsdebatte versuchte Österreich mit altbewährter Taktik zu begegnen. Die Alpenrepublik könne keiner Änderung für EU-Mitgliedstaaten zustimmen, solange Liechtenstein und die Schweiz nicht mit im Boot seien. Der Luxemburger Finanzminister Jean-Claude Juncker gönnte seinen Ministerkollegen einem Diplomaten zufolge erst einmal einen augedehnten historischen Rückblick darüber, wie die Quellensteuer entstand, und machte klar, wer der Altmeister der Runde ist. Er hob hervor, wohl schreibe die aktuelle Direktive drei Jahren nach dem Inkrafttreten eine Auswertung vor, Abänderungen seien aber nicht implizit vorgesehen. Die Kommission sei keinesfalls gezwungen, Änderungsvorschläge zu machen. Er freue sich auf jahrelange faszinierende Diskussionen, so Juncker im Rat. Er warte erst einmal auf den Evaluationsbericht der Kommission, sagte der Finanzminister überdies gegenüber dem Wort. Dort prangerte er auch das supergünstige britische Expat-System an, das man nicht so einfach akzeptieren könne. Ob die Briten deswegen als Partner in einem Zweckbündnis gegen Abänderungen der Direktive taugen, ist mehr als fraglich. In London bangt die City bereits um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit als Finanz- und Arbeitsplatz, weil die Regierung künftig eine Pauschale von 30 000 Pfund jährlich von den Expats haben möchte. 

Besagten Bericht muss Steuerkommissar Kovács bis Ende Mai vorlegen anstatt erst im Herbst. Das haben die Finanzminister am Dienstag beschlossen obwohl eine solche Entscheidung auf der Tagesordnung nicht vorgesehen war. Steinmeier hat die Gunst der Stunde geschickt genutzt, um die Diskussion über die Zinsbesteuerung schneller herbeizuführen, als es Luxemburg und seinen Alliierten in Sachen Bankgeheimnis gefallen kann. Da half alles Beteuern, die Liechtenstein-Affäre habe damit nichts zu tun, wenig. 

Schlecht für die Luxemburger ist, dass Belgien wankt. Finanzminister Didier Reynders sagte sich bereit, das Bankgeheimnis aufzugeben. Für Wirtschaftsminister Jeannot Krecké, der am Dienstag an der Sitzung teilnahm, ist das Taktik, denn auch die Belgier würden erst einmal den Bericht der Kommission anfordern. „Alles hängt von der Qualität der Informationen ab“, wurde Reynders im Soir zitiert, damit meint er die ausgetauschten Steuerdaten. Allerdings hatte er im Ministerrat eine weitere Überraschung parat: Er kann sich eine Ausweitung der Direktive auf Versicherungsprodukte vorstellen. Das sind keine guten Nachrichten für die heimische Versicherungsbranche, deren Produkte bisher ausgespart wurden. Nach Informationen des belgischen Investormagazin Trends Tendances überwies Luxemburg 2006 26 Millionen Euro an Quellensteuer an die Nachbarn. Würden die Versicherungsprodukte der Direktive unterworfen, würde dieser Betrag wahrscheinlich beträchtlich ansteigen. Den Statistiken der Versicherungsvereinigung ACA zufolge betrugen die Prämien im Lebensversicherungsgeschäft für 2006 11, 2 Milliarden Euro, davon stammten 10,8 Milliarden aus dem Ausland. Von diesen Verträgen wiederum sind 89 Prozent solche Versicherungsprodukte, die an Investmentfonds gebunden sind. Vor allem ihnen würde eine Ausdehnung der Zinsbesteuerung wehtun. 

Nicht einmal untereinander sind sich die derzeitigen Hüter des Bankgeheimnisses über ein gemeinsames Vorgehen einig. Nur eines scheint klar, die Diskussion, auf die sich Jean-Claude Juncker anscheinend freut, ist unumgänglich. Denn auch wenn László Kovács auf der Pressekonferenz nach der Sitzung sagte, er werde erst den Bericht erstellen und dann – wenn angebracht – Verbesserungsvorschläge machen, so sagte er auch, dass das Aufheben einer Quellensteuer für ihn ein Übergangsarrangement sei. „Ich bin für endgültige und harmonisierte Arrangements“, so der Kommissar. Dabei ging er nach Aussagen von EU-Beamten in der Sitzung einen Schritt weiter, meinte, er sei bereit, gleichzeitig mit dem Bericht Empfehlungen zu machen. Das Risiko, dass die Kommission ausschließlich auf die Defizite der Quellensteuer und nicht auf die des Datenaustausches eingeht, ist reell. In den veröffentlichten Konsultationspapieren setzen sich Kovács Beamte bisher nicht mit der Frage auseinander, ob der Informationsaustausch funktioniert. Ob das so ist oder nicht, darüber konnte beim Bundesfinanzministerium bis Redaktionsschluss keine Auskunft eingeholt werden.

Michèle Sinner
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