Thronwechsel

Ruhender Pol

d'Lëtzebuerger Land vom 05.10.2000

Der  Thronwechsel stellt keinen Bruch dar, da von langer  Hand geplant und reiflich überlegt. Der Akzent liegt auf Kontinuität. Allenfalls könnte man von einem Generationswechsel reden. Der 79jährige Großherzog Jean übergibt das Szepter, das es nicht gibt, an seinen 45jährigen Sohn Henri. Der Wechsel erfolgte auf Raten, nachdem Henri bereits seit März 1998 einen Teil der Aufgaben des Staatschefs als Statthalter ausübt und durch seine gründliche Ausbildung sowie die Wahrnehmung verantwortungsvoller Aufgaben bestens auf sein neues Amt vorbereitet ist.

Die Monarchie zieht ihre eigentliche Stärke  aus ihrer fast zeitlosen Kontinuität, und mit Kronprinz Guillaume ist die Erbfolge gesichert. Sie ist ein Stabilitätsfaktor erster Güte. Die Dynastie Nassau-Weilburg hat seit der Thronbesteigung von Großherzogin Charlotte im Jahre 1919 dem Land unschätzbare Dienste erwiesen, durch ihr Beharrungsvermögen und ihre Standfestigkeit. Die Institution wurde durch das Referendum von 1919 plebiszitiert und erhielt damit eine demokratische Legitimation, was erklärt, warum die Staatsform der  konstitutionellen Monarchie seither nicht mehr in Frage gestellt wird. Das Regnum von Charlotte dauerte 45 Jahre und gerade in schweren Zeiten war die als Landesmutter verehrte Großherzogin Trostspenderin, Vorbild und Hoffnungsträgerin. Großherzog Jean regierte während 36 Jahren. Sein Regnum stand unter einem wesentlich günstigeren und unbeschwerteren Stern als das seiner Mutter, waren dies doch Jahre eines beispiellosen Wirtschaftsaufschwungs und eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels. Die große moralische Autorität von Großherzog Jean und Großherzogin Josephine-Charlotte, wenn auch nicht ursächlich an diesen Veränderungen beteiligt, erleichterte doch die Anpassungen und sie trug wesentlich zum Zusammenhalt der Nation und zur Festigung des Staatswesens bei.

Großherzog Henri fühlt sich dieser Tradition verpflichtet. Allerdings ist er sich auch bewusst, dass er sich einen eigenen Stil zulegen muss, ohne freilich in Anbiederung abzugleiten, da das Erscheinungsbild des Staatsoberhaupts im Wandel begriffen ist. Vom Temperament her bevorzugen er und Maria Teresa eher ungezwungene und entspannte Umgangsformen. Sie haben ein sicheres Gespür für die gesellschaftlichen Herausforderungen, besonders was das friedliche Zu-sammenleben von Luxemburgern und Nicht-Luxemburgern anbelangt. Großherzogin Maria Teresa hat eine große Sensibilität für soziale Belange und ein vorbildliches Engagement für Not und Elend in Drittweltländern entwickelt, die von einer aufrichtigen Betroffenheit zeugen. In dieser Hinsicht geht der Thronwechsel Hand in Hand mit einem Epochenwechsel.

Im Gespräch betont das neue großherzogliche Paar immer wieder, dass es sich in einer dienenden Funktion sieht und seinen Teil dazu beitragen möchte, dass das Image des Großherzogtums, das oft verzerrt im Ausland dargestellt wird, sich zum  Positiven wendet. Beide sind der Meinung, dass es mit der bilderbuchartigen Darstellung der großherzog- lichen Familie nicht getan ist. Wegen ihres  ausgeprägten Pflichtgefühls  möchten sie ihre "Nützlichkeit" für Land und Leute unter Beweis stellen und es nicht nur bei repräsentativen Aufgaben belassen.

Großherzog Henri ist sich auch bewusst, dass er im Amte seine eigene Legitimität erwerben muss, obwohl er mit einem erheblichen Startkapital an Symphatie rechnen kann. Er will sich dem Vertrauen, das ihm die Bevölkerung entgegenbringt, in jeder Hinsicht würdig zeigen. 

Die für ihn größte Herausforderung dürfte allerdings darin bestehen, dass die Monarchie hierzulande auf eine gewisse Gleichgültigkeit stößt. Sie gehört zum liebgewonnenen Inventar oder Mobiliar, auch und gerade weil sie unumstritten ist und nicht für Schlagzeilen sorgt. Henri und Maria-Teresa, die schon gerne etwas mehr Profil zeigen und nicht auf alle Ewigkeit mit ihrer eigenen Meinung hinter dem Berge halten möchten, wissen aber auch, dass dies einer Gratwanderung gleichkommt. 

Die leidvolle Erfahrung von Großherzogin Marie-Adelheid hat bis heute Spuren bei den Mitgliedern der großherzoglichen  Familie hinterlassen. Seither gilt politische Abstinenz als oberstes Gebot und der Monarch hat sich aus dem parteipolitischen Tagesgeschehen herauszuhalten. 

Diese Erhabenheit, die Charlotte und Jean bis zur Perfektion praktizierten, ist keineswegs gleichbedeutend mit Charakterlosigkeit, sondern eine Überlebensfrage für die Institution, die es sich nicht leisten kann, sich auch nur die geringste Blöße zu geben. In seinen langen Lehrjahren hat Großherzog Henri das  nötige Fingerspitzengefühl entwickelt, um sich an diese Regel zu halten, allerdings nicht bis zur Selbstverleugnung. 

Er wird das wöchentliche "colloque singulier" mit dem Staatsminister dazu zu nutzen wissen, um seiner Regierung  "keine Anweisungen, sondern Anregungen" (Jean-Claude Juncker) mit auf den Weg zu geben. Überhaupt hängt sein Gestaltungsspielraum wesentlich vom vertraulichen und vertrauensvollen Zu-sammenspiel mit dem Staatsminister ab. 

In dieser Hinsicht kann man von einer gewissen Komplizität ausgehen, da beide sich nach eigenen Aussagen gut verstehen und respektieren.

 

 

Mario Hirsch
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