Koalitionsverhandlungen in Deutschland

Geschwätz von gestern

d'Lëtzebuerger Land du 09.02.2018

Kaum war der Applaus über den Abschluss des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD am Mittwochvormittag verhallt, da begann auch schon die Aufrechnung der Gewinner und Verlierer des künftigen Regierungsprogramms. Das Magazin Der Stern machte schnell denjenigen aus, dem die größte Niederlage zugefügt werden wird: „Die Bundesrepublik Deutschland bekommt mit der vierten GroKo ihrer Geschichte ein Bündnis, in dem die führenden Figuren bei der Bildung einer Regierung eklatant gegen den Grundsatz ‚Erst das Land, dann die Partei‘ verstoßen haben.“ Zusammengefasst: Die Große Koalition sei zu einer Versorgungsfrage verkommen – für das Spitzenpersonal der politischen Parteien. Dass der Koalitionsvertrag sowie auch sein Zustandekommen populistischen Parteien am rechten wie linken Spektrum Auftrieb geben wird, nahmen die Vorsitzenden der drei künftigen Regierungsparteien billigend in Kauf.

Dann kann nun endlich wieder in Berlin regiert werden, wenn denn die SPD-Mitglieder landauf, landab dem Regierungspakt zustimmen. Der Parteivorstand möchte durch die Landesverbände touren und dafür werben. Die Jugendorganisation Jusos plant Gleiches und möchte gegen die Große Koalition Stimmung machen. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert gab denn auch gleich die Marschrichtung vor: „#NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird.“ Dass auch er untertänigstes Bau- und Bestandteil dieser politischen Kultur ist, übersieht er beflissentlich. Wieder andere haben bereits das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angerufen, um der parteiinternen Abstimmung ihre Legitimität zu entziehen. Doch die höchsten deutschen Richter entschieden bereits 2013 bei der damaligen Mitgliederentscheid über die seinerzeitige Große Koalition. Denn schon damals sahen die Kläger die Freiheit der Abgeordneten und die Grundsätze der repräsentativen Demokratie gefährdet. Und bereits vor vier Jahren entschieden die Bundesrichter, dass das Mitgliedervotum rechtlich völlig unverbindlich sei. Zwar habe der SPD-Vorstand angekündigt, den Willen der Mitglieder zu respektieren, doch das, so die Karlsruher Richter, sei ausschließlich Sache der Partei. „Nach dem Gesetz ist der Vorstand nicht gebunden.“ Stimmen die Genossinnen und Genossen zu, dann soll bis Ostern die neue Bundesregierung in Amt und Würden sein.

Wichtiger als die Inhalte des Koalitionsvertrags waren die Anzahl und die Besetzung der Posten auf der Kabinettsbank. Hier wurde die CDU als großer Verlierer ausgemacht, schließlich gingen wichtige Ressorts an die Koalitionspartner. Begleitet von der Überraschung, dass SPD-Chef – auf Abruf – Martin Schulz in die Regierung wechseln werde. Hatte Schulz doch am Wahlabend Ende September genau dies kategorisch ausgeschlossen. Die Wankelmütigkeit und Neu-Ausrichtung der Beteiligten konnte letztendlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass drei Parteivorsitzende mit schwindender Autorität sich in die nächste Regierung retteten. Horst Seehofer von der CSU bekommt ein Heimatministerium als Altersversorgungssitz. Martin Schulz beansprucht das Außenamt und möchte dafür auf den Chefsessel im Willy-Brandt-Haus verzichten, in den er vor Jahresfrist mit hundert Prozent gewählt wurde. Angela Merkel schaffte es nicht, parteiinterne Kritiker und Querulanten zu befrieden, was das Regieren in der neuen Großen Koalition deutlich schwieriger machen wird. Es ist heute schon abzusehen, dass mit dem Vertrag ein Regierungsbündnis auf Abruf zusammengezimmert wurde, dass allen drei Vorsitzenden wie auch den beteiligten Parteien einen Ausstieg aus dieser „Koalition aus Gründen der Staatsräson“ bieten wird. Unter Gesichtswahrung. Unter Beibehaltung einer gewissen Schamfrist.

Vielleicht wird es schon im Herbst nächsten Jahres vorgezogene Neuwahlen geben. Mit einem kurzen Wahlkampf, damit der Weg in die gewohnte Berechenbarkeit ein gangbarer wird. Es ist fraglich, ob sich die künftigen Regierungspartner bis dahin an die Umsetzung essentieller Themen – etwa der Zwei-Klassen-Medizin oder der „sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen“ – machen werden. In Sachen Mietpolitik haben sich CDU, CSU und SPD hehre Ziele gesetzt. Es sollen Qualitätsmerkmale per Gesetz festgeschrieben werden und die Gültigkeit von zwei auf drei Jahre erhöht werden, was den Anstieg der Mieten in Städten verlangsamen soll. Außerdem sollen Mieter eine Auskunftspflicht erhalten, nach der Vermieter die Miethistorie der Immobilie angeben müssen. Einzige Verbindlichkeit: Bis zum Jahresende wird die Wirksamkeit der sogenannten Mietpreisbreme überprüft werden. Die Angebotsseite auf dem Mietmarkt soll gestärkt werden, in dem 1,5 Millionen Wohnungen und Eigenheime frei finanziert und öffentlich gefördert gebaut werden. Über den Zeitraum, in dem dies geschehen soll, macht der Koalitionsvertrag hingegen keine Angabe.

Martin Theobald
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