Moonarchie

Staatschef in Uniform

d'Lëtzebuerger Land vom 05.10.2000

"Meine Großmutter und mein Vater bezogen ihre Legitimität aus dem Krieg und der wirtschaftlichen Entwicklung", meinte Erbgroßherzog Henri in einem am 1. Oktober ausgestrahlten Fernsehinterview. Und kündigte an: "Wir müssen unsere eigene Legitimität finden." Ohne allerdings darauf einzugehen, woraus er diese zu schöpfen gedenkt.

Vor allem aber versprachen der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin, "einen neuen Stil zu finden und in den nächsten Monaten zu verfeinern". Auch wenn er sich "nicht zu politischen Fragen äußern darf und auch niemals tun wird", betonte der Erbgroßherzog, doch "einen ziemlich großen Spielraum" zu haben, um "einen eigenen Stil und die eigene Persönlichkeit" einfließen zu lassen. In einem Interview mit dem Pariser Figaro hatte er am 25. Dezember 1999 "un style plus relax que mes prédécesseurs" angekündigt.

Und Point de vue vom 5. Juli 2000 erklärte der Erbgroßherzog: "Je serai le chef de l'État. Le grand-duc se situe au-dessus des partis qui, chez nous, sont le parti chrétien social, le parti libéral et le parti socialiste. Le grand-duc a le pouvoir représentatif et consultatif. Au Premier ministre revient le pouvoir exécutif."

"Ich werde keine Minister und keine Parlamentsmitglieder kritisieren, auch keine Ernennungen. An dieses ganze Element darf absolut nicht gerührt werden," betonte Henri im Fernsehen. "Was man dagegen machen könnte, unter Umständen, wenn sich soziale Fragen stellen oder mögliche Sachen, die im Guten des Landes sind, könnte ich mich ganz gering äußern in einer Form oder einer anderen, um die Linien für die Zukunft des Landes vorzugeben." Dem gestrigen Luxemburger Wort vertraute das künftige Staatsoberhaupt an: "Wir müssen unsere Meinung sagen können, natürlich stets in einer der Konstitution gemäßen Art und Weise. (...) Nichts hindert mich daran, meine persönlichen Visionen und die großen Linien für die Entwicklung des Landes und der Gesellschaft darzulegen."

Die neue Gesprächigkeit des Hofes dürfte sicher einem Teil der Zuschauer und Leser sympathisch gewesen sein. Auch wenn sie sich nicht unbedingt die Frage stellten, ob ein neuer Stil schon eine neue Legitimität ausmacht, wo die beratenden Kompetenzen des Großherzogs ihren verfassungsrechtlichen Ursprung haben und ob es nicht mehr als drei Parteien gibt.

Doch in politischen Kreisen sind die Reaktionen eher geteilt. Der Jurist und ehemalige LSAP-Minister Alex Bodry wies bei einer von der Vereinigung Autrement am 22. September organisierten Podiumsdiskussion über die Monarchie jedenfalls darauf hin, dass Erbgroßherzog Henri schon vor Amtsantritt mehr Interviews - einschließlich "verschiedener unerklärlicher Schnitzer" - gegeben habe als Großherzog Jean während seiner ganzen 36-jährigen Herrschaft. Aus diesen Interviews sei die Absicht erkennbar geworden, eine aktivere Rolle zu übernehmen.

Gibt es da einen Zusammenhang, dass Bodry im parlamentarischen Ausschuss für Institutionen und Verfassungsreform schon am 19. Januar dieses Jahres seine Beunruhigung darüber ausgedrückt hatte, dass "eine gewisse Dringlichkeit" herrsche, um die Verfassung zu reformieren? Denn "aus den ersten Urteilen des neuen Verfassungsgerichtes geht hervor, dass es das Grundgesetz sehr eng und wörtlich auslegt". Deshalb sei es "gefährlich, den Text in seiner derzeitigen archaischen Form zu bewahren, die nicht mehr die Wirklichkeit unserer Tage wider spiegelt".

Die Verfassung ist ein historisches Dokument: Sie geht auf das 19. Jahrhundert zurück, als der Machtkampf zwischen König-Großherzog und Bourgeoisie tobte. Deshalb definiert sie bis heute die Kompetenzen der Staatsgewalten und Institutionen nicht immer klar und eindeutig, sondern weist Kompromisse und Grauzonen auf.

Auf dem Papier besitzt der Großherzog große Machtfülle. Er übt die Exekutivgewalt aus, billigt und verkündet die Gesetze, kann die Legislative auflösen und ernennt die Angehörigen der Judikative. Zudem ernennt er die Mitglieder des Staatsrats, erklärt Kriege, befehligt die Armee, kann Gesetzesvorschläge machen, Strafen mindern, internationale Verträge abschließen, und die Gerichte urteilen nicht im Name des Volkes sondern des Großherzogs.

Natürlich sind diese jeder Gewaltentrennung spottenden Kompetenzen durch die Kompetenzen anderer Institutionen eingeschränkt. Und was Ausländer bei der Lektüre der Verfassung als undemokratisch schockiert, regt hierzulande kaum jemand auf. Denn die politische Praxis und die riskanten Erfahrungen von Großherzogin Marie-Adelheid haben dazu geführt hat, dass der Großherzog seine Kompetenzen weitgehend passiv und symbolisch wahrnimmt.

Doch gleich in seinem ersten Urteil erklärte das neue Verfassungsgericht am 6. März 1998 Bestimmungen über Meisterprüfungen für ungültig, weil das entsprechende Gesetz von 1935 die Einzelheiten durch die Verordnung eines Ministers regeln ließ. Laut Artikel 36 der Verfassung sei es aber der Großherzog, der die Verordnungen und Erlasse mache, die zur Ausführung der Gesetze nötig seien. Diese Kompetenz könne also, im Gegensatz zu einer Jahrzehnte alten Praxis, nicht an ein Regierungsmitglied abgetreten werden. Folglich sei ein Gesetz verfassungswidrig, das eine solche Ausführungsbestimmung der Verordnung eines Ministers übertrage. Dies treffe um so mehr zu, als Artikel 36 der Verfassung in einem Kapitel stehe, das den Titel "de la Prérogative du Grand-Duc" trage und "l'argumentation présentée devant la Cour suivant laquelle la Constitution ne prévoirait pas de matière réservée au Grand-Duc est sans incidence sur la réponse à donner à la question posée". Ähnlich befand das Verfassungsgericht in drei weiteren Urteilen am 18. Dezember 1998, diesmal weil die Straßenverkehrsordnung von 1955 die Einzelheiten von Alkoholtests durch die Verordnung eines Ministers festlegen ließ.

Diese Urteile hatten 1998 nicht nur für viel Aufregung in Regierungs- und Rechtskreisen gesorgt. Sie schienen auch eine sehr konservative Rechtsprechung des neuen Verfassungsgerichtes zu begründen, das den Text des Grundgesetzes wortgetreu auszulegen versucht, statt auch die historische Entwicklung der Rechtspraxis zu berücksichtigen, wie es Verfassungsgerichte anderer Länder teilweise tun.

Doch was wird, wenn das Verfassungsgericht eine Rückkehr zur wortgetreuen Anwendung der vordemokratischen Relikte unter den verfassungsmäßigen Kompetenzen des Großherzogs einleitet? Oder der Großherzog sich von den Urteilen des Verfassungsgerichtes ermutigt fühlt, um sich in Zeiten so genannter Politikverdrossenheit oder einer sozialen Krise aktiv einzumischen?

Die Regierung konnte jedenfalls von Glück reden, dass das Parlament noch rechtzeitig Artikel 33 der Verfassung geänderte hatte, das bis 1997 feststellte: "Le Grand-Duc exerce seul le pouvoir exécutif." Dabei war es vor zwei Jahren vor allem darum gegangen, bei den Vereinten Nationen nicht mehr länger den Eindruck einer absolutistischen Monarchie zu erwecken. Bei gleicher Gelegenheit wurde aus Artikel vier die Beobachtung gestrichen, dass die Person des Großherzogs "sacrée" sei. Dass derselbe Artikel aber weiterhin den Großherzog für "inviolable" erklärt, sorgt seither für neue Schwierigkeiten. Denn im Zeitalter der globalisierten Breschnew-Doktrin von der beschränkten Souveränität verlangen internationale Abkommen, dass auch Staatsoberhäupter vor internationale Gerichtshöfe geschleppt werden können.

Doch trotz des vom Verfassungsgericht geschaffenen Handlungsbedarfs hatte das Parlament letztes Jahr in seiner Sitzung vom 21. Mai neun Verfassungsartikel von einer künftigen Revision ausgenommen. Dabei handelt es sich vor allem um die Artikel drei bis sechs, acht und 32, welche die Thronfolge und Machtausübung des Großherzogs festlegen. Diese Ausnahmen waren vor allem auf Betreiben der staatstragenden CSV zustande gekommen, die kurz vor den Wahlen den Eindruck vermeiden wollte, dass sie bereit sei, an Thron, Schwert und Altar, den Grundfesten des Staates rütteln zu lassen.

Somit beschränkt sich, wenn es um den Großherzog geht, der Konsens im zuständigen parlamentarischen Ausschuss derzeit darauf, den Monarchen nicht mehr an erster Stelle im Grundgesetz aufzuführen. Bei der angekündigten "großen" Verfassungsreform, die durch ein Referendum gutgeheißen werden soll, ist nämlich vorgesehen, die Struktur der Verfassung neu zu ordnen.

Die auf das Jahr 1868 zurückgehende Verfassung räumt dem Großherzog einen herausragenden Platz gleich zu Beginn des Textes im ersten Kapitel "De l'État, de son territoire et du Grand-Duc" ein. In einer Demokratie ist nun aber das Volk der Souverän, nicht das Staatsoberhaupt. Der als ausländische Experte hinzugezogenen belgische Verfassungsrechtler Francis Delpérée hatte dem Ausschuss in seiner Sitzung vom 19. Januar vorgeschlagen, den Verfassungstext neu zu ordnen, weil der für Ausländer überraschenden Struktur des Textes eine hohe symbolische Bedeutung zukomme.

Im Mai schlugen Delpérée und die Straßburger Verfassungsrechtlerin Constance Grewe einen neuen Plan für die Verfassung vor, ohne den Inhalt der Artikel zu ändern. Danach sollen die bürgerlichen Freiheiten, die Grundrechte und die gewählten Volksvertreter Vorrang bekommen. Der Großherzog soll im Kapitel vier über die Exekutivgewalt eine Sektion eins erhalten, so dass aus dem derzeitigen Artikel drei beispielsweise Artikel 65 wird. Seine Kompetenzen sollen im selben Kapitel in der Sektion zwei über die Regierung geregelt werden.

Aber mit einer neuen Reihenfolge derselben Verfassungsartikel wird es wohl nicht getan sein. Morgen Vormittag wird Erbgroßherzog Henri nicht im Parlament, sondern im Palais Großherzog. Denn laut Artikel drei und fünf der Verfassung fällt ihm ohne Zutun irgendeiner demokratischen Institution durch die Abdankung seines Vaters die Krone zu. Anschließend muss er lediglich "aussitôt que possible" vor der Kammer einen Eid auf die Verfassung ablegen.

Zumindest bei der LSAP und den Grünen gibt es Stimmen, die verlangen, dass das Parlament ein Wort bei der Thronfolge mitzureden bekommt. Schließlich wird die Thronfolge von einem mehr als zwei Jahrhunderte alten Nassauer Erbvertrag aus den Zeiten des Absolutismus geregelt. Alle Parteien sind sich zudem mehr oder weniger einig, dass die diskriminierende Bestimmung abgeschafft gehört, laut der Prinzessinnen nur Großherzoginnen werden dürfen, wenn keine Prinzen da sind. 

Darauf angesprochen, machte Erbgroßherzog Henri aber bisher keine verbindlichen Zusagen, diese Bestimmungen ändern zu wollen. Ohne diesen Sexismus würde morgen Vormittag die ein Jahr ältere Prinzessin Marie-Astrid Staatsoberhaupt.

 

 

Romain Hilgert
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