Steuerreform

Der Staat ist in Hausfrauen verliebt

d'Lëtzebuerger Land vom 26.10.2000

"Auf dem Gebiet der Besteuerung ist die Gleichheit von Ehemann und Ehefrau noch nicht hergestellt", heißt es in einer umfangreichen Studie über die Individualisierung der Sozialversicherung und Besteuerung. Die auf Initiative des Conseil national des femmes luxembourgeoises, der Gruppe Lidia, der Katholischen Frauenaktion und des Foyer de la femme in 18-monatiger Arbeit erstellte und vom Frauenministerium finanzierte Studie war bereits am 3. Mai CSV-Ministerin Marie-Josée Jacobs und damit dem Regierungsrat überreicht worden. Doch bisher hat die Regierung noch nicht darauf reagiert, obwohl die Studie manche brisante Fragen nicht nur im Zusammenhang mit der derzeit viel diskutierten Renten- und Krankenversicherung, sondern auch mit der bevorstehenden Steuerreform aufwirft.

Als diskriminatorisch bei der Besteuerung wertet die Studie vor allem einzelne Bestimmungen zur Zusammenveranlagung von Ehepartnern. Bei der Zusammenveranlagung mit Splitting werden Ehepartner als Produzenten und Konsumenten zu einer wirtschaftlichen Einheit erklärt, so dass der Durchschnitt ihrer beider Einkommen versteuert wird. Verdienen beide gleich viel, ist der Steuergewinn am geringsten, sie könnten also mit dem gleichen Ergebnis auch einzeln veranlagt werden.

Am größten ist der Steuergewinn bei der Zusammenveranlagung dagegen, wenn das versteuerbare Einkommen eines der Partner gleich null ist, gemeint ist die nicht erwerbstätige Hausfrau. Der Unterschied zwischen den Steuerklassen 1 und 2 ohne Berücksichtigung der Abgabe zum Beschäftigungsfonds betrug laut Sylvie Trausch-Schoder letztes Jahr maximal 348 420 Franken. Die Co-Autorin fragt sich, ob die Steuerersparnis damit nicht höher ausfalle als die Einschränkung der Steuerfähigkeit.

Auf diese Weise subventioniert der Steuerstaat maximal die traditionelle Hausfrauenehe, wo der Mann als Brotverdiener hinaus in  die Welt geht und die Frau zu Hause bleibt. Diese Bezuschussung wird durch die abgeleiteten Rechte der "mitversicherten" Ehefrauen und Witwen bei der Sozialversicherung fortgesetzt. Ökonomisch von ihren Ehemännern abhängige Hausfrauen stellten zusammen mit Landwirten Jahrzehnte lang die treueste Wählerbasis der CSV dar. 

Für die Erstellung der Lohnsteuerkarte schreibt Artikel 3 des großherzoglichen Reglements vom 9. Januar 1974 vor, dass bei zusammenveranlagten Ehepaaren "la rémunération la plus stable dont le montant annuel sera prévisiblement le plus élevé est considérée comme première rémunération, les autres rémunérations constituant des rémunérations supplémentaires".

In der patriarchalischen Tradition des "Haushaltsvorstands" und weil der Mann noch immer meist das höhere Einkommen bezieht, erhalten die Ehemänner automatisch die Lohnsteuerkarte für das Haupteinkommen. Dadurch deklassiert der Steuerstaat die Erwerbstätigkeit der Frau automatisch als "Zusatzverdienst" und stuft den Wert der Frauenarbeit niedriger ein als den Wert von Männerarbeit - zumindest bis er die Ehefrau heranzieht, um für die Steuerschuld des Mannes aufzukommen.

Das Haupteinkommen des Ehemanns wird bei der Zusammenveranlagung an der Quelle progressiv besteuert und kommt in den Genuss des Splittings, so dass er ein vergleichsweise hohes Nettoeinkommen ausgezahlt bekommt. Das so genannte Zusatzeinkommen der Ehefrau wird dagegen zu einem festen Steuersatz proportional versteuert, also immer unangemessen.

Eine Ehefrau ohne oder mit nur einem Kind und einem niedrigen oder mittleren Einkommen wird dadurch zu hoch besteuert, so dass die Zusammenveranlagung den Eindruck erweckt, dass sie "nur arbeiten geht, um Steuern zu zahlen", ihre Arbeit also nicht angemessen bezahlt wird, so dass die Frau genauso gut Hausfrau werden könnte. Erstaunlicherweise wurde das Verwaltungsgericht bisher noch mit keiner Klage gegen dieses System befasst.

Sylvie Trausch-Schoder betont in der Studie über die Individualisierung der Rechte jedoch, dass der ursprüngliche Ansatz, Ehepaare als wirtschaftliche Einheiten zu betrachten, heute überholt sei und jeder Partner sein eigenes Einkommen beziehe und verwalte. Sie erinnert daran, dass bei der 1990 heftig umkämpften Reklassierung mehrerer Einkommensgruppen aus der Steuerklasse II sowohl das Gutachten des Wirtschafts- und Sozialrats als auch der Kommentar zum Gesetzentwurf diese Reklassierung als ersten Schritt zur Einführung der Einzelveranlagung von Ehepartnern ankündigten. Und fragt zehn Jahre später, wann denn der nächste Schritt komme.

Allerdings bekennt sich die Studie nicht eindeutig zu der für manche Frauenorganisationen  wohl zu revolutionär erscheinenden Alternative zum bestehenden System, der Abschaffung der Steuerklasse 2 und Einzelveranlagung von Ehepartnern wie zum Beispiel in Belgien, den Niederlanden, Großbritannien und skandinavischen Ländern, wo sich das Steuersystem neutral gegenüber dem als reine Privatangelegenheit angesehenen Familienstand verhält. Es ist dies das simple Prinzip, dass jeder Mensch für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss, verdient und Steuern zahlt. Dies gilt auch für die Sozialversicherung, wo die abgeleiteten Rechte von Hausfrauen, die keine Beiträge beziehen, nicht nur Kranken- und Altersversicherung belasten, sondern diese Frauen in Abhängigkeit von ihren Ehemännern bringen und im Scheidungsfall aller Ansprüche berauben.

Für den Fall, dass der Bezieher eines Einkommens den Ehepartner unterhalten muss, kann sich die Studie bei einer Einzelveranlagung die Einführung eines Freibetrags für den Steuerpflichtigen wie in anderen Ländern vorstellen oder eines versteuerbaren und sozialabgabepflichtigen Erziehungsgelds für die Hausfrau. Ein von CSV- und ADR-Kreisen und neuerdings der Privatbeamtenkammer vorgeschlagenes Erziehungsgeld würde aber dasselbe Rollenverständnis festigen wie die Zusammenveranlagung.

Im Fall einer Einzelveranlagung muss  auch die Versteuerung gemeinsamer Einkommen, wie Mieten und Kapitalerträge, geregelt werden und die Absetzbarkeit gemeinsamer Ausgaben, wie gemischte Lebensversicherungen. In den meisten Ländern versteuert der Ehepartner mit dem höchsten Gehalt die gemeinsamen Einkünfte.

Bisher liefen alle vagen Reformversprechen der Regierung darauf hinaus, die Wahlfreiheit zwischen Einzel- und Zusammenveranlagung einzuführen. Bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs für 2001 im Parlament hatte Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker angekündigt, zum 1. Januar 2005, also unter der nächsten Regierung, die wahlweise Einzelveranlagung für Ehepartner einzuführen.

Weil durch die simple Einzelveranlagung die beiden Ehepartner insgesamt aber mehr Steuern zahlen müssten, droht diese Möglichkeit eher abzuschrecken - es sei denn, gerade dadurch sollte Wasser auf die Mühlen konservativer Familienpolitiker gekehrt werden. Zusätzlich kompliziert wird laut Sylvie Trausch-Schoder die Wahlfreiheit durch die 1990 erfolgte Einführung der Steuerklasse 1a für Alleinerziehende. Käme einer der Ehepartner in diese Klasse, entstünden neue Diskriminierungen zwischen den Partnern, so dass sich, auch im Interesse der Übersichtlichkeit, eine vollständige Reform der Klassen aufdränge.

Vorstellbar sei auch eine Einzelveranlagung bei den Steuerkarten und eine Zusammenveranlagung bei der jährlichen Steuererklärung, doch sänken dadurch die Nettoeinkommen und müssten die Steuerpflichtigen bis zum folgenden Jahr warten, um in den Genuss des Splittings zu kommen.

Die Studie schlägt deshalb vor, in einem ersten Schritt die von Juncker versprochene Wahlfreiheit zwischen Einzel- und Zusammenveranlagung einzuführen, so dass Ehefrauen zumindest die Möglichkeit erhielten, nicht für die Steuerschuld des Manns aufkommen zu müssen. Als zweiter Schritt solle dann im Rahmen einer größeren Steuerreform die Steuerlast bei einer Einzelveranlagung gesenkt werden, so dass sie langfristig zur Regel und die Zusammenveranlagung zur Ausnahme würde.

Hier fragt sich aber, ob diese Etappen noch sinnvoll sind. Denn wenn am 1. Januar 2002 die Steuern gesenkt und die Freibeträge reformiert werden sollen, ist es der ideale Zeitpunkt, um die Einzelveranlagung für Ehepartner einzuführen und die Tabelle so anzupassen, dass sie dadurch zumindest keinen Nachteil erleiden.

 

 

 

Romain Hilgert
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