Europa und die Prostitution

Freier

d'Lëtzebuerger Land du 06.12.2013

Kurfürstenstraße, Berlin. Eine unansehnliche Straße im Norden des Stadtteils Schöneberg. Heruntergekommen, mit Kriegslücken. Behelfsarchitektur aus den Fünfzigerjahren, leerstehende Läden. Zu Westberliner Zeiten lag die Straße knapp vor der Mauer. Vernachlässigt über Jahre. Jede Straße hat ihre Geschichte. Die Historie der Kurfürstenstraße wurde durch Christiane Felscherinow bekannt. In ihrer Biografie Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo schildert die Berlinerin ihre hoffnungslose Jugend im Westberlin der Siebzigerjahre. Eine Jugend zwischen Drogensucht, Prostitution und Beschaffungskriminalität. In der Kurfürstenstraße war damals die Diskothek Sound, in der Christiane F. ihre Nächte verbrachte, und direkt davor der so genannte Babystrich, auf dem sie – wie andere junge Frauen auch – der Prostitution nachging. Heute noch ist die Kurfürstenstraße als Strich bekannt. Dominiert noch immer von jungen Frauen, vornehmlich aus Osteuropa.

Die Stadtteilpolitiker aus Schöneberg wurden vor wenigen Wochen – wieder einmal – aufmerksam auf diesen Bereich. Das Kulturforum ist doch zu nahe. Die Politiker wollten einen Sperrbezirk einrichten. Prostitution sollte in der Kurfürstenstraße künftig zwischen vier Uhr morgens und acht Uhr abends verboten sein. Zum Schutze der Anwohner, Anlieger und Frauen. Ein Plan, der vor allem bei Politikerinnen auf Ablehnung stieß. Marijke Höppner, Bezirksverordnete der SPD, lief Sturm dagegen. Die Einrichtung eines Sperrbezirks, so ihre Argumentation, würde den Lebensunterhalt der Prostituierten gefährden. Nein, Prostitution dürfe auf keinen Fall verboten werden, so Höppner weiter, auch wenn Alice Schwarzer das fordere.

Es klingt ein wenig herablassend, zu behaupten, dass die Huren in der Kurfürstenstraße ihren eigenen Lebensunterhalt finanzierten. Denn sie gehen ausschließlich auf Geheiß eines Freiers dort auf den Strich. Den brauche man auch, heißt es aus der Szene, zum eigenen persönlichen Schutz, der oft Gewalt und Missbrauch beinhaltet. Aussagen einer Betroffenen, die nur schwer auszuhalten sind. Doch eines ist sicher: Käme es zu einem Sperrbezirk, würde sich die Prostituierte einen anderen Standplatz suchen, denn sie muss Geld verdienen. „Das meiste Verkehr kommt nach Feierabend und dann später am Abend, wenn die Verhuschten kommen.“ Das Problem verlagere sich dann nur. Von der Kurfürstenstraße in eine andere.

Europa tut sich schwer mit der Prostitution. Es ist das „Schlachtfeld der Liebe“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung Ende November titelte, auf dem Frauen in der Regel die Opfer sind. Ein Verbot der Prostitution, wie es in vielen Ländern der Europäischen Union noch gehandhabt wird, zielt einzig und allein auf eine Kriminalisierung der Frau ab – auch und vor allem der Frau, die nicht freiwillig in diesem Milieu ankommt. Frankreich folgt nun dem nordeuropäischen Vorbild und will künftig nicht die Frauen bestrafen, sondern die Männer, die die Dienstleistungen der Huren in Anspruch nehmen. 1 500 Euro Strafe soll der Freier künftig zahlen. Vorausgesetzt: Er wird von der Polizei erwischt. Im Wiederholungsfall wird die Strafe verdoppelt.

Schweden wird oft als Vorbild genommen: Seit 1999 werden dort die Freier bestraft, gleichzeitig wurde die Prostitution legalisiert. Frauen dürfen ihren Körper seither verkaufen, Männer diese Leistung aber nicht in Anspruch nehmen. Es gebe kaum ein Land, klopft sich die Stockholmer Polizei auf die Schultern, das weniger Probleme mit Menschhandel habe als Schweden. Feministinnen beurteilen die Situation schwedischer Huren seitdem durchaus nüchterner: „Dass die schwedische Regierung die Augen verschließt, heißt nicht, dass es dort keine Prostitution gibt“, sagt Irmingard Schewe-Gerigk, Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation ‚Terre des Femmes’. Die Verhandlungsbedingungen hätten sich für die schwedischen Huren verschlechtert, führt Schewe-Gerigk aus, da sie nicht mehr auf offener Straße gesehen werden dürften. „Zudem sind sie ihren wenigen verbliebenen Freiern stärker ausgeliefert.“ Mehr noch: Die Fälle von Misshandlungen und Vergewaltigungen an Prostituierten in Schweden hätten seit 1999 immer weiter zugenommen, berichtete eine Stockholmer Krankenschwester dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

In Österreich müssen sich männliche und weibliche Prostituierte registrieren lassen und es besteht die Pflicht, dass sich Huren und Stricher einer wöchentlichen Gesundheitsuntersuchung unterziehen müssen. Sie bekommen ein Gesundheitszeugnis, das umgangssprachlich „Deckel“ genannt wird. Darüber hinaus müssen sie sich alle drei Monate auf HIV untersuchen lassen. Nicht alle Huren und Stricher kommen dieser Aufforderung nach. Die Zeitung Der Standard berichtet, dass es 2011 etwa 5 000 registrierte Prostituierte in Österreich gab und eine in etwa gleich hohe Anzahl von illegalen Huren und, im deutlich geringeren Ausmaße, Strichern.

Es gibt keinen goldenen, richtigen Weg in Sachen Prostitution. Die Szene ist zu vielschichtig. Auch vordergründig einleuchtende Lösungen wie in Schweden haben ihre Schattenseiten. Einzig die Legalisierung der Prostitution scheint geboten, um Frauen aus der Illegalität herauszuholen und zu entkriminalisieren.

Letztendlich ging die Prostitutionsdiskussion in der Kurfürstenstraße aus wie das Hornberger Schießen. Denn nur die südliche Straßenseite der Kurfürstenstraße gehört zum Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Der nördliche Trottoir liegt im Bezirk Mitte. Und dieser denkt gar nicht daran, einen Sperrbezirk einzurichten.

Martin Theobald
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