Einkommenssteuersatz

Immer flacher

d'Lëtzebuerger Land du 10.08.2000

Manchmal ist es etwas schwierig, die Kohärenz der Steuerpolitik in den letzten zehn Jahren zu erkennen, obwohl immer derselbe Finanzminister dafür verantwortlich war. Ein Blick auf die für nächstes Jahr angekündigten Senkungen der Einkommenssteuer hilft da wenig.

So lag die 1990 unter den Spitzensteuersatz fallende Stufe des versteuerbaren Einkommens bei mindestens 1 321 201 Franken, 1991 wurde sie leicht auf 1 269 001 Franken gesenkt, 1998 wieder auf 2 640 001 Franken verdoppelt, um nächstes Jahr mit 1 356 001 Franken wieder auf das Niveau von 1991 gesenkt zu werden.

Und am 23. Oktober 1997 hatte Finanzminister Jean-Claude Juncker vor dem Parlament versprochen, dass der Eingangssteuersatz als bleibende "Strukturveränderung" auf ein "historisch und auch international unerreicht tiefes Niveau" von sechs Prozent gesenkt werde, jetzt soll er wieder erhöht werden - ein Jahr lang sogar auf ein historisch hohes Niveau von 14 Prozent, um dann wieder auf zehn Prozent gesenkt zu werden.

Denn im Gegensatz zu den ersten Kommentaren, die in den zum 1. Januar nächsten Jahres vorgezogenen Änderungen der Einkommenssteuer nur "notwendige Maßnahmen statt einer Reform" erkannten, wie die Grünen meinten, plant die Regierung auch Änderungen an der Struktur der Steuertabelle. Selbst wenn es beispielsweise zu keinen  Änderungen an der 1991 von der DP stark kritisierten Deklassierung verschiedener Steuerpflichtiger der Klasse 2 kommt. Auch die von den Liberalen wiederholt geforderte Herabsetzung der Solidaritätssteuer auf null und die Steuerbefreiung des Mindestlohns in der Klasse 1 sind nicht vorgesehen. Doch für tiefer greifende Änderungen ist ja noch immer 2002 Zeit, wenn die zweite Etappe der Reform in Kraft treten soll.

Trotzdem sind auch die nun geplanten Änderungen nicht unerheblich. 1998 wurde, nicht zuletzt auf Druck der LSAP, der unter den Spitzensteuersatz fallenden Einkommenssteuerhöchststufe eine 1 319 999  statt 68 999 Franken große Sonderstufe vorgeschaltet, weil zu viele Steuerzahler unter den Spitzensteuersatz fielen - drei Jahre später wird sie jetzt wieder abgeschafft. Mit dem Resultat, dass ab nächstem Jahr schon Junggesellen mit einem besteuerbaren Jahreseinkommen von 1 356 001 Franken unter den Spitzensteuersatz fallen. Erstaunlicherweise findet die LSAP in ihrem Kommentar zu den Steuerplänen der Regierung nichts an einem solchen Wechsel von sozialdemokratischen zu liberalen Elementen in der christlichsozialen Steuertabelle auszusetzen.

Die gleichzeitige Senkung des Spitzensteuersatzes und die Halbierung des Betrags, unter dem er fällig wird, bedeuten jedoch, dass die Progression der Steuertabelle vor allem für die mittleren Einkommen gilt, während ein immer größerer Teil der hohen Gehälter von der Progression ausgenommen ist - jene, die auch am meisten von Freibeträgen und Abzugsposten profitieren können. Um den Produktionsstandort für hoch bezahlte ausländische Spezialisten attraktiv zu machen, kommt so der 1991 abgeschaffte Mittelstandsbuckel ungewollt zurück in die Steuertabelle.

Denn das Ziel der ganzen Operation ist es, die Progression weiter abzuflachen. Die Progression der Steuertabelle war im Sommer  1913 mit einer 128-stufigen Mobiliarsteuer geschaffen worden, weil die Bezieher höherer Einkommen es sich leisten können, sich verstärkt an der Finanzierung der Staatsausgaben zu beteiligen - ein Umverteilungsprinzip, das  heute manchen etwas unmodisch erscheint. Enthielt der Einkommenssteuertarif 1990 noch 25 Stufen, so sind es seit 1991 nur noch 18 und nächstes Jahr sollen es deren nur 16 werden. Das neoliberale Ideal der "flat tax rate" ist zwar noch weit entfernt, aber zumindest die Richtung stimmt.

Denn gleichzeitig wird der Unterschied zwischen dem Eingangs- und dem Spitzensteuersatz ständig verringert. 1990 reichte die Spannweite noch von zehn bis 56 Prozent und machte 46 Prozentpunkte aus. Heute reicht die Spannweite noch von sechs bis 46 Prozentpunkte und macht 40 Prozentpunkte aus. Nächstes Jahr soll die Spannweite von 14 bis 42 Prozent reichen und nur noch 28 Prozentpunkte ausmachen. Das ist eine weit drastischere Verringerung als beispielsweise durch die "große" Reform 1991; sie kommt durch die gleichzeitige Erhöhung des Eingangs- und die Senkung des Spitzensteuersatzes zustande. 2002 sollen beide parallel gesenkt werden, so dass die Differenz von 28 Prozentpunkten erhalten bleibt.

Erstmals wird nächstes Jahr die rein lineare Progression zwischen Eingangs- und Höchststeuersatz verwirklicht, die sich vergleichsweise strukturneutral gegenüber den gesellschaftlichen Einkommensunterschieden verhält. 1990 variierten die einzelnen Stufen der Steuertabelle noch zwischen 27 599 und 82 799 Franken. Im Kampf gegen diesen "Mittelstandsbuckel" wurden 1991 die Stufen auf 62 999 Franken vereinheitlicht.

Ausgenommen blieb 1991 jedoch die unter einen reduzierten Eingangssteuersatz fallende erste Stufe von 101 999 Franken, eine soziale Maßnahme, damit "man am Anfang, wo Steuern bezahlt werden, auf einer möglichst großen Distanz möglichst wenig bezahlt", so Juncker am 29. November 1990 vor dem Parlament. Diese Sonderstufe ist derzeit mit 83 999 Franken nur noch geringfügig größer als die anderen. Nächstes Jahr soll sie zusammen mit dem 1991 geschaffenen reduzierten Eingangssteuersatz abgeschafft werden, indem die erste Stufe nicht mehr mit sechs, sondern gleich mit 14 Prozent besteuert wird und der Steuersatz danach je Stufe regelmäßig um zwei Prozentpunkte zunimmt. Zum Ausgleich wird der Grundfreibetrag dann um fast die Hälfte erhöht.

Romain Hilgert
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