Mildtätigkeit

Jeden Tag eine gute Tat

d'Lëtzebuerger Land du 22.05.2008

Wer in Großbritannien samstagnachmittags durch die Einkaufsstraßen schlendert, kann sich einer Frage nicht entziehen: der nach dem überflüssigen Kleingeld. Meist wird diese noch nicht mal von Obdachlosen gestellt, sondern von einem der unzähligen charity campaigners, die, ausgerüstet mit Clip-board und angeheftetem Ausweis, Geld für irgendeine gute Sache sammeln. Sammeln tun sie viel. Rund 14 Milliarden Euro spendeten die Briten im Jahr 2005/2006, 0,68 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Die Briten geben gerne ein paar Pfund für malträtierte Tiere, für verwahrloste Straßenkinder, für die Krebsforschung, damit die Obdachdachlosen etwas zu essen erhalten, für die Alten und Gebrechlichen. Sie geben, weil sie der Überzeugung sind, der Staat nehme nicht alle Aufgaben in der Gesellschaft wahr. 

Würden die Luxemburger genau so viel spenden wie die Briten, dann hätten sie 2006 185 Millionen Euro gegeben. Das weiß aber niemand so genau. Die Steuerverwaltung weiß wohl ungefähr, welchen Betrag an Spenden die Leute von der Steuer absetzen, aber nicht alle, die was geben, lassen sich dies vom Fiskus vergüten, so dass unklar ist, wie großzügig die Luxemburger eigentlich sind. Dass es vermehrt Privatleute gibt, die gerne große Summen für gemeinnützige Zwecke geben würden, wollen die Banken auf jeden Fall festgestellt haben. Die Private-banking-Klientel möchte geben, sagen die Banken. Nur weiß sie nicht recht wem, und wie. Mit Investitionen in Kunst kennen sich die Banker vielleicht noch aus, doch Wohltätigkeitsorganisationen zählen gemeinhin nicht zum Portfolio der Anlage-Spezialisten. Deswegen sahen sich die Privat-Bankiers nach Hilfe um und stellten fest: Auch außerhalb ihres Berufstandes gibt es in Luxemburg keine Professionellen des Gebens. Oder besser gesagt des Nehmens, keine zentrale Anlaufstelle, bei der sich Leute, die geben wollen, über die Vielfalt derer informieren können, die nehmen. Keine Einrichtung, wie die Fondation de France oder die Fondation Roi Baudouin in Belgien. Das war früher auch nicht unbedingt nötig. Große Summen, für die es keine Erben gab, gingen mehr oder weniger direkt in die Hände der katholischen Kirche über. Durch den Wandel der Gesellschaft gibt es den Automatismus in der Art nicht mehr. 

So wurde auf Initiative der Banque de Luxembourg im April zum großen Philanthropie-Kolloquium in der Philharmonie eingeladen. Jean-Claude Juncker war da und sein Vorgänger Jacques Santer, die Großherzogin übernahm die Schirmherrschaft. Schon wochenlang im Voraus schrieben die Zeitungen über den neuen philanthropischen Elan in der Gesellschaft, den Willen zum Geben auch seitens eigentlich sehr profitorientierter Unternehmen, gute Taten insgesamt. Der Premier versprach, alsbald Abhilfe zu leisten. Abhilfe, denn tatsächlich gibt es neben der fehlenden Beratungsstelle einige Barrieren für potenzielle Spender. Mal davon abgesehen, dass nur Spenden an solche Organisationen von der Steuer absetzbar sind, die sich auf der von der Steuerverwaltung geführten Liste befinden, musste bisher für Spenden von mehr als 12 500 Euro eine Erlaubnis erteilt werden. Wer also zum Beispiel über den Nationalen Kulturfonds bei der Finanzierung einer neuen Orgel helfen möchte, muss die Spende vorher vom Ministerium genehmigen lassen. Da muss man schon sehr viel (Gute-)Tatendrang mitbringen. Besonders, da ein Antrag auf eine solche Genehmigung auf der Webseite des Kulturministeriums unauffindbar ist – ein Hinweis darauf, wie weit Luxemburg von der Geberkultur der Briten entfernt ist. Sogar jene, die Geld brauchen, sind schlecht darauf vorbereitet, dass ihnen jemand welches geben könnte.

Hinzu kommt, dass bisher Firmen und Privatleute nur bis zu zehn Prozent ihres besteuerbaren Einkommens und maximal 500 000 Euro jährlich von der Steuer absetzen dürfen, es also nicht attraktiv ist, mehr als diese Maximalbeträge innerhalb eines Jahres zu spenden. Wundert es daher, wenn der Nationale Kulturfonds 2007 nur rund 231 000 Euro von Mäzenen, also aus Spenden, einnahm? Der Fonds, der andererseits aus den Erträgen der Nationallotterie gespeist wird, hatte zu wenig Reserven, um wirklich zum Kulturjahr beitragen zu können, heißt es im Jahresbericht des Kulturministeriums. Daneben macht das uralte Gesetz von 1928 über die Associations sans but lucratif  und Stiftungen es Firmen und Privatleuten auch nicht gerade einfacher, ihre eigene Einrichtung zu gründen, und somit ihr Geld genau dem von ihnen gewünschten Zweck zuzuführen. Wer eine Stiftung einrichten möchte, muss dafür die Genehmigung von Justiz- und Finanzministerium einholen, dann wäre laut Gesetz ein Arrêté grand ducal nötig, welcher die Stiftung zur Rechtsperson macht. 

Auch Mudam und Philharmonie, die Vorzeigeinfrastrukturen des Kulturbetriebes schlechthin, bei deren Gründung angedacht worden war, dass sie einen großen Teil ihrer Kosten durch private Geldgeber decken würden, haben noch Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Vorgabe. Noch-Mudam-Direktorin Marie-Claude Beaud wies im Land-Interview daraufhin hin, dass das Museum die Einnahmen von privaten Gebern eigentlich verdoppeln müsste – 600 000 wollen die Mäzene dieses Jahr geben –, ein Ding der Unmöglichkeit (d’Land, Museums-Beilage, 9. Mai 2008). Die Philharmonie ihrerseits finanziert sich zu 55 Prozent aus staatlichen Zuschüssen, der Rest stammt aus dem Verkauf der Eintrittskarten und Sponsoring. „Im Kulturbereich ist es schwer, sich selbst zu tragen, besonders wenn die Ticketpreise nicht zu hoch sein sollen, damit sie für ein möglichst breites Publikum erschwinglichbleiben“, so Dominique Hansen von der Philharmonie. Die ist dabei, ihre eigene Stiftung zu gründen. Diese soll aber nicht die Programmation des Konzerthauses absichern, sondern Projekte mit einer sozialen Komponente finanzieren. Zum Beispiel Konzerte in Krankenhäusern oder im Gefängnis, Veranstaltungen, die speziell auf Behinderte zugeschnitten sind. Weshalb? Weil die Leute eher geben, wenn sie das Gefühl haben, „etwas Gutes zu tun“. Das ist bei solchen Projekten eher gegeben, als wenn sie einfach zur Finanzierung der Einrichtung Philharmonie beitragen. Darin liegt auch das Interesse des Staates, durch Gesetzesänderungen das Spendenverhalten zu begünstigen. Jeden Euro, der von privater Seite kommt, muss der Staat nicht selbst hinzutun. 

Aber existiert tatsächlich eine größere Bereitschaft zum Teilen in der Gesellschaft und bei den Unternehmen? Einige Indizien dafür gibt es. Arcelor Mittal hat vor nicht allzu langer Zeit eine eigene Stiftung gegründet, welchen Zweck sie genau verfolgen soll, darüber hüllt sich das Unternehmen bisher noch in Schweigen. Auch Fortis Banque Luxembourg machte bei der Vorstellung der Bilanz auf die Aktivitäten der Fonda-tion Fortis aufmerksam, die ausschließlich solche Projekte und Organisationen unterstützt, bei denen sich Mitarbeiter der Bank engagieren und die der sozialen Integration von benachteiligten Kindern und Jugendlichen dienen. Wie viel Fortis an Geldern in den vergangenen zwei Jahren vergeben hat, will Jerry Dupont nicht sagen, auch nicht an wen. 

„Wir achten stark darauf, dass die Stiftung nicht mit kommerziellen Interessen vermischt wird“, so Dupont. Damit wolle man keine Werbung machen, dafür habe man die Sponsoring-Engagements, die die Bank weiter wahrnimmt. Mit der Fondation Fortis gibt noch einige technische Probleme, denn auch wenn sie schon arbeitet, so sind die bürokratischen Hürden noch nicht alle genommen. Die Bank hofft auf eine baldige Reform des Stiftungsrecht nach dem Vorbild Frankreichs, das die Gründung von Firmenstiftungen erlauben würde. 

In seiner Rede zur Lage der Nation kam Jean-Claude Juncker allen Spen­denwilligen entgegen. Beträge ab 12 500 Euro, die per Banküberweisung eingehen, sollen künftig nicht mehr extra genehmigt werden müssen. Da will man sich auf die in den Banken bereits vorhandenen Anti-Geldwäsche-Mechanismen verlassen. So werden in Zukunft auch anonyme Spenden möglich. Außerdem werden die maximal von der Steuer absetzbaren Beträge auf 20 Prozent des besteuerbaren Einkommens  beziehungsweise eine Million Euro angehoben. Wer mehr als das auf einmal geben möchte, kann die Spende über mehrere Jahre verteilt bei der Steuer geltend machen. 

Diese Maßnahmen können relativ bald, in dem noch für dieses Jahr angekündigten Steuergesetz, in dem es auch andere Geschenke für die Unternehmen geben soll, umgesetzt werden. Genau wie die Gleichstellung der Einschreibegebühren (taxes d’enregistrement), die künftig bei 4,8 Prozent liegen sollen, egal ob man an öffentliche oder private Einrichtungen spendet, ob man dies noch zu Lebzeiten tut, oder das Vermögen vererbt. Noch im Herbst soll das Justizministerium einen Entwurf zur Reform des Gesetzes von 1928 vorlegen, um die Gründung von Stiftungen zu vereinfachen. Das soll auch durch die Gründung der neuen Dachstiftung geschehen, bei der, wie Jean-Claude Juncker am Donnerstag sagte, die Oeuvre nationale de secours Grand-Duchesse Charlotte, den Staat vertreten soll. Dort werden dann Privatleute und Firmen sozusagen eine Stiftung pachten kön­nen, was den bürokratischen Aufwand erheblich reduzieren wird. 

Alles gut? Man könnte die Maßnahmen auch als Teil einer Wohlfühloffensive vor den Wahlen sehen. Die Banken werden auf jeden Fall das Beratungsangebot für wohlhabende Kunden erweitern können. Auch daran, dass sich das Renommee des Finanzplatz verbessert, dürfte dem Staat in der aktuellen Bankgeheimnis-Debatte gelegen sein. Das wollen die Banken tun, indem sie Stiftungen etc als institutionelle Kunden gewinnen und ihnen neue sozial und moralisch einwandfreie Anlageprodukte anbieten, in denen diese ihre Mittel anlegen können. Wenn es dem Gemeinwohl dient, warum nicht?

Michèle Sinner
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