Staatsbeiträge zur Sozialversicherung

Gesunder Kranker

d'Lëtzebuerger Land du 22.11.2007

Am einfachsten formuliert es die Zentralbank in ihrem GutachtenzumEntwurf des Staatshaushalts für nächstes Jahr: „Das Jahr 2008 zeichnet sich dadurch aus, dass der 2005 begonnene Prozess der Haushaltskonsolidierung zum Stillstand kommt.“ Aber die Meinungen, ob dies nun eine gute oder schlechte Nachricht sei, gingen schon lange nicht mehr so weit auseinander.

Dabei hat die Arbeiterkammer zumindest für den Stillstand eine Erklärung parat: „Ein vor einem Jahr vorausgesagtes Maastrichtdefizit von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hat sich innerhalb eines Jahres in einen Überschuss von 0,7 Prozent verwandelt.“ Die Handelskammer erinnert daran, dass laut achter Aktualisierung des Stabilitätsprogramms das Gleichgewicht der öffentlichen Finanzen für 2009 geplant war – in Wirklichkeit aber bereits 2006 eintrat.

Für Verwirrung sorgt vor allem, dass gerade in jenem Jahr 2006 die Sozialpartner in der Tripartite sich gemeinsam über die siechen Staatsfinanzen gebeugt und sogar eine Indexmanipulation abgemacht hatten. Deshalb sind sie sich nur eineinhalb Jahre später in den Gutachten ihrer Berufskammern nicht einmal mehr einig inder Diagnose – der Patient ist wieder gesund oder wird noch kranker –, von den Therapievorschlägen gar nicht zu reden – die Dosis erhöhen oder dieMedikamente absetzen. Wobei die Ironie der Geschichte will, dass die meisten Gutachten loben, wie die dieses Jahr erstmals durchgeführte zusätzliche Aufstellung desStaatshaushalts nach den Kriterien des Maastrichter Stabilitätspakts die Budgettransparenz vergrößere.

Die Staatsbeamtenkammer wirft der Regierung sogar vor, die Tripartite vergangenes Jahr bewusst in die Irre geführt zu haben. „Die ganze Nation hat eine große Debatte auf der Grundlage falscher Vorgaben geführt“ (S. 3). Während die Handelskammer die Verbesserung der Haushaltslage 2006 auf die Konjunktur und eben die von der Tripartite beschlossenen Sparmaßnahmen zurückführt, kann nach Meinung der Staatsbeamtenkammer die Verbesserung selbstverständlich nichts mit den Sparmaßnahmen zu tun gehabt haben, weil diese erst Ende 2006 in Kraft getreten seien.

Immerhin hatten Finanzminister Jean-Claude Juncker und Haushaltsminister Luc Frieden im Herbst 2005 die Schuldigen dafür gefunden, dass die christlich-soziale Finanzpolitik vom versprochenen sicheren Weg abgekommen war: die Automatismen,die – „Zack!“, so Frieden – die Staatsausgaben jedes Jahr in dieHöhe schnellen lassen. Doch in dem immerhin mehr als 750 Seitenstarken Entwurf des Staatshaushalts kommt das Panikwort der Saison 2005/2006 kein einziges Mal mehr vor, wie es auch keine Rolle mehr bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs im Parlament vor einem Monat mehr spielte.

Dagegen meint der Staatsrat in seinem Gutachten sogar, dass geradeder strukturelle Überschuss der Sozialversicherung dem Staat erlaube, den europäischen Stabilitätspakt leichter zu erfüllen als andere Staaten. Dies müsse bedacht werden, wenn ein Rückzug des Staats aus der Finanzierung der Sozialversicherung gefordert und der Eindruck vermittelt werde, dass man unbegrenzt zweimal Gewinner sein könne (S. 15). 

Die Privatbeamtenkammer scheint auch nicht glauben zu wollen, dass 2006 die ArcelorMittal-Millionen die Staatsfinanzen gerettet haben. Denn ihr ist aufgefallen, dass die Lage der öffentlichen Finanzen sich selbst gegenüber den Schätzungen vom November2006 noch verbessert habe, wobei sich die Regierung weniger bei den Finanzen der Gemeinden und Sozialversicherung als bei ihren eigenen verschätzt habe. Doch auch für 2008 unterschätze die Regierung nach Meinung der Privatbeamtenkammer wieder die Lage, denn Ausgangspunkt des Haushaltsentwurfs sei der Haushalt für 2007, der aber bereits längst von der Wirklichkeit überholt sei (S. 66).

Für die Zentralbank verschlechtert sich dagegen die Haushaltslage nächstes Jahr wieder, weil der Überschuss von 1,3 Prozent auf 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgeht. Schuld an diesem Rückgang seien der Kinderbonus, die Anpassung der Steuertabelle und die Halbierung der Gesellschaftssteuer.

Auch die Handwerkskammer weist darauf hin, dass der Überschuss der öffentlichen Hand zwischen 2006 und 2008 höchstens ein Prozent ausmacht, die Zentralverwaltung sei noch immer defizitär und der Fehlbetrag habe sich im laufenden Jahr sogar noch vergrößert. Deshalb seien weitere strukturelle Anpassungennötig, wie etwa eine weitere Senkung der Unternehmensbesteuerung, um den Produktionsstandort für ausländisches Kapital attraktiver zu machen. Um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Betriebe zu verbessern, schlägt dieHandwerkskammer auch vor, die Löhne und Gehälter nur bis zumEineinhalbfachen des Mindestlohns anzupassen. Ganz anders die Arbeiterkammer, die meint: „Angesichts dieser positiven Entwicklung [der Staatsfinanzen] stellt sich durchaus die Frage nach der Aufrechterhaltung der von der Tripartite beschlossenenSparmaßnahmen.“

Die Handelskammer weist dagegen besorgt darauf hin, dass die von der Tripartite beschlossene Indexmanipulation 2009 aufhören soll. Doch die Kammer ist zuversichtlich, weil die Regierung beim Wirtschafts- und Sozialrat eine Studie über ein inflationsfreiesWachstum in Auftrag gegeben habe.

 

Romain Hilgert
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