Attentate von Paris

Welche Konsequenzen?

d'Lëtzebuerger Land vom 16.01.2015

Frankreich ist erschüttert. Europa ist erschüttert. Die ganze Welt schon erheblich weniger. In zu vielen Ländern sind Attentate wie die auf die Redaktion von Charlie Hebdo, die Pariser Ordnungshüter, den koscheren Supermarkt und den Jogger, an dem eine Attentatswaffe ausprobiert wurde, an der Tagesordnung. Das weltweite Mitgefühl dürfte im Durchschnitt etwa so stark sein wie die Reaktion der Europäer auf Anschläge und Selbstmordattentate im Irak, in Pakistan, Afghanistan, Syrien, Libyen, Nigeria oder wo auch immer. In den meisten Staaten der Welt gibt es darüber hinaus nur wenig Verständnis für die europäische Auffassung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit, wie die Reaktionen gemäßigter islamischer Gelehrter auf die neue Ausgabe von Charlie Hebdo beispielhaft zeigen. Man muss die Attentate in eine weltweite Perspektive setzen, wenn es um die Frage geht, welche Konsequenzen aus ihnen gezogen werden sollten.

Europa befindet sich im Verteidigungsmodus. Politiker aus allen EU-Ländern überschlagen sich mit neuen Gesetzesverschärfungen. Spiegel-online hat dieser Tage aufgelistet, in welchen europäischen Ländern welche Maßnahmen diskutiert werden. Es ist ein teilweise beängstigender Katalog, der erahnen lässt, wie schmal der Grat ist, auf dem die europäischen Demokratien wandeln. So gesehen haben die islamistischen Terroristen schon sehr viel erreicht. Auf europäischer Ebene soll mal wieder die Koordination verbessert werden, die übliche Reaktion, wenn etwas, egal auf welchem Politikfeld, besonders schief läuft. Kern dieser Aussage ist vor allem, dass es um die Koordination schlecht bestellt ist.

Warum ist das so? Offensichtlich teilen die Mitgliedstaaten nicht alle Informationen, über die sie verfügen, und nutzen die heute schon gegebenen Möglichkeiten bei Europol bei weitem nicht aus. Man muss sich auch fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, dass jedes EU-Land seine eigenen Gesetze gegen einen gemeinsamen Feind erlässt, der nicht einzelne Länder, sondern die europäische Auffassung von Zivilisation insgesamt angreift. Sollte tatsächlich, was nicht nur der spanische Innenminister fordert, das Schengenabkommen modifiziert und sollten nationale Grenzkontrollen wieder ermöglicht werden, dann steht es schlecht um Europa.

Statt die EU zurückzubauen, muss sie ausgebaut werden. Statt die Mitgliedstaaten noch mehr zu den entscheidenden Akteuren zu machen, muss die Terrorbekämpfung auf europäischer Ebene operationell werden. Man kann nicht einen Gegner, der ganz Europa als Bühne benutzt, nur in Segmenten bekämpfen. Die EU braucht eine Organisation, die in allen Ländern aus eigenem Ermessen tätig werden kann, natürlich in rechtsstaatlich abgesicherter Weise. Der reine Austausch von Informationen ist viel zu kompliziert und viel zu anfällig dafür, dass Informationen in falsche Hände geraten. Eine europäische Polizei mit bestimmten Befugnissen einzuführen wäre eine Revolution. Es sind die Mitgliedstaaten selbst, die die effektivste Art der Terrorismusbekämpfung verhindern.

Europa erlebt eine vielfältige Krise und braucht den Mut für einen neuen Schuman-Plan. Es wird Zeit, dass weitere Integrationsschritte erfolgen: Eine europäische Polizei, eine europäische Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie eine europäische Armee sind hier erste Stichworte. Wie einst bei Schuman geht es auch um die Einbindung Deutschlands, das praktisch alleine über die Euro-Schuldenpolitik entschieden hat. Integriert sich Europa nicht weiter, wird es einen höheren Preis bezahlen müssen, als sich das viele heute vorstellen können.

Christoph Nick
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