Gemeindefinanzen

Finanzkrise

d'Lëtzebuerger Land vom 10.09.2009

Pünktlich zur Wahl eines neuen Vorsitzenden des Gemeindeverbands Syvicol am nächsten Montag widmete sich die Zentralbank diese Woche in ihrem Bulletin den Gemeindefinanzen. Bereits während der Koalitionsverhandlungen hatten sieben für die Finanzen zuständige Verwaltungsdirektoren in ihrer Expertennote vorhergesagt, dass die Gemeindefinanzen ab dem laufenden Jahr und bis zum Ende der Legislaturperio­de in die roten Zahlen rutschen werden. Der Tiefpunkt werde nächstes und übernächstes Jahr erreicht.

Den Gemeinden sollen jährlich über 300 Millionen Euro fehlen, um ihre Haushalte ohne Verluste abzuschließen. Wobei der Ernst der Lage je nach Größe und Wirtschaftsstruktur noch stark von Gemeinde zu Gemeinde variieren dürfte. Auf Druck der Gemeinden war es schon vor zwei Monaten zu einer verkappten Krisensitzung von Gemeindevertretern mit dem Innenminister gekommen. Dieser konnte ihnen aber lediglich raten, einstweilen von Panik abzusehen, weil niemand nichts Genaues wisse.

Spätestens seit den Maastricht-Kriterien kommt den Gemeindefinanzen nicht nur eine kommunalpolitische Bedeutung zu, sondern auch eine immer größere volkswirtschaftliche. Denn wenn nach dem Zentralstaat nun auch die Gemeinden in die roten Zahlen rutschen, bleibt die Sozialversicherung als einzige Körperschaft übrig, die einen Überschuss ausweisen kann. Doch diese 800 Millionen Euro jährlich reichen bei weitem nicht mehr aus, um die Finanzen der öffentlichen Hand ins Lot zu bringen: Nach der Expertennote der Koali­tionspartner soll das Gesamtdefizit der öffentlichen Hand ab nächstem Jahr und bis zum Ende der Legislaturperiode um die fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, wenn laut Maastricht-Kriterien drei Prozent zulässig sind.

Die Zentralbank verzichtet ausnahmsweise darauf, noch pessimistischere Prognosen als die Regierung über die Gemeindefinanzen zu verbreiten. Dafür macht sie aber keinen Hehl aus den strukturellen und konjunkturellen Ursachen der Schieflage: Der Anteil der Gewerbesteuer gehe zurück, weil mit der Reform von 2002 die Unternehmensbesteuerung gesenkt wurde und viele Unternehmen als Folge der Krise kaum noch Gewinne ausweisen. Die Einkommenssteuersenkungen vor den Wahlen und niedrigere Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel führten gleichzeitig zu einer geringeren Speisung des Kommunalen Finanzdotierungsfonds.

Das sind alles Faktoren, welche die Einnahmen betreffen und damit weitgehend außerhalb des Einflusses der Gemeinden liegen. Der Staat steht selbst vor Finanzengpässen und glaubt deshalb, sich keine höheren Zuwendungen an die Gemeinden leisten zu können. Um  so mehr als dies nur ein finanzielles, aber keineswegs ein politisches Nullsummenspiel wäre: Am Ende geht es schließlich um die Frage, wer sich mit Sparmaßnahmen bei den Wählern unpopulär machen muss. Dafür bekommen die Gemeinden geraten, lieber bei den Ausgaben zu sparen; sie werden aber gleichzeitig gebeten, mehr Geld für Bildung und angeblich fast kostenlose Kinderbetreuung auszugeben sowie zwecks Konjunkturförderung keineswegs Investitionen zu stornieren. Langfristig sollen Einsparungen durch die Fusion kleinerer Gemeinden entstehen, aber langfristig sind wir bekanntlich alle tot.

In anderen Worten: Viele Gemeinden stehen vor einer Finanzkrise in den nächsten Jahren, und statt einer Strategie, um sie abzuwenden oder zu lindern, ist die Antwort der Regierung bloß widersprüchlich und ratlos.

Romain Hilgert
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