Plötzlich waren sie weg

Wo sind Isis und Ebola?

d'Lëtzebuerger Land vom 12.12.2014

Nicht dass ich sie vermisse. Ich wundere mich nur. Ich frage mich, wo sie geblieben sind. Plötzlich, quasi von einem Tag auf den anderen, waren sie weg. Sie waren vorher doch ein Weilchen dagewesen, mitten unter uns. Sie besuchten uns, jeden Tag, nachts auch. Nicht dass wir uns sehr darüber gefreut hätten. Schutzanzüge und böse Buben mit Bärten und Beilen, es gibt sicher angenehmere Gäste. Sie wurden immer größer und stärker, wir mussten immerzu von ihnen reden, wir nährten sie mit unserer Angst. Bis sie draußen vor unserer Tür spazieren, da geht so ein Komischer, er trägt zur Tarnung keinen Bart. Bis eine Person mit starker Pigmentierung die Türklinke anfasst.

Sie sind plötzlich dagewesen, sprangen uns an, aus dem schwarzen Sommerloch, aus heiterem Himmel, wie man so sagt. So heiter war er zwar nicht gewesen, ein Flugzeug mit Teddybären war gerade aus dem Himmel gefallen. Aber dann übernahmen Isis und Ebola das Killerkommando. Sie waren das Alptraumpaar des Sommers. Tröpfchen reisen durch die weite Welt, mit dem Ziel, auf unseren Schleimhäuten zu landen. Man kann nicht vorsichtig genug sein, hinter unserem Rücken schwingt jemand eine Axt, er schreit was Frommes dazu, oder sie.

Samstagabends servieren die Könige der Prime Time uns pünktlich einen Kopf. Das Böse hat einen Namen, das ist das Gute, ein bisschen können wir zusammenrücken in den Foren, ein bisschen mit unseren Werten kuscheln. Die Weißewertewelt schlägt mit den Flügeln und gackert, bis ihr der nächste Kopf vor die Füße fliegt. Und dann, während der Staat, den es nicht gibt, immer größer wird, hört es auf. Während Journalisten irgendwo im Sand stehen und auf Rauchsäulen zeigen, hört es auf. Mittendrin. Gerade war es so hässlich.

Und dann, während die Tröpfchen die Weiße Welt erreichen, in Madrid ins Krankenhaus eingeliefert werden, in New York U-Bahn fahren, hört es auf. Mittendrin. Gerade war es so hässlich.

Isis und Ebola hören einfach auf. Sie spielen höchstens noch am Rande mit, auf den Nebenschauplätzen. Manchmal spärliche Nachrichten, ein paar dürre Zahlen, von einer schläfrigen Moderatorin vorgebracht, kurz vor dem Wetter. Sie sind auf die hinteren Ränge verwiesen worden oder haben sich dorthin zurückgezogen. Die Strategie oder die Regie ist nicht ganz klar. Es nicht ganz klar, wer die Regeln welchen Spiels bestimmt. Wer mitspielt, welche Rolle und wie lange. Und wer worüber bestimmt, die gähnende Zuschauerin, die Pharmaindustrie, die bösen Amerikaner?

Wir wissen natürlich nicht, ob es aufgehört hat. Beziehungsweise ob es je begonnen hat, so explosiv und tyrannisch, mit exponentiellem Wachstum auch noch, wie wir es im Kino gesehen haben. Wir wissen nicht, wer oder was den Befehl zum Kameraeinsatz gab. Und wer den Befehl gab, den Vorhang zu senken, die Kamera weg zu schwenken.

Vielleicht war es nur eine Unterwerfung unter das Gesetz der Dramaturgie. Die weiße Wertewelt leidet schwer unter ADHS, es sind genug Köpfe gerollt, genug schwarze Menschen haben sich gekrümmt. Der Medientross muss weiter ziehen. Das Entsetzen ist schließlich kein Dauerzustand, man kann nicht dauerentsetzt sein, als hätten wir sonst nichts zu tun.

Einst wurde der Bildschirm von steppenden Kühen und rasenden Rindern befallen. Leichenberge türmten sich, vor fahlen großbritannischen Himmeln brannten Scheiterhaufen. Schwammige, löchrige Hirne wurden dargeboten. Eine neue Krankheit befiel den Fernsehzuschauer. Er brauchte allerdings Geduld, sie hat eine Inkubationszeit von bis zu 40 Jahren. Jeden Tag in einem düsteren Herbst um die Jahrtausendwende korrigierten deutsche Nachrichtensprecherinnen die Zahl der verrückten Kühe nach oben. Rindfleischberge türmten sich in den Supermärkten. Kurz vor der zweihunderttausendsten Kuh kapitulierten die Nachrichtensprecherinnen.

Wo sind Isis und Ebola? Wahrscheinlich, wie beruhigend, wieder da, wo sie hin gehören: im Herzen der Finsternis, in der Wüste. Genug ist genug. Und wir können wieder kuscheln, mit unsern Werten und dem Bullen von Tölz. Wenigstens ein bisschen.

Michèle Thoma
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