Babel

Wenn Heldenmütter Schwänze verbraten

d'Lëtzebuerger Land du 28.10.2011

„Es hat mal eine Zeit gegeben, da war der Mensch durch Denken genießbar“, befindet Irm in den ersten Zeilen. Dies wirkt angesichts dessen, was dem Zuschauer in knapp 90 Minuten vor Augen geführt wird, wie blanker Zynismus. Mit kalter Hand unterteilt Babel den menschlichen Makel in „Heldenmütter“ und „gebratene Schwänze“, und somit Männer. Genauer: Söhne. Dieses Gesellschaftsbild durchsetzt und konstruiert sie mit pervertierter Sprachgewalt an Sex, Stumpfsinn, Ekel. Und damit herzlich willkommen in der geistigen Welt der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Nora König, Christiane Rausch und Pitt Simon übernehmen die Rollen in Anne Simons szenischer Lesung zu Jelineks monologischem Drama. Dabei entstehen in teilweise surrealen Sequenzen Gedankenwelten, die aus Jelineks Reflexionen zur Nachkriegssituation im Irak gespeist sind. Angeklagt wird so die Reduktion des öffentlichen Diskurses auf das rein Sexuelle, Gier und Fressen. Nicht Fortpflanzung, nicht Sinnlichkeit, nicht Bedarf, nicht Genuss.

In einer völlig entseelten Medienwelt ist der Mann Idiot und Kriegsheld, Schwanz und Selbstmordattentäter zugleich. Unterschiede sieht Jelinek nicht. Das Primitive im Mann wird zum Kernstück seiner Psyche stilisiert. Nicht ohne Grund tritt der in seinen ersten Szenen Daumen nuckelnde Säugling in Latzhosen auf und entweicht diesem Bilde der Einfalt nie. Seine Freizeitbeschäftigung begrenzt sich auf Blödheit, blödes Fernsehen, blödes Verschlingen. Reflexion findet keinen Raum. Erst der spätere Aufprall kriegerischer Manneskräfte auf mythischer (Apoll und Achilles), westlicher (Wärter auf Guantanamo, Charles Graner) und „feindlicher“ (Gefangener, Terroristen) Ebene entwickelt sich zu jener Reflexivität, die nicht in einer einzigen komplexeren, sondern in mehreren simplen Figuren im selben Darsteller zum Tragen kommt. Diskurs entsteht nicht durch dialektisches Abwägen, sondern durch konfliktträchtiges Gegeneinander.

Christiane Rausch als Mutter Margit, die ihren idiotischen Sohn mit Wurst vollstopft, stilisiert diesen Medienterror zur vollkommenen Abart: „Ich eröffne jetzt dieses Institut für Gotteskriegerinnen und übertreffe damit diese Gotteskriecherinnen. Ich bin bestrebt, meinen Sohn zu opfern, damit ich berühmt werde, den Sohn zu opfern.“

Die Inszenierung lebt nicht nur von ihren Darstellern, die Jelineks Sprache zum Leben erwecken, sie beißen und stechen lassen. Es untermauern auch so manche Regieeinfälle die weit verstreute Gnadenlosigkeit der Autorin: Während Margit ihre Mutterrolle zum Äußersten treibt, bereitet Irm auf der Nebenbühne seelenruhig einen Hot Dog nach dem anderen zu. Das Publikum wird damit versorgt und so nicht nur zur reinen Belustigung Teil des Spiels. Die öffentliche Reduzierung des Menschen auf Sex, „Schwanz“ und gieriges „Würgen“ wird auch auf die Zuschauer übertragen. Die Wurst als auch im Text verarbeitete Phallus-Metapher, die Ablenkung des Publikums von komplexer Reflexion auf den Geruch von Wiener, Brot und Ketchup sorgen nicht gerade für kulinarischen Hochgenuss, aber für eine rücksichtslose Bloßstellung der jelinek’schen Welt in uns: Abu Ghraib, das Lynchen auf der Blackwater Bridge, Guantanamo und die Profitoptimierung des privatisierten Krieges sind Teil dessen, was wir im Rahmen einer totalen Öffentlichkeit tagtäglich konsumieren. So lange wir gefüttert werden, gärt jedoch kein Protest. Wir leben um zu „fressen“, zu „ficken“, um „Kriegshelden“ für den digitalen Staub zu gebären. Das Hirn bleibt derweil im Offline-Modus zurück.

Anne Simon hat Jelineks Sprachgewalt mit jenem Zynismus in Szene gesetzt, nach dem die Vorlage geradezu schreit. Mit von der CIA freigegebenen Gräuelfotos sind die Wände behangen. Die Gesichter des High-Tech- und Medienkrieges blicken auf den Zuschauer herab. Das posttraumatische Verwirrspiel des Kriegers und die gesellschaftliche Gier nach immer mehr Bildern und Videos kulminiert in Pitt Simons Figur, die ans Kreuz geschlagen wird. Ist es das Kreuz des Gotteskriegers, gar jenes des Verfechters christlicher Werte? Es ist eigentlich schnurzpiepegal. Das Kreuz lernt gar fliegen, wie vorhin ein Modellflugzeug geradewegs in Wolkenkratzer aus Legosteinen. Gewalt wird zum Kindheitstraum.

Anne Simon hat Babel mit wenigen Mitteln, aber überzeugend auf die Bühne gebracht.

Babel von Elfriede Jelinek; eine Produktion des Kasemattentheaters in Zusammenarbeit mit der Germanistik der Universität Luxemburg; Regie von Anne Simon; Darsteller: Nora Koenig, Christiane Rausch; Pitt Simon. Keine weiteren Vorstellungen.
Claude Reiles
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