Weil sich das Agrargesetz weiter verzögert und die Subventionsmodalitäten für Investitionen ändern, steht es um die Beziehung zwischen den Landwirten und ihrem Ressortminister nicht zum Besten

It’s complicated

d'Lëtzebuerger Land vom 05.02.2016

Zu spät, zu wenig – so in etwa lässt sich die Meinung der Landwirtschaftskammer und der Bauernverbände gegenüber dem neuen Agrargesetz zusammenfassen. Tatsächlich lief das alte Agrargesetz bereits 2013 aus. Zwar wurden die Bestimmungen über die Investitionszuschüsse für die Landwirtschaft bis Mitte 2014 verlängert. Doch seither kann kein Antrag auf Förderung mehr gestellt werden. Seitdem beklagen die offiziellen Organe des Sektors in regelmäßigen Abständen unzumutbare Zustände. Es fehle an Rechts- und an Planungssicherheit. Darüber hinaus, bemängeln sie, stünde in Zukunft weniger Geld zur Verfügung. Die Landwirtschaft zu fördern, sei am Finanzstandort Luxemburg keine Priorität.

Crash-Kurs Um die ganze Aufregung zu verstehen, ist ein kleiner Crash-Kurs in Sachen Europäischer Agrarpolitik (Gap) notwendig. Die Gap baut auf zwei Säulen auf: In der ersten sind die Direktzahlungen an die Landwirte geregelt. Über die zweite Säule soll die Entwicklung des ländlichen Raums vorangetrieben werden. Darunter fallen zum Beispiel Förderprogramme zur besseren Vermarktung lokaler Produkte, die Beihilfen für Krisensituationen, wie sie etwa wegen der Trockenheit vergangenes Jahr eintraten. Aber auch die Landschaftspflegeprämie und die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete werden über die zweite Säule und den nationalen Plan für die ländliche Entwicklung geregelt. Ebenso die Investitionszuschüsse an die Höfe. Was im Rahmen der „zweiten Säule“ auf na­tionaler Ebene tatsächlich passiert, wird im Plan zur ländlichen Entwicklung definiert, der von der EU-Kommission genehmigt werden muss. Dieser Plan de dévelopement rural (PDR) ist es, der über das Agrargesetz und seine Ausführungsbestimmungen umgesetzt wird.

Wie viel Geld? „Unserer Ansicht nach wird es weniger“, sagt Marco Gaasch, Präsident der Landwirtschaftskammer (LWK), mit Verweis auf das Geld, das bis 2020 für die Maßnahmen der zweiten Säule zur Verfügung steht. Dass die Regierung versucht, über das Senken der Zuschussraten und über Auswahlverfahren für die Investitionen die Haushaltsausgaben für die Landwirtschaft zu senken, ist ein Vorwurf, den die LWK auch in ihrem Gutachten zum neuen Agrargesetz wiederholt äußert. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 sind insgesamt 501 Millionen Euro vorgesehen. Ob das nun mehr oder weniger ist als in den sieben Jahren davor? „Darauf gibt es keine Antwort“, sagt Landwirtschaftsminister Fernand Etgen (DP). Da in den kommenden Jahren beispielsweise kostspielige Biogasanlagen nicht mehr gefördert würden und die Forstwirtschaft künftig Sache des Nachhaltigkeitsministeriums sei, sei es schlichtweg nicht möglich, einen richtigen Vergleich aufzustellen. Tatsächlich kann Etgen auf diese Frage keine Antwort geben, ohne sich in die Brennnesseln zu setzen. Stellte sich heraus, dass weniger Mittel für die Landwirtschaft zur Verfügung stünden, würden die Bauern noch heftiger protestieren. Doch weil das Landwirtschaftsministerium wie jedes andere Regierungsressort im Rahmen des Zukunftspak aufgefordert ist zu sparen, kann er auch das Gegenteil nicht einräumen. Sonst hat er ein Problem mit dem Finanzminister.

Fernand und Maggy Für Etgen steht mit dem Agrargesetz so manches auf dem Spiel. Manche sagen ihm bereits ein ähnliches Schicksal wie der geschassten Kulturministerin Maggy Nagel (DP) voraus. Er bräuchte dringend einen Erfolg. Da trifft es sich schlecht, dass der Staatsrat in seinem Gutachten zum Agrargesetz ganze 45 formale Einwände einlegte und sich das neue Gesetz dadurch weiter verzögert. „Eine schallende Ohrfeige“ titelte das Luxemburger Wort. Dabei hat Etgen nicht ganz Unrecht, wenn er sagt, dass die Schuldigen für die Verspätung vor allem in Brüssel zu suchen sind. Weil sich die letzte von unzähligen Reformen der Gap in den vergangenen 20 Jahren verspätete, konnte der PDR nicht rechtzeitig erstellt werden, damit das neue Agrargesetz, das darauf basiert, rechtzeitig nach Ablauf des alten in Kraft treten konnte. Danach wurde der PDR noch einige Male zwischen Luxemburg und Brüssel hin- und hergeschickt, bis die EU-Kommission endlich ihren Stempel darauf setzte. Andere Länder mussten noch länger auf die Genehmigung aus Brüssel warten.

Dass der Staatsrat so viele Einwände einlegte, liege auch daran, dass die Agrarpolitik, die einzige wirklich gemeinschaftliche EU-Politik, nicht mit anderen Ressorts zu vergleichen sei, geben Etgen und seine Berater zu bedenken. Was dem Staatsrat am Entwurf nicht gefällt, ist, was die Autoren übers Gesetz und was sie über die Ausführungsbestimmungen regeln wollten. Und die Gutachter suchten wohl vergeblich nach der jeweiligen rechtlichen Grundlage, die in unzähligen Brüsseler Direktiven und Reglements der Gap zu finden ist. Um Abhilfe zu schaffen, wollen sie dem Entwurf eine Tabelle beilegen, damit die Gutachter vom Staatsrat die jeweilige Rechtsgrundlage der Gesetzesartikel besser nachvollziehen können.

Wenn die Landwirtschaftskommission im Parlament am heutigen Freitag alle Änderungsvorschläge annimmt, könne der überarbeitete Entwurf flugs zur zweiten Begutachtung in den Staatsrat zurück und, in einem optimistischen Szenario, sagt Fernand Etgen, das Gesetz noch im März gestimmt werden. Damit 2020 nicht die gleiche Situation entsteht, falls es erneuten Verzug in Brüssel gibt, hat das neue Gesetz kein Mindesthaltbarkeitsdatum, unterstreicht André Vandendries, erster Regierungsrat und Koordinator im Landwirtschaftsministerium.

„Wir arbeiten daran“, sagt Vandendries. Damit die Ausgleichszulage auch ohne neues Agrargesetz gezahlt werden kann und die Bauern die Landschaftspflegeprämie beantragen können – mit Auszahlungen von 15,2 beziehungsweise 10,8 Millionen Euro 2013 wichtige Einnahmequellen für die Luxemburger Landwirte – werden im Ministerium Übergangslösungen aufgesetzt. Die Bauern würden rechtzeitig für die Aussaat im April mit Liquidität versorgt, versichert Fernand Etgen.

How not to invest Marco Gaasch ist skeptisch, ob sich der Staatsrat mit den formalen Nachbesserungen zufrieden geben wird. Inhaltlich, gibt der Präsident der Landwirtschaftskammer zu bedenken, sei ohnehin nicht ganz viel passiert – obwohl Fernand Etgen bereits ein Entgegenkommen in gewissen Punkten angekündigt hat.

Was den Bauern am wenigsten gefällt, ist dass die Zuschussraten gesenkt werden: von 45 auf 40 Prozent für Immobilienprojekte und von 30 auf 20 Prozent auf Maschinenkäufen. Die Zuschüsse von bis zu 75 Prozent auf den sogenannten „nicht-produktiven“ Investitionen, wie zum Beispiel Kosten für die bessere Einfügung von landwirtschaftlichen Infrastrukturen in die Landschaft, auch Verschönerungsmaßnahmen genannt (die Konfiguration von Gebäuden oder die Gestaltung von Fassaden), werden wegfallen. „Wer solche Auflagen macht, sollte auch bezahlen helfen“, sagt Gaasch.

Für Maschinenkäufe von maximal 100 000 Euro können Bauern und Winzer nach dem Gesetzentwurf in den kommenden sieben Jahren Zuschüsse beantragen. „Das reicht nicht“, meint Gaasch, zumal die Liste der förderfähigen Maschinen gekürzt wurde. Dass das Ministerium außerdem einen maximal förderfähigen Betrag von 1,7 Millionen Euro für Gebäude und Anlagen vorsieht, und die Zuschüsse für solche Investitionen künftig nach der Größe des Betriebs gestaffelt werden sollen, sieht die Landwirtschaftskammer ebenfalls kritisch.

Was die neuen Bestimmungen in der Praxis bedeuten, muss man sich ungefähr so vorstellen: Will ein Bauer seinen Hof modernisieren, neue Anlagen bauen, um die Produktion zu steigern, Umwelt- oder Tierschutznormen gerecht zu werden, kann er Zuschüsse für einen maximalen Investitionsbetrag von 1,7 Millionen beantragen. „Für einen Betrieb, der aussiedeln muss, wäre das nicht genug“, sagt Gaasch. Wie hoch der bezuschusste Betrag in Zukunft sein wird, hängt außerdem davon ab, wie groß der Bauernhof ist, bevor er modernisieren oder ausbauen will. „Dadurch würden große Investitionen weniger rentabel“, so der LWK-Präsident.

Das ist der springende Punkt: Hinter den neuen Zuschussdecken steht die Absicht, die Investi­tionstätigkeit in der Landwirtschaft neu auszurichten. Nicht weniger, sondern besser investieren lautet die Devise, sagt Pierre Treinen, Direktor des Service de l’économie rurale (SER). „Was die Investitionen und die Fixkosten betrifft, ist die Luxemburger Landwirtschaft absoluter Spitzenreiter“, erklärt er. Im konkreten Vergleich mit der Großregion sieht das den Daten aus dem regionalen landwirtschaftlichen Testbetriebsnetz nach für die Milchbauern so aus: Flächenmäßig haben die Luxemburger kleinere Höfe als die Kollegen aus der Großregion, haben aber mit 57 Milchkühen im Schnitt fast ebenso viele Tiere im Stall stehen wie sie, und die Milchleistung ist ebenfalls vergleichbar. Doch während die jährlichen Abschreibungen pro Hof im Schnitt bei 42 700 Euro liegen, schreiben die Luxemburger Bauern 64 000 Euro ab. Die Wallonen halten beispielsweise im Durchschnitt 62 Milchkühe und schreiben jährlich nur 26 000 Euro ab.

Dass die Luxemburger Bauern in den vergangenen Jahren sehr viel investiert haben, lässt sich auch aus den Statistiken des Landwirtschaftsministeriums herauslesen. 2013 erhielten sie insgesamt 65,4 Millionen Euro an Prämien und Zuschüssen. Doch: „La consommation de capital fixe (amortissements) est supposée augmenter de deux pour cent en 2014 par rapport à 2013 et s’élève à 98 millions d’euros.“ Dass die Bauern sehr investitionsfreudig sind, lässt sich auch anders darstellen: Obwohl die Landwirtschaft nur 0,3 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitrug, lag ihr Anteil an den Bruttoanlageinvestitionen der Luxemburger Wirtschaft 2013 bei 2,1 Prozent.

Dass es in der Vergangenheit vielleicht einige Projekte gab, die zu groß ausfielen, räumt Marco Gaasch ein. Das geht auch für die Bauern nicht immer gut aus. Zum Beispiel wenn die Preise für ihre Produkte, wie Milch, in den Keller fallen. Dass die Preise immer volatiler werden, stimmt. Doch wenn die Landwirte auf die Straße gehen, um dagegen zu protestieren, dass sie wegen zu niedriger Erzeugerpreise ihre Kosten nicht mehr decken können, hat das mitunter auch damit zu tun, dass sie durch hohe Investitionen ihre Fixkosten gesteigert haben. Davor warnen die Mitarbeiter des SER seit Jahren die versammelten Landwirte auf dem Buchstellentag.

„Die Betriebe, die gut dastehen, sind die, die schrittweise gewachsen sind“, sagt Pierre Treinen vom SER. Deshalb soll der allzu schnelle Ausbau von Höfen mit dem neuen Gesetz nicht mehr möglich sein – und die Bauern sollen vorher quasi zur Beratung gezwungen werden. Etgen und seine Mitarbeiter wollen außerdem Anreize für die Bauern schaffen, finanzielle Reserven für magere Zeiten anzulegen. „Wenn sie viel Geld verdient haben, haben sie Maschinen gekauft, um Abschreibungen von den Steuern absetzen zu können“, sagt Etgen. Auch deshalb wurden der Förderrahmen für die „biens meubles“ gesenkt und hat der Landwirtschaftsminister versprochen, im Rahmen der großen Steuerreform, eine Kompensationsmöglichkeit für gute und schlechte Jahre einzuführen.

Punktesystem Die große Unbekannte für Bauern und Beamte ist das neue System, nach dem die Fördermittel verteilt werden. Bisher konnten Projekte, welche die Bedingungen für einen Zuschuss erfüllten, eingereicht werden und der Landwirt war sich seines Geldes gewiss. Das wird in Zukunft anders. Nach dem neuen Gesetz gibt es Zuschussvergaberunden im Trimesterrhythmus. Alle Anträge, die in dieser Zeit eingehen, werden nach gewissen Kriterien (beispielsweise dem Ausbildungsgrad des Bauern) in einem Punktesystem evaluiert. Wer die meisten Punkte hat, steht in der „Hitliste“ oben und bekommt seinen Zuschuss.

Wer unten steht, riskiert leer auszugehen, nämlich dann, wenn die Projekte, die in der Rangliste davorstehen, alles Geld der Vergaberunde aufgebraucht haben. Zwar können die Bauern ihr Projekt ein zweites Mal einreichen. Für eine weitere Teilnahme aber muss es „wesentlich verändert“ werden. „Aber ein Silo bleibt ein Silo“, sagt Marco Gaasch. Was man an einem solchen Projekt wesentlich verändern soll, ist ihm schleierhaft. Die Bauern stört darüber hinaus, dass in Zukunft nur noch Zuschüsse für Investitionsprojekte beantragt werden dürfen, die vollständig genehmigt sind – von der Gemeinde, den Umweltbehörden, vom Wasserwirtschaftsamt ... Dabei habe manche Verwaltung, gibt Gaasch zu bedenken, bis zu zwei Jahre Rückstand. Das erhöhe die Planungssicherheit nicht gerade. Dass die Bauern mit ihren Investitionsprojekten in Konkurrenz zueinander gesetzt werden, ist eine Vorgabe aus Brüssel. Manche Nachbarregionen haben entschieden, demjenigen den Zuschuss zu geben, der seinen Antrag als erster stellt. „Da ist das hier schon gerechter“, urteilt Gaasch. „Aber wir haben keinerlei Erfahrungswerte damit“, fügt er hinzu. Wie sich das neue System auswirkt, können auch die Beamten nicht sagen.

Ob es Zuschüsse für die Investitionen gibt, die seit Mitte 2014 begonnen wurden, ist ungewiss. „Et ass net kee Probleem“, räumt Etgen ein. Rund 60 Immobilienprojekte, Investitionen in Höfe und Anlagen, haben die Verwaltungen gezählt. „Das geht vom Silo bis zum Aussiedlerhof“, sagt Pierre Treinen. Die betroffenen Landwirte werden einen Förderantrag nach dem neuen Gesetz stellen können. „Und es sieht so aus, als ob ausreichend Geld zur Verfügung steht“, fügt André Vandendries hinzu. Doch weil sie den neuen Zulassungskriterien unterliegen, kann es sein, dass sie am Ende ohne Zuschuss dastehen.

Michèle Sinner
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