Die kleine Zeitzeugin

Jesusfilme schauen

d'Lëtzebuerger Land vom 14.04.2017

Wieder die Zeit, wo Jesus durch unser Revier zieht, wir liegen auf der Couch oder nehmen unseren Fastenjogurt zu uns, als Vorspeise, und Jesus schaut vorbei. Er trägt ein Kreuz, natürlich, er ist blond und blauäugig oder dunkel und hager, ein schmächtiger Jüngling, ein prächtiges Mannsbild, meistens schaut er gut aus. Er ist aus Nazareth und aus Hollywood, mit eisblauen Augen und schwarzen Zotteln und schön geformten Füßen in Jesuslatschen.

Fromme Frauen sind auch nicht weit, Sünderinnen folgen ihm betört. Dieser Jesus ist stark, er hält was aus. Zugleich ist er ein Softie, voller Liebe, er liebt einfach alle, eine schwere Prüfung für die Sünderinnen-Groupies. Zu ihnen hat er einen besonderen Draht, und zu den schwarzen Schafen und armen Witwen und den Bresthaften und Siechen.

Die von uns, die nicht gerade auf einem Markt in Hanoi shoppen oder in Südafrika Wein verkosten bei wirklich netten Leuten, oder die durch eine europäische Hauptstadt pilgern, in der gerade der alljährliche Bevölkerungsaustausch stattfindet – die Einwohner_innen flüchten rituell vor den Flüchtlingen aus anderen europäischen Hauptstädten –, sind nicht allein. Jesus kommt. Er ist zuverlässig. Er ist der Mann, der immer kommt, jedes Jahr. Zwar gibt es wie immer kein Happy End, jedenfalls nicht für einseitig diesseitig Eingestellte. Gott sei Dank dreht Mel Gibson endlich die Fortsetzung, Happy Unendlichkeit.

Bei welcher Station auch immer die TV- Nomadin einsteigt, ist wurscht, sie kennt sich immer aus, bis zur Endstation. So wie weiland die alten Weiblein beim Rosenkranzgemurmel, Jesus fällt unter dem Kreuz, Jesus fällt ein zweites Mal unter dem Kreuz, zu dem Menschenkindkind an Aprilabenden mit seltsam hellem, leerem Himmel unterwegs war; es trug schon Kniestrümpfe, die Aprilabendvögel zwitscherten frostig. Alle diese Stationen sind eingestanzt in sein Gedächtnis. Der Hahnenschrei, die Silberlinge.

Alle diese Stationen sind eingebrannt ins kollektive Gedächtnis der Alten, referiert sie vor den Nachkommen. Damals gab es noch keine Auswahl oder Konkurrenz unter Gött_innen, es war wie Sowjetwirtschaft, es gab nur ein Modell. Einfach enthaltsam sein oder sich enthalten galt auch nicht. Deswegen können die Alten bei jedem Jesustripquiz mithalten, sie wissen alles über den Essigschwamm und das Schweißtuch, es ist alles gespeichert in ihrer DNA, höllenfeurig eingebrannt.

Die Nachkommen sind ein bisschen neidisch, wie toll, was die nicht alles hatten, bevor sie alles kaputt machten mit ihrem ’68. Die hatten noch Sünden und die Hölle beziehungsweise keine, schließlich waren sie getauft, vollautomatisch auch noch. Und sie hatten Gebote. Katechismus, murmelt die Gebrandmarkte, ein Fremdwort für die Nachkommen, denen sie die Hölle ersparen wollte. Das wissen die nicht immer zu schätzen. Manche greifen gar zur Marke Allah, da gibt es immer noch genaue Anweisungen. Allah gibt es nicht soft oder light wie eine Cola.

Die jungen Heid_innen, die vor Jesusfilmen lümmeln, sind aber eher für Jesus. Das bloße Ansehen eines Jesusfilms würde alle sieben Minuten einen Menschen zum Christentum bekehren, verkündet eine katholische Webseite, oder sind es alle sieben Sekunden? Dass er dem Feind, an den er nicht mal glaubt, cool die andere Wange hinhält, finden sie gar nicht blöd. Der war schon damals gegen Steinigen! Der war damals schon gegen die Todesstrafe!

Wie zivilisiert wir doch nicht sind, 2 000 Jahre zivilisierter als die Muslime. Wir? Sie werden sich taufen lassen und christlich trauen und ihre Kinder taufen lassen, das wird schön werden. Aber dann sind Ferien und Examen und Zahnarzt und Liebe. Und wollen sie wirklich in den Club der alten Exorzisten, die Geschiedene verstoßen und Frauen nach einer Abtreibung verteufeln? Man wird auch nicht Christin durch einen freundlichen Händedruck, es ist nicht einfach wie Bonjour wie im Islam.

Dann zieht schon wieder Jesus mit dem Kreuz am Pizzapappkarton vorbei, irgendwie hat es doch was, dieses Christentum.

Gibt es keinen Osterhasenfilm?

Michèle Thoma
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