Leitartikel

Niedrigerer Lebensstandard

d'Lëtzebuerger Land vom 13.12.2013

Die neuen Regierungsparteien „sind vom gemeinsamen Willen beseelt, unsere Gesellschaft zu modernisieren, zu verändern, um in Zukunft unser Wohlergehen wie in der Vergangenheit zu gewährleisten“. Deshalb sei es wichtig, „unverzüglich Reformen anzugehen“, hatte in ihrer Regierungserklärung die DP/LSAP-Koali­tion im Juli 1974 angekündigt. Fast 40 Jahre später schlug Xavier Bettel diese Woche im Namen der DP/LSAP-Grünen-Koalition die gleichen Töne an. Doch im Gegensatz zu damals, als das ganze Land auf die Details des neuen politischen Aufbruchs wartete, war niemand mehr auf Bettels Erklärung gespannt. Denn durch einen groben dramaturgischen Fehler hatten die drei Parteien ihr Koalitionsabkommen zu früh unterzeichnet und es dadurch bereits vor der Regierungserklärung veröffentlichen müssen.

Mangels neuer Inhalte hätte die Regierungserklärung also zumindest zur rhetorisch geschickten Mobilisierung des ganzen Landes für die Reformziele und Sparpläne der neuen Koalition herhalten müssen. Doch die Rhetorik lieferten anderntags Jean-Claude Juncker und Gast Gibéryen etwas geschickter nach. Die Regierungserklärung beschränkte sich dagegen auf den monotonen Vortrag einer von einem Fraktionssekretär aufgestellten Zusammenfassung des Koalitionsabkommens.

Was das Kernstück der ganzen Legislatur angeht, der angekündigte ausgeglichene Staatshaushalt, weiß auch nach der Regierungserklärung noch immer niemand, wer die anderthalb Milliarden Euro jährlich zahlen muss, die dieses Unterfangen kosten soll. Dabei hatte der Premier in den vergangene Wochen alle drängenden Fragesteller erst auf den Abschluss der Koalitionsverhandlungen und dann auf seine Regierungserklärung vertröstet. Doch auch in der Regierungserklärung wurden die besorgten Steuerzahler weiter vertröstet, die neue Regierung und ihr neuer Finanzminister müssten erst noch screenen, auditen und die Kasse stürzen.

Der Premier hätte jedoch ohne die von ihm kritisierte Angst vor den Bürgern mitteilen können, dass während der Koalitionsverhandlungen bereits konkrete Sparmaßnahmen insbesondere in der Familien und Wohnungsbaupolitik berechnet, von den Delegationen diskutiert und den Parteigremien begutachtet wurden. Beispielsweise wurde eine Besteuerung des Kindergelds erwogen, die 148 Millionen Euro, und des Kinderbonus, die 50 Mil­lionen einbrächte. Weil diese Besteuerung aber insbesondere bei Grenzpendlerhaushalten kompliziert ist, könnten als Alternative wieder Beitragszahlungen zum Kindergeld eingeführt werden. Doch anstelle der vor Jahren abgeschafften Unternehmerbeiträge müssten dann alle zahlen. Die Staffelung des Kindergeldbetrags je nach Rangfolge von Geschwistern könnte abgeschafft werden, um 125 Millionen zu sparen. Gedacht wird auch an die Abschaffung der 71 Millionen kostenden Erziehungszulage und der Schulanfangsprämie. Die derzeit 65 Millionen Euro kostende Mammerent für die treusten CSV-Wählerinnen soll abgeschafft werden, wobei sie bis zur völligen Abschaffung nur noch aktuellen Bezieherinnen mit niedrigen Einkommen gewährt würde. Gedacht wird auch an die Abschaffung der 18 Millionen Euro kostenden Zinszuschüssen beim Wohnungsbau. Jede Erhöhung um einen Prozentpunkt des vergünstigten Mehrwertsteuersatzes bei Bauarbeiten in Wohnungen brächte weitere 16,5 Millionen Euro ein.

Insbesondere „die Familien- und Wohnzulagen sind Bereiche, wo der Handlungsspielraum groß ist“ für Einsparungen, hatte Xavier Bettel schon am 31. Oktober in den Koalitionsverhandlungen gemeint und die Diskussionen zwischen DP, LSAP und Grünen mit den Worten zusammengefasst, die „soziale Selektivität muss eine Richtlinie“ der neuen Regierung sein, das Land kenne „in Zukunft einen gegenüber der Vergangenheit niedrigeren Lebensstandard“.

Romain Hilgert
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