Quellensteuer

Bruch mit der Vergangenheit

d'Lëtzebuerger Land vom 16.07.2009

Wurde durch die Einführung der Quellensteuer 2005 ein Deckel auf die Vergangenheit getan oder kann, wer vorher bei der Steuer geschummelt hat, noch nachträglich besteuert werden? Mit dieser Frage setzte sich das Verwaltungsgericht Ende Mai auseinander, und auch der Verwaltungsgerichtshof wird sich damit noch beschäftigen müssen. Denn eine Familie, die von der Steuerverwaltung nachträglich besteuert wurde und dagegen administrativ und gerichtlich vorging, will sich mit dem Urteil aus erster Instanz, das der Steuerverwaltung Recht gab, nicht abfinden. Sie hat Berufung eingelegt – verständlicherweise, denn es geht um viel Geld.

Frau X geriet nach dem Tod ihres Ehemannes ins Visier der Steuerbehörde. Im Rahmen der Regelung der Erbschaft des verstorbenen Mannes erhielt die Administration de l’Enregistrement et des Domaines detaillierte Informationen über seinen Besitz. Unter anderem über zwei Bankkonten, auf denen erhebliche Geldsummen lagerten. Diese Informationen leitete das Enregistrement im Januar 2005 an die Steuerbehörde weiter. Erst am 21. Mai 2007 forderte daraufhin das Steuerbüro Echternach weitere Angaben über die Kapitalerträge auf besagten Konten für die Steuerjahre 1997 bis 2005 an, sowie das jeweilige Saldo zum 31. Dezember. Informationen, welche dem Büro Anfang Juli 2007 übergeben wurden. 

Daraufhin wurden Frau X neue Steuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2001 und definitive Steuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2004 ausgestellt, die darauf abzielten, sowohl die Ertragssteuer als auch die bis 2005 geltende Vermögenssteuer einzufordern. Darin wurde beispielsweise die Basis zur Berechnung der Vermögenssteuer – 0,5 Prozent jährlich – im Jahr 1997 um 267,4 Millionen Luxemburger Franken erhöht, 2001 um 308,9 Millionen Franken, für die Jahre 2002 bis 2004 um 7,9 Millionen Euro angehoben. Gelder, die der Verstorbene und seine Frau nicht deklariert hatten. Das zu besteuernde Einkommen wurde ebenfalls um nicht deklarierte Zinsen erhöht – von 1997 bis 2004 insgesamt rund 610 000 Euro. Beträge, die angesichts der finanziellen Situation der Familie mit dem Spitzensteuersatz versehen waren.

Dagegen beschwerte sich Frau X beim Direktor der Steuerverwaltung. Als der sechs Monate lang schwieg und damit ihrer Beschwerde eine Abfuhr erteilte, zog sie vor das Verwaltungsgericht. Ihr Anwalt führte dort Artikel 9 des Gesetzes vom 25. Dezember 2005 ins Feld, besser bekannt als das Gesetz, mit dem die Quellensteuer eingeführt wurde. Darin heißt es unter dem Titel „Liquidation du passé“, dass Informationen über quellensteuerpflichtigen Erträge und befreite Zinsen auf Spareinlagen nicht genutzt werden können, um einen Steuerbetrug zu ahnden oder Ertrags- und Vermögenssteuer für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu erheben.1 Ob damit eine Art Amnestie für die Zeit vor Einführung des Quellensteuer gemeint ist? 

Keinesfalls, lässt sich die Argumentation der Vertreterin der Steuerbehörde vor Gericht interpretieren. Durch diese Verfügung habe der Gesetzgeber lediglich eine klare Unterscheidung und Trennung zwischen den Büros, die für die Erhebung der Zinsbesteuerung und den anderen Steuerbüros schaffen wollen. Ersteren sollte durch das Gesetz verboten werden, Informationen, die im Rahmen ihres Kontrollauftrages und den Prüfungen, die sie vornehmen, um zu testen, ob die Zahlungsagenten, sprich die Banken die Quellensteuer richtig aufheben, auf ihren Schreibtischen landen, an Letztere weiterzugeben.2

Der Rechtsbeistand von Frau X argumentierte dagegen, besagter Artikel erwähne nur die „Informationen“, die nicht genutzt werden dürften und rede nicht von Steuerbüros, die solche weiterreichen dürfen oder aber nicht. In erster Linie hatte die Anwältin der Steuerbehörde jedoch ohnehin argumentiert, dass diese vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2006 von den bis dahin verheimlichten Konten wusste: „Das Gesetz kann nicht rückwirkend wirksam sein“, so die Juristin. 

Das Gericht gab der Verwaltung in Sachen Chronologie und Retroaktivität Recht. Das Gesetz trat erst am 1. Januar 2006 in Kraft, die Informationen hatte das zuständige Steuerbüro vorher, so das Gericht. Ob es dabei eine Rolle spielt, dass die korrigierten Steuerbescheide aber nicht auf Basis dieser Informationen ausgestellt wurden, sondern erst nachdem Frau X im Jahr 2007, als das Quellensteuergesetz also schon gültig war, die jeweiligen Salden meldete? Darauf ging das Gericht erster Instanz nicht ein. 

Es entschied zudem, die Steuerbehörde sei im Recht gewesen, als sie auf Basis der vom Enregistrement weitergereichten Kontendaten die Steuerbescheide korrigierte. Weil die Informationen eben von dort, und nicht von einem anderen Steuerbüro kamen. Dass sich der Artikel 9 des Quellensteuergesetzes darauf bezieht, schlussfolgern die Richter aus der Lektüre der parlamentarischen Unterlagen, in denen es unter dem Absatz „Aufrechterhaltung des Bankgeheimnisses“ steht: „Informationen über quellensteuerpflichtige Erträge können nicht unter Steuerbüros ausgetauscht werden“, um Steuerdelikte aus den vorangegangenen Jahren zu ahnden.

Ob es nun im Sinne des Gesetzgebers war, mit Einführung der Quellensteuer die Vergangenheit ruhen zu lassen? Ob er die Absicht hatte, jedweder Ahndung von Hinterziehung und Betrug, die vorher geschahen, einen Riegel vorzuschieben? Dass das Gericht in zweiter Instanz in diesem Sinne entscheidet und zum Schluss gelangt, hier habe eine Zäsur stattgefunden, dürfte die einzige Chance für Frau X sein. Denn eigentlich dürfte es keine Rolle spielen, ob die ersten Informationen vom Enregistrement stammen oder nicht: Sie wurden ohnehin nicht in Anwendung des Quellensteuergesetzes zu Tage gefördert, sondern durch die Abwicklung ihrer Erbschaft. 

Derzeit halten sich die Parteien mit Aussagen über den Ausgang der Auseinandersetzung bedeckt. Zu unsicher ist die Sachlage. Eine Flut ähnlicher Fälle ist nicht zu erwarten. Außerdem, je mehr Zeit vergeht, umso unwahrscheinlicher wird es, dass weitere Fälle dieser Art zu Tage gefördert werden, auch wenn auf nicht deklarierten Einkommen die Verjährungsfrist zehn Jahre beträgt. Eines steht aber fest: Sollte jemand wie Frau X, der neun Millionen Euro vor dem Fiskus versteckt hielt und dem Staat über die Jahre hinweg Millionen vorenthielt, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen und nachträglich zur Kasse gebeten werden können, werden sich die Steuerehrlichen  veralbert  fühlen.

1 Aucune information concernant les revenus soumis à la retenue libératoire et les intérêts dispensés de retenue touchés sur un dépôt d’épargne, ne peut être utilisée aux fins d’une poursuite pour fraude ou d’une imposition relatives aux impôts sur le revenu ou sur la fortune nés avant l’entrée en vigueur de la présente loi, si les revenus ne proviennent pas de fonds ou de placements qui constituent ou ont constitué, dans le chef du contribuable, un élément de l’actif net investi dans une entreprise commerciale ou dans une exploitation agricole ou forestière, ou de l’actif net servant à l’exercice d’une profession libérale.

2 La retenue à la source ne remet pas en cause le secret bancaire. L’agent payeur retient la retenue à la source pour compte du bénéficiaire et la verse à l’Etat sans désignation des bénéficiaires des revenus.Le contribuable n’aura donc plus aucune obligation de déclaration.L’agent payeur remet au bénéficiaire des revenus un certificat ou tout autre document renseignant le montant des revenus soumis à la retenue, le montant de la retenue d’impôts et la date de la mise à la disposition des revenus.Le contrôle fiscal est limité à la vérification des systèmes informatiques utilisés par les agents payeurs, et ne peut s’étendre à l’accès et au contrôle des données individuelles.Les informations concernant les revenus soumis à la retenue libératoire ne peuvent être échangées entre les bureaux d’imposition. Leur utilisation à des fins de poursuite pour fraude ou d’une imposition à charge d’exercices antérieurs au 1er janvier 2006 est également exclue.Ces restrictions ne valent cependant que pour des revenus d’intérêts provenant du patrimoine privé et non pas pour ceux d’un patrimoine d’exploitation. 

Michèle Sinner
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