PhD-Ausbildung am CRP-Santé

Klein, aber oho

d'Lëtzebuerger Land vom 26.10.2012

„Eigentlich“, sagt Claude P. Muller, „mag ich den Begriff ,Doktorschule’ gar nicht so gern.“ Denn wer ihn hört, verbinde damit unwillkürlich etwas Großes. Am Institut für Immunologie des Centre de recherche public de la Santé dagegen würden jedes Jahr nur um die drei bis vier Doktoranden neu aufgenommen, manchmal auch nur einer. Und weil der Weg bis zum Abschluss eines PhD an dem Institut, das Muller leitet, in der Regel vier Jahre dauert, zählt die Doktorschule insgesamt stets nur acht bis zwölf Doktor-Schüler. Derzeit sind es zehn.
Dennoch ist die École doctorale am Institut für Immunologie die wohl älteste in Luxemburg. Dass sie in diesem Jahr gerade mal zwanzig Jahre alt wurde, zeigt nur, wie jung die öffentliche Forschung im Lande ist. Noch jünger sind die anderen Doktorschulen, die nach und nach gegründet wurden; allein sechs an der Universität bisher und eine im Fach Materialwissenschaften am CRP Gabriel Lippmann. Weitere dürften folgen: Vor zwei Wochen zum Beispiel vereinbarte die Uni mit dem Ceps-Instead die Bildung einer gemeinsamen École doctorale.
Dass gerade am Institut für Immunologie eine Doktorandenausbildung eingerichtet wurde, war ein Gründerzeit-Moment der Luxemburger öffentlichen Forschungslandschaft. 1992 wechselte Claude P. Muller mit einem dreiköpfigen Team, dem damals auch zwei Doktoranden angehörten, von der Universität Tübingen nach Luxemburg. Am Laboratoire national de santé, das damals noch das Staatslabo war und forschungsmäßig mit dem CRP-Santé verquickt, eröffnete er ein Immunologisches Institut. Muller war damals einer der wenigen Luxemburger Wissenschaftler, der eine Habilitation besaß – die akademische Berechtigung, Doktoranden eigenverantwortlich auszubilden, und die Voraussetzung zur Berufung als Universitätsprofessor. Dass er nach und nach Professuren an der Uni Trier, der Universität des Saarlandes und der Uni Nancy erhielt, ermöglichte es ihm, Doktorvater für Studenten dieser Universitäten zu werden. Die Spezialisierung der Doktoranden am Institut für Immunologie erfolgt derzeit in drei Bereichen, die allesamt im weitesten Sinn das menschliche Immunsystem zum Gegenstand haben: zum einen in der Interaktion des Immunsystems mit Stressfaktoren; zum zweiten in perinatalen Einflüssen auf das Immunsystem, zum dritten zu genetischen Veränderungen, denen Viren unterliegen, und welche Einflüsse das wiederum auf das Immunsystem hat.
Die zwanzigjährige Geschichte der Doktorschule ist lang genug, um aus dem Werdegang der Doktoranden von einst gewisse Rückschlüsse auf die Qualität der Ausbildung ziehen zu können. Welchen Weg die früheren Doktor-Schüler gehen, wird vom Institut für Immunologie systematisch verfolgt – auch über die erste Anstellung nach Erlangung des Doktortitels hinaus. „Heutzutage ist das ja ziemlich einfach bei all den Netzwerken, die via Internet gepflegt werden“, sagt Muller. Und noch ist die Kontaktpflege verhältnismäßig überschaubar: Seit Gründung der Doktorschule haben 57 Doktoranden bei Muller promoviert oder sind dabei es zu tun; darunter 20 mit dem Titel MD, Medical doctor, der Ärzten verliehen wird. Die meisten Doktoranden am Institut für Immunologie hätten allerdings ein Biologiestudium hinter sich. Einige andere sind Biochemiker, Pharmazeuten oder Chemiker.
Auf die bisherige Bilanz ist Muller stolz. Nicht nur sei es erst zwei Mal vorgekommen, dass ein Doktorand seine Ausbildung abbrach – das letzte Mal vor zehn Jahren. Davon abgesehen, hätten 90 Prozent der früheren Doktoranden heute reputierliche Posten in der Forschung; zwei Drittel im akademischen Bereich, ein Drittel in der Wirtschaft. Viele der MD-Absolventen sind heute leitende Ärzte. Sechs PhD-Absolventen sind inzwischen Universitätsprofessoren, in Europa, Kanada oder den USA. Zu den Arbeitsstellen der Absolventen zählen oder zählten unter anderem so klangvolle Namen wie die Harvard Medical School, die Medical School der University of Colorado, die Charité in Berlin, das Imperial College London, die US-Bundesbehörde Centers for Disease Control in Atlanta oder die Pharma-Konzerne Novartis und Johnson & Johnson. Ihren Weg in Luxemburg gemacht haben ebenfalls nicht wenige; etwa am CRP-Santé selbst, an der Uni Luxemburg, an den Laboratoires Réunis in Junglinster oder am Wasserwirtschaftsamt.
Die Doktoranden-Ausbildung sei ein Geben und Nehmen zwischen dem Doktor in spe und dem ihn betreuenden Institut, betont Muller. Nicht selten komme es vor, dass ein Doktorand von zentraler Bedeutung für ein Forschungsprojekt wird – das nutzt dem Doktoranden wie dem Institut. Wie auch der Umstand, dass Doktoranden, „wissenschaftlich besonders produktiv“ seien. Die Doktor-Schüler wiederum profitieren von den Forschungsprojekten ihres Instituts, dessen internationalen Kontakten und seinem Output an Publikationen. An im Schnitt vier Publikationen in Fachzeitschriften waren die Doktoranden als Erst-Autor oder Ko-Autor in den letzten fünf Jahren beteiligt; sechs brachten es auf sechs Veröffentlichungen, zwei auf sieben und einer gar auf zwölf. Dass das Institut für Immunologie eine der produktivsten biomedizinischen Abteilungen in Luxemburg ist, hilft dabei natürlich.
Seine derzeitigen Doktorschüler kämen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Bulgarien, Portugal, Italien und Luxemburg, berichtet Muller, der von sich sagt: „Ich bin ein durchaus anspruchsvoller Doktorvater. Manchen gelte ich als Kontroll-Freak; das stimmt insofern, als ich nichts schleifen lasse.“
Die Doktor-Ausbildung bestehe jedoch nicht nur aus der Mitarbeit an Projekten sowie aus Fachunterricht, der am Institut selbst stattfindet. „Heutzutage muss ein Wissenschaftler über viele Soft skills verfügen: Wie verfasse ich eine wissenschaftliche Publikation? Wie konzipiere ich ein Projekt und manage es? Wie kann die Teilnahme an einem Fachkongress besonders produktiv sein?“ Viel von dem, was es zu lernen und zu erwerben gibt, brauche Zeit. Der – ungeschriebenen – Regel, dass ein PhD in drei Jahren abgeschlossen sein sollte, begegnet Muller aus Erfahrung mit Skepsis: „Zumindest in unserem Fach beobachte ich, dass ein Doktorand im vierten Jahr etwa die Hälfte seiner Publikationen schreibt.“ Deshalb werde am Institut für Immunologie in der Regel nach vier Jahren promoviert; lediglich die Medical doctors, an die generell andere Anforderungen gestellt werden, würden schon nach zwölf bis 18 Monaten erworben.
Möglicherweise bahnt sich für die Doktorandenausbildung am Institut für Immunologie just im zwanzigsten Jahr ihres Bestehens eine Veränderung an: Das CRP-Santé hat mit der Uni Luxemburg Gespräche über die Bildung einer gemeinsamen Doktorschule aufgenommen. „Mal sehen, was daraus wird“, sagt Muller. „Klappt es, sind wir natürlich mit dabei!“

Peter Feist
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