Eine Orange Woche gegen Gewalt gegen Frauen reicht nicht. Es braucht besseren Schutz für die Opfer. Und ein konsequentes Vorgehen gegen patriarchale Rollenzuschreibungen

Vom Partner gequält

d'Lëtzebuerger Land du 30.11.2018

Sie lag im Bett, als ihr Partner sie eine Woche nach Silvester 2017 mit Benzin überschüttete und anzündete. Das Gericht verurteilte den Täter zu fünf Jahren Haft, davon zwei auf Bewährung, weil er half,as Feuer zu löschen, bevor die Frau verbrannte und ihm keine Tötungsabsicht nachgewiesen wurde. laut Opfer soll er sie zu einem früheren Zeitpunkt mehrfach geschlagen, eine Woche zuvor ein Kuscheltier angezündet undgedroht haben, sie als nächstes anzuzünden. Weil sie nach dem Vorfall aber nicht zur Anhörung auf dem Polizeirevier erschienen war, galt ihre Aussage nicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Frau blieb am Leben, gezeichnet durch schwere Brandverletzungen von zwölf Prozent ihrer Haut. Eine 45-jährige Frau aus Schifflingen überlebte die Messerattacke ihres Freundes im Juni dieses Jahres dagegen nicht. Nur einen Monat später wurde eine 22-jährige Frau in Remich von ihrem gleichaltrigen Partner nach einem Streit mit einem Messer getötet. Als das Luxemburger Wort vor sechs Jahren eine Übersicht zu den Bluttaten der vergangenen Jahre veröffentlichte, sprang der hohe Anteil an Beziehungstaten ins Auge. Ein „Mann sieht rot“, nach einem „Streit“ oder „Beziehungsdrama“ steht dann in den Schlagzeilen. 2008 war ein besonders blutiges Jahr: Im Januar in Arlon, im Juni in Echternach, im Oktober auf dem Kirchberg endeten Angriffe auf Frauen tödlich. Der Täter war in allen Fällen der Partner respektive Ex-Partner, der zum Messer, zur Schusswaffe griff oder mit den bloßen Händen zur Tat schritt, weil er sich gestritten hatte oder sich mit einer Trennung nicht abfinden wollte.

715 Mal rückte die Polizei 2017 aus, um nach einem Notruf nach dem Rechten zu schauen, weil ein Partner einer Frau nachgestellt, sie eingesperrt, bestohlen, genötigt, bedroht oder beleidigt haben soll. In 217 Fällen sprach sie gegen den Täter eine Wegweisung aus, das heißt, der gewalttätige Partner durfte mindestens 14 Tage die gemeinsame Wohnung nicht betreten. Die häusliche Gewalt geht in den meisten Fällen von männlichen Partner aus: 80 bis 90 Prozent der Opfer sind weiblich. In Luxemburg haben Schätzungen zufolge etwa 22 Prozent der Frauen in ihrem Leben Gewalt in der Beziehung erfahren.

Doch obwohl diese skandalöse Tatsache allseits bekannt ist, ist es für die betroffenen Frauen weiterhin schwierig, sich wirksam gegen die Aggressoren zu wehren. Als eine Frau im Spätsommer in der Hauptstadt am helllichten Tag auf der Straße von ihrem Ehemann angegriffen wird und dies der Polizei melden will, schickt sie der diensthabende Beamte mit den Worten weg: „So lange es keine Zeugen gibt, können wir nichts tun.“ Der tobende Mann hatte den völlig verängstigten, minderjährigen Sohn im Auto. „Solche Fälle erleben wir immer wieder“, bestätigt Andrée Birnbaum. Die Präsidentin von Femmes en détresse, eine gemeinnützige Organisation, die Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, Unterstützung und ein Dach überm Kopf bietet, unterstreicht: „Die Polizei ist verpflichtet, jeden Übergriff aufzunehmen, den eine Person melden will. Sollte es diesbezüglich Beschwerden geben, wenden wir uns direkt an die Polizeidirektion.“

Nicht nur die Unwissenheit, mangelndes Einfühlungsvermögen oder eine unzureichende Aus- und Weiterbildung von Polizei und Justiz erschweren den wirksamen Schutz von Frauen und ihren Kindern. Das entsprechende Gesetz, obwohl überarbeitet, hat Lücken. „Es ist für Frauen nicht möglich, eine bereits verlängerte Wegweisung erneut verlängern zu lassen. Dann kann der Partner 14 Tage nach der Verlängerung von einem Tag auf den anderen zurück in die Wohnung kommen“, erklärt Birnbaum. Dafür muss der Gewalttäter nicht einmal im Mietvertrag stehen: Es reicht, dass er an derselben Adresse gemeldet ist. „Einige Gemeinden passen auf solche Härten auf, andere sagen, sie könnten den Zutritt nicht verhindern“.

Für die Frau bedeutet das im schlimmsten Falle die Rückkehr in eine Spirale von trügerischem Frieden, Beschimpfungen, Drohungen und Gewalt – wenn sie nicht den Mut und die Kraft findet, den Täter zu verlassen, sie bei Freunden, Verwandten oder in Wohnungen des Frauennotrufs unterkommt. Im Moment platzen Letztere aus allen Nähten. Es gibt Wartelisten, so dass Femmes en détresse nur in absoluten Notfällen Frauen direkt aufnehmen kann, sagt Birnbaum. „Weil die Wohnungsnot in Luxemburg groß ist, bleiben Frauen länger in den Wohnungen, als sie eigentlich sollten.“ Sorge macht ihr zudem das neue Scheidungsrecht: „Häusliche Gewalt wird nur berücksichtigt, wenn der Täter dafür verurteilt wird. Das ist katastrophal, weil bis dahin die Scheidung längst gesprochen wurde. Das heißt, die Frau hat dann keine Mittel, dass gewalttätiges Verhalten etwa bei der Frage des Sorgerechts oder der Unterhaltszahlung berücksichtigt wird.“

Obwohl die Zahl der Übergriffe vergangenes Jahr gesunken ist, ist die Zahl der Polizeiinterventionen wegen häuslicher Gewalt gleichbleibend hoch. Entgegen weit verbreiteten Klischees stammen die Opfer und Täter nicht nur aus sozial benachteiligten Milieus. Sie kommen aus allen Schichten, sind Anwälte, Ärzte und Architekten, Beamte, einfache Arbeiter und Angestellte. Etwa 30 Prozent waren 2017 luxemburgischer und 26 Prozent portugiesischer Nationalität. Was die Täter häufig eint, ist Experten zufolge ein patriarchales Verständnis von Beziehung und ein abwertendes Frauenbild. Oft kommen krankhafte Eifersucht, niedrige Impulskontrolle, Narzissmus, Herrsch- und Kontrollsucht hinzu; die meisten sind Wiederholungstäter. Die Schutzsuchenden in den Frauenhäusern sind insofern nicht repräsentativ, weil hier öfter Frauen landen, die keine Netzwerke und keine finanzielle Mittel haben, auf die sie in einer Krise zurückgreifen können.

Obwohl Luxemburg seit 2003 ein eigenes Gesetz gegen häusliche Gewalt hat und die blau-rot-grüne Koalition im Sommer endlich die Istanbuler Konvention von 2011 (!) zum Kampf gegen Gewalt gegen Frauen umsetzte, ist das nur die Spitze des Eisbergs. Ein ganz großer Teil an Übergriffen in Beziehungen bleibt straffrei und im Dunkelfeld. Die Französin Marie-France Hirigoyen hatte großen Anteil daran, dass psychische Gewalt, also das permanente Abwerten, Verleumdung, üble Nachrede, bewusste Falschaussagen, Stalking oder Rufmord durch den Partner seit 2010 in Frankreich ebenfalls als häusliche Gewalt bewertet und zu Wegweisungen und zu Gefängnisstrafen für den Täter führen können. Am Rande einer Konferenz 2012 in Walferdingen beschrieb die Psychiaterin diese Art von Attacken: „Psychische Gewalt sind Aussagen und Handlungen, oft subtiler Natur, die verletzen, erniedrigen oder die andere herabsetzen. Dies mit dem bewussten oder unbewussten Ziel, das Gegenüber zu unterwerfen und zu kontrollieren.“

Im Luxemburger Wegweisungsgesetz fehlt eine Definition häuslicher Gewalt, obwohl nicht nur Frauenorganisationen, sondern auch Gerichte und Staatsanwaltschaft dies bemängelt haben. Die Wegweisung bezieht sich auf physische Gewalt. Opferverbände und Frauenorganisationen fordern seit Jahren, dies zu ändern, und auch eine Studie des Luxembourg Institute of Health zu den Folgen häuslicher Gewalt von 2013 empfiehlt das. Gleichwohl nutzte Justizminister Félix Braz die späte Ratifizierung der Istanbuler Konvention nicht, um die psychische Gewalt in den Straftatenkatalog aufzunehmen. Emotionale und körperliche Gewalt gehen meist Hand in Hand.

Überhaupt hat sich der grüne Justizminister im Kampf gegen häusliche Gewalt keine Extra-Lorbeeren verdient: Die Opferambulanz, die er im Juli gemeinsam mit Gesundheitsministerin Lydia Mutsch vorstellte, soll Beweise und Spuren körperlicher Attacken und Vergewaltigungen medizinisch sichern helfen. „Das ist ein Anfang. Aber es fehlt an Hilfsangeboten für die psychischen Folgen“, sagt Andrée Birnbaum. Frauen, die monate-, wenn nicht jahrelang von ihren Partnern geschlagen, sozial isoliert, tyrannisiert und systematisch erniedrigt wurden, sind meist schwer traumatisiert, haben kein Selbstwertgefühl mehr, sind in emotionalen Abhängigkeiten gefangen und müssen den Schritt in die Freiheit oft mühsam neu lernen. Trotz eines Aktionsplans für die Gleichstellung von Mann und Frau fehlt ein Gesamtkonzept, um sexuelle und sexistische Übergriffe zuhause – und ihre Folgen für die Opfer –, aber auch im öffentlichen Raum, in Schule und Ausbildung oder am Arbeitsplatz konsequent zu bekämpfen.

Anders als die französische Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa, die seit Amtsantritt mehrere Initiativen zum besseren Schutz von Opfern von sexueller Gewalt oder Belästigung ins Leben gerufen hat (in Frankreich können sexistische und sexuelle Angriffe neuerdings anonym auf einem Onlineportal gemeldet werden. Zudem kündigte Schiappa an, die Polizei könne bald bei sexistischer Belästigung auf der Straße Geldstrafen verhängen) oder als der ehemalige deutsche Justizminister Heiko Maas, der für die Ratifizierung der Istanbuler Konvention das dortige Strafrecht von ExpertInnen aus Justiz und Wissenschaft akribisch auf Schutzlücken, Widersprüche und Relevanz durchleuchten ließ, mangelt es hierzulande an solchen Initiativen. Félix Braz kündigte am Donnerstag aber an, die neue Regierung wolle sich dem Thema der sexuellen und sexistischen Gewalt annehmen.

Familienministerin Corinne Cahen (DP) oder (Noch-)Gleichstellungsministerin Lydia Mutsch (LSAP) marschierten gegen Gewalt gegen Frauen, gegenüber ihren Regierungskollegen setzten sie sich entweder nicht durch oder weitere Schutzmaßnahmen hatten keine politische Priorität. Wie sonst ist zu erklären, dass häusliche Gewalt nicht gesetzlich definiert ist, dass neue Formen sexueller und sexistischer Gewalt (viol par surprise oder das sogenannte upskirting) im Code pénal weiter fehlen und die Verjährungsfristen bei Vergewaltigung und Missbrauch bei zehn Jahren liegen, statt sie, wie es Opferverbände fordern, auf 30 Jahre (bei Verbrechen an Minderjährigen ab Volljährigkeit) heraufzusetzen wie in Frankreich geschehen? Dass systematische Statistiken über sexuelle und sexistische Gewalt, etwa am Arbeitsplatz, bei Menschen mit Behinderungen, sowie über Wiederholungs- und Hochrisikotäter fehlen? Dass es noch immer keinen 24-Stunden-Notruf durch spezialisiertes Personal gibt und es den Frauenhäusern an Mitteln und der Opferanlaufstelle beim Gericht an Personal mangelt? Immerhin: Transgeschlechtliche Personen wurden im Rahmen der Ratifizierung im Juli ausdrücklich vor Diskriminierung geschützt.

Es fehlt an einer Lobby für die Opfer, das Thema wird, allen dramatischen Schlagzeilen zum Trotz, weiter vernachlässigt. Als in der Abgeordnetenkammer über die Istanbuler Konvention beraten wurde, machten Menschenrechtskommission und Frauenrat mit Nachdruck auf Schutzlücken aufmerksam, etwa bei minderjährigen Kindern, die in gewalttätigen Haushalten aufwachsen und Zeugen von Übergriffen werden. Die Luxemburger Anwaltskammer versäumte es indes komplett, eine eigene Stellungnahme einzureichen, dabei stehen die Anwälte an vorderster Front und erleben die Folgen der Schutzlosigkeit ihrer Klientinnen oft aus nächster Nähe.

Etwa beim Gang vors Gericht. „Re-Traumatisierungen müssen unbedingt vermieden werden“, mahnt Andrée Birnbaum. Es komme vor, dass Anwälte der Gegenseite im Leben des Opfers herumwühlten, die mit der Tat und dem Täter konfrontiert würden, ohne dass Rücksicht auf die traumatische Dimension des Erlebten genommen werde. „Manche Richter verhören Täter und Opfer getrennt, andere wiederum lassen intimste Fragen zu, die nichts mit der Tat zu tun haben“, bemerkt Birnbaum. „Das hängt vom Richter ab.“ Immer wieder erleben sie und ihre Mitarbeiterinnen, dass Opfer durch unsensible, unprofessionelle Behandlung durch die Behörden und falschen Rollenerwartungen zusätzlich verunsichert werden. Schwerwiegende Fälle spricht sie im Comité de coopération zwischen Justiz, Polizei, Opfer- und Täterhilfsstellen, Gleichstellungs-, Gesundheits- und Justizministerium an.

Ein konsequent (selbst-)kritischer Blick auf die Arbeit von Polizei und Justiz sowie eine regelmäßige Evaluation von außen fehlen. Birnbaum hat zur nächsten Sitzung eine Vertreterin aus Großbritannien der Plattform Domestic Homicide Reviews eingeladen. Sie wurde 2004 eingerichtet, um die Begleitumstände von Tötungsdelikten aus verschiedenen Blickwinkeln zu erforschen und daraus Lehren sowohl für die Strafverfolgungsbehörden, als auch für den Gesetzgeber und Hilfsorganisationen zu ziehen. Denn nicht jeder Mann, der zuschlägt, wird zum Mörder. Aber viele, die ihre Partnerin gewollt oder ungewollt tödlich verletzen, sind zuvor bereits durch Aggressionen aufgefallen. Oft hat der Täter seine Bluttat angekündigt, seine Drohung wurde aber nicht ernstgenommen.

Ines Kurschat
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