Bundestagswahlen in Deutschland

Von großen Koalitionen und anderen Missverständnissen

d'Lëtzebuerger Land vom 06.12.2013

Am 22. September haben die Deutschen einen neuen Bundestag gewählt. Eine neue Regierung haben sie immer noch nicht, für einmal waren wir also schneller. Eine große Koalition soll her, allerdings nur, wenn auch die SPD-Basis mit dem mühsam ausgehandelten Ehevertrag leben kann. Es war vorauszusehen, dass es mit Schwarz-Rot schwieriger werden würde als 2009 mit Schwarz-Gelb. Abgesehen davon, dass die Verhandlungen damals ein riesengroßer Murks waren. Die Regierung brauchte ja Monate, bevor sie halbwegs zueinanderfand, das war nicht schön. Vor Jahren hat mal ein Lift-Installateur zu mir gesagt: „Ein Aufzug ist wie ein Ehepaar oder eine Regierung: Entweder er funktioniert sofort, von Beginn an, oder er funktioniert nie. Nachbessern geht nicht, rumbasteln hilft nichts.“

Was ist in Deutschland eigentlich passiert am 22. September? 43,73 Millionen Bundesbürger haben eine gültige Zweitstimme abgegeben und so darüber entschieden, wie die Sitzverteilung an die Parteien ausfallen soll. Die CDU sammelte 14,92 Millionen Stimmen (34,1 Porzent), die SPD 11,25 Millionen (25,7 Prozent – nur wenig mehr als 2009) und die CDU 3,24 Millionen (7,4 Prozent). Das verschaffte der Union 41,5 Prozent – ein Plus von 7,7 Punkten – und 311 Sitze im Bundestag, der SPD dagegen „nur“ 193 Sitze. Die Union konnte ihren Vorsprung auf die SPD um fünf Prozentpunkte vergrößern, trotzdem hat es für eine Alleinherrschaft nicht gereicht. Leider, denn dann müsste jetzt richtig regiert werden, mit einer starken Opposition, ganz ohne Sündenbock, sprich Juniorpartner. Eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten und einer Tolerierung von der einen oder anderen Partei lehnt die alte und neue Bundeskanzlerin ab. Sie weiß, warum.

Nach der Wahl hieß es: „Die Deutschen haben eine große Koalition gewählt.“ Diese Ansicht muss man nicht unbedingt teilen. Eingefleischte CDU/CSU-Wähler haben mit strammen SPD-Wählern wenigstens eines gemeinsam: Sie möchten, dass die eigene Partei die Wahl gewinnt und die Regierung anführt. Der treue Wähler wählt eine Partei, keine Koalition. Die Tatsache, dass ein schwarz-roter Dreier mehr als zwei Drittel der Stimmen und knapp 80 aller Bundestagsmandate konzentriert, lässt nicht darauf schließen, dass es sich hier um eine Wunschkonstellation handelt. Der Groll in weiten Teilen der SPD ist also zu verstehen.

Aber jetzt ruft die Pflicht. „Die Bundesrepublik braucht eine starke Regierung“ (Merkel, 23.9.). Die wird sie wohl auch bekommen, aber zu welchem Preis? Erstaunlich, ja befremdlich war der Umstand, dass die Koalitionäre in spe (nicht nur) zu Beginn viel Zeit mit Nebensächlichkeiten verloren haben. So als ob man sich erst hätte warmlaufen müssen. Die dicken Dinger kamen ganz zum Schluss, meistens spätabends oder gar nach Mitternacht. Man kennt diese Zermürbungstaktik ja von EU-Gipfeln, wenn den Unterhändlern langsam der Sauerstoff ausgeht und die Augenlider schwer werden. Und dann dieses Rumgedruckse, Stichwort PKW-Maut. Aus „ausländischen Autofahrern“ werden „nicht ansässige Fahrzeughalter“ und irgendwann wahrscheinlich „Autos mit Migrationshintergrund“. Was ist zu halten von gestandenen Politikern/innen, denen viel Halbes, aber nur wenig Ganzes gelingt? That’s politics, stupid! Immerhin kann sich die SPD über einige Achtungserfolge freuen – siehe Mindestlohn (er kommt spät, aber er kommt) oder Doppelpass (der macht den Konservativen Angst) –, auch wenn die Kirche im Dorf geblieben ist.

Claude Gengler
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