Analdiskurs

Scherbenhaufenbaumeister

d'Lëtzebuerger Land du 22.11.2013

Heute loben wir die Partei mit dem präsidialen Analdiskurs. Gleich zu Beginn ein inniger Wunsch: Gott der Herr – falls es ihn gibt – sollte uns bitte den CSV-Präsidenten Wolter so lange wie möglich erhalten. Der Grund ist sehr einfach. Herr Wolter ist der authentischste Repräsentant seines Vereins, sozusagen die leibhaftige Quersumme aller Mitglieder und Anhänger. Wie er sich zu äußern pflegt, denken auch seine treuen Parteisoldaten. Ihm fällt nur die Rolle zu, laut zu sagen, was alle anderen tief in ihren schwarzen Herzen empfinden. Er ist der Lautsprecher, der formuliert, was das Parteivolk insgeheim antreibt. Er repräsentiert die Partei eins zu eins, das heißt, er gibt nichts von sich, was nicht bei der Parteibasis auf Zustimmung stieße.

Einige fragen jetzt, wieso es möglich sei, dass die CSV einen derart ungebildeten, tollpatschigen Rüpel an ihrer Spitze toleriert. Die Frage ist falsch gestellt. Sie setzt generell eine Partei voraus, die sich wesentlich, wenn nicht gar prinzi-piell von Herrn Wolter unterscheidet. Das Gegenteil ist wahr. Die schlechten Manieren, die Herrn Wolter auszeichnen, sind sozusagen das intime Fundament der ganzen Partei. Natürlich musste diese Partei rein sprachlich nicht über die Stränge schlagen, so lange sie an der Macht war. Das hat sich jetzt abrupt geändert. Der unverhoffte Machtverlust deckt Abgründe auf, die sich nun eben auch im ruppigen Sprachgebrauch niederschlagen. Aber das ist nichts weiter als die „plötzlich hochgeschwemmte Essenz“ der klerikalen CSV: Die tiefverwurzelte Intoleranz dieses gottgewollten Vereins wird mit lässiger Geste bestritten, solange der Machtvorteil gilt. Ach nein, wir sind doch gar nicht so! Wie die Herrschaften tatsächlich sind, merken wir Bürger erst jetzt mit voller Wucht: Ihr Gott hat sie leider im Stich gelassen, jetzt spucken sie Gift und Galle und wollen partout beweisen, dass sie keine Demokraten sind.

Wie kann Herr Juncker zulassen, dass ein Herr Wolter das oberste Amt an der CSV-Spitze bekleidet? Mit Verlaub, auch diese oft gestellte Frage beruht auf irrigen Prämissen. Herr Juncker und Herr Wolter sind, politisch betrachtet, siamesische Zwillinge. Die Frage müsste vielmehr lauten: Wieviel Wolter steckt in Juncker? Was hat dieser polternde Hofnarr zu bieten, um mit Junckers Nibelungentreue entschädigt zu werden? Nun, Herr Yvan, der LSAP-Freudianer, wird uns gewiss zustimmen, wenn wir hier eine Art mentale Arbeitsteilung vermuten. Kraft seiner zahlreichen (verflossenen) Ämter war Herr Juncker gezwungen, als der stets Überlegene, Überlegende, Wortwählerische, Spirituelle, von der Trivialität des politischen Geschäfts Unbeeindruckte zu erscheinen. Seine Sorge war es, als Lichtgestalt durch die europäischen Gefilde zu wandeln und mit größtmöglicher, opportunistischer Contenance zu Werk zu gehen. Mit diesem Anspruch erreichte er fast schon die Schwelle zur Heiligenlegende. Man kann sich leicht vorstellen, dass eine derart heilige Lebensführung etwas Elementares unterdrückt: nämlich das Bedürfnis, vun der Long op d’Zong zu reden und seine eigentlichen Ansichten ungeschönt preiszugeben.

Für diesen Bereich der „ehrlichen Meinungsäußerung“ ist Herr Wolter zuständig. Harmonisch ergänzt er Herrn Juncker, indem er dessen dunkle Seiten mit schallender und knallender Rhetorik ans Tageslicht bringt. Was Herr Juncker als distinguierter King of Europe nicht äußern darf, äußert Herr Wolter brav mit ungefilterter Drastik. Genau so funktioniert das scheinbar ungleiche Duo: Hier der über allen Wassern schwebende Edelmann, dort der personifizierte Stammtisch. Herr Juncker und Herr Wolter sind nur die zwei Hälften jener Figur, die den typischen CSV-Militanten ausmacht. Einerseits die geradezu ätherische, gepflegte Überheblichkeit des Christenmenschen, andererseits die grässliche Fratze des Machtmenschen, der mit Andersdenkenden im Grunde nur Schlitten fahren möchte.

An der Art und Weise, wie Herr Wolter auftritt, können wir zuverlässig den geistigen Bodensatz der CSV ablesen, den Herr Juncker mit seinem Gehabe eigentlich nur sublimiert. Dass die CSV-Mitglieder gegen Herrn Wolter nicht rebellieren, liegt auf der Hand: Er spricht ihnen aus dem Herzen, sein Vokabular bezieht er aus dem Sprachschatz von Kneipen, Kegelbahnen und anderen Hochburgen der öffentlichen Hemmungslosigkeit, also aus jenen Bezirken, wo die allermeisten CSV-Militanten ihre Schule des Lebens durchlaufen, immer schön am Kruzifix entlang natürlich. Herrn Wolters Aufgabe ist, den hochtrabenden, nicht immer verständlichen, nicht immer nachvollziehbaren Herrn Juncker wieder auf greifbare Parteinähe herabzuzerren. Ohne Herrn Wolter wäre Herr Juncker längst schon ins europäische Firmament entschwebt, also für die CSV-Anhänger gar nicht mehr sichtbar. Herr Wolter nimmt ihn immer wieder rechtzeitig auf den Boden zurück, mit ein paar krachenden Phrasen aus dem Poesiealbum der bierseligen Maulhelden.

Der „Moien du Aasch“-Berserker soll gefälligst im Amt bleiben. Er inkarniert die Abrissbirne, die den maroden Altbau CSV Stück für Stück in Trümmer schlagen wird.

Guy Rewenig
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