Meine Tante und ich

Gewohnheitstäter

d'Lëtzebuerger Land du 01.05.2008

Warum geht der Mensch ins Theater? Im Kapuzinertheater begegnet man der vom Aussterben bedrohten Gattung des „Gewohnheitstheatergehers“, jener Spezies strammer Kultursoldaten, die sich jedes noch so unsägliche Werk ansehen, das ihnen Direktor Marc Olinger ins Menü geschrieben hat. So wie jener ältere Herr, der der etwas verblüfft dreinschauenden Frau in der Garderobe voller Inbrunst von seiner Kundentreue zum Kapuzinertheater erzählte. „Jedes Stück seh’ ich mir hier an! Jedes Stück! Und hier bin ich noch niemals enttäuscht worden...“ Warum geht dieser Mensch ins Theater? Ist das Fernsehprogramm so schlecht?

Meine Tante und ich, eine schwarze Komödie von Morris Panych, steht an die­sem Abend auf dem Programm. Mir schienen die Namen der hierzulande wohl bekannten Schauspieler Grund genug, nach dem Märtchen ins Kapuziner zu ziehen: Germain Wagner und Josiane Peiffer. Für die Re­gie zeichnet Johannes Zametzer verantwortlich, für das Bühnenbild Isabel Graf. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe mich zu Tode gelangweilt. Was insofern von wenig Be­lang ist, da die überwiegende Mehr­zahl der zahlenden Zuschauer einen erquicklichen Abend erlebte. Mancher fühlte sich gar zu regelrechten Lachanfällen ermutigt. Über Geschmack streitet man ja bekanntlich nicht.

Morris Panych, Jahrgang 1952, ist ein in Kanada lebender Autor, Schauspie­ler und Intendant. Ohne wirklich ein sehr großer Erfolg gewesen zu sein, ist Vigil aus dem Jahre 1995 sein bislang meist beachtetes und meist aufgeführtes Stück. Erst im Jahre 2002 fand dieses Werk seinen Weg nach Europa und wurde unter dem neuen Titel Auntie and me beim Thea­terfestival in Edinburgh vorgestellt. Das Stück kennzeichnet sich durch zwei Besonderheiten: zum einen durch das ums Thema Tod aufgebaute komödiantische Genre, zum zweiten durch einen fast endlosen Monolog der Hauptfigur des Neffen und die beinahe stumme Darbietung der zweiten Figur auf der Bühne.

Besagter Neffe wird durch einen Brief an das Todesbett seiner Tante gerufen. Er kündigt kurzerhand seinen wenig erkläglichen Job in einer Bank und zieht durchs ganze Land, um jener Tante, die er seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hat, in ihren letzten Tagen beizustehen. Die erste Hälfte des Stückes ist durch die mehr oder minder komischen Einzeiler des Neffen gekennzeichnet, der den bevorstehenden Tod der Verwandten vorbereitet. Er vermisst den Körper der kranken Frau wegen der Größe des Sarges, sucht nach der passenden Trauermusik und übt den Vortrag der Grabrede. Tantchen äußert sich zu alledem gar nicht, schaut und hört und macht sich ihre Gedanken. Allerdings will sie ums Verrecken nicht krepieren.

Die Zeit vergeht und – nolens volens – entwickelt sich eine Beziehung zwischen den beiden ungleichen Menschen. Der menschenverachtende ehe­malige Bankangestellte gewöhnt sich an die Präsenz der stummen alten Dame, der es zusehends besser zu gehen scheint. Als der Neffe ein spärliches Weihnachtsbäumchen mit nach Hause bringt, bricht die Tante ihr Schweigen und es entweicht ihr ein fröhliches „Frohes Fest“. Man muss die Leistung von Germain Wagner würdigen, der sich durch den etwa 90 Minuten dauernden Vortrag alleine durcharbeitet. Wenn er uns nicht den gleichen Genuss am Spiel vermitteln kann wie zum Beispiel in Pol Greischs Grouss Vakanz, so mag das am Stück selbst liegen. Meine Tante und ich mag unterhaltsam sein, ist aber wahrlich kein Meisterwerk der Theaterkunst. Mag sein, die Dialoge haben durch die deutsche Übersetzung an Schärfe verloren. Witze wiederholen sich, der Erzählfluss ist zäh und wird durch zahlreiche Abblenden unterbrochen. Am prägnantesten ist wohl noch das gnomhafte Antlitz der Josiane Peiffer, die allein mit ihren Blicken mehr auszudrücken vermag als manch Luxemburger Schauspieler mit seiner Stimme während seiner ganzen Karriere.

Meine Tante und ich von Morris Panych, in der Regie von Johannes Zametzer, mit Josiane Peiffer und Germain Wagner. Weitere Vorstellungen am 6. und 7. Mai um 20 Uhr im Kapuzinertheater; www.theatres.lu.

Anne Schroeder I
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