Reform der Steuertabelle

Kleine und große Wahlbonbons

d'Lëtzebuerger Land du 27.03.1997

Während der letzten Wochen beschäftigte sich eine kleine Arbeitsgruppen von Steuerexperten der Koalition mit der geplanten Änderung der Einkommensteuertabelle für physische Personen. Ihre Vorschläge an die Regierung sind zu einem großen Teil abgeschlossen und werden möglicherweise während einer letzten Zusammenkunft endgültig verabschiedet.

Daß die CSV Vorschläge der gemeinsamen Arbeitsgruppe am Wochenende in eine Kongreßresolution als ihre angeblichen Forderungen einbaute, erscheint gegenüber dem Koalitionspartner nicht gerade als fairer Schachzug. Denn die Absicht ist klar: Nach Bekanntwerden der Vorschläge im Rahmen der Erklärung zur Lage der Nation am 7. Mai werden die Christlichsozialen sich darauf berufen können, daß sie sich mit ihren Forderungen durchgesetzt haben. So hat die LSAP Grund zur Befürchtung, daß die CSV, die den Premier- und Finanzminister stellt, den Dank der Wähler in einem Augenblick alleine zu beanspruchen wissen wird, wenn ihn angesichts der Kontroversen um Rentenreform und Pflegeversicherung beide Parteien nötig haben. Doch während am Wochenende auf ihren jeweiligen Parteitagen die Sozialisten noch ihren Spitzenkandidaten suchten, suchten die Christlichsozialen schon ihren Spitzensteuersatz.

Finanzminister Jean-Claude Juncker möchte die Steuerreform lieber als "Steuerpaket" bezeichnet wissen. Denn tatsächlich soll nicht viel mehr geschehen, als daß etwas an der Steuertabelle gedreht wird. Daß die Gelegenheit genutzt wird, um einige gesetzliche Bestimmungen an europäische Richtlinien anzupassen, dürfte sich für die wenigsten Steuerzahler direkt bezahlt machen.

Das Ausmaß der Steuersenkungen ist in etwa festgelegt. Sie sollen dem Staat einen Einnahmeausfall von über fünf Milliarden Franken jährlich bereiten, das heißt ein mit der rezenten Senkung der Unternehmensbesteuerung vergleichbarer Betrag und ein Drittel des Ausfalls der 90er Steuerreform. Allerdings wird dieser auch als Konjunkturspritze verstandene Betrag dadurch relativiert, daß die Steuerzahler seit 1994, seit die Steuertabelle nicht mehr an die inzwischen um sieben Prozent angestiegene Inflation angepaßt wurde, 4,05 Milliarden zuviel bezahlten.

 

"Nicht im Schnelldurchgang, in den Gemächern von Senningen beschließen"

 

Doch die Regierung will die Rückerstattung dieser Einnahmen bzw. die Steuersenkungen nicht linear vornehmen. Sie plant, die Gelegenheit zu einer teilweisen Umverteilung zu nutzen. In der neuen Steuertabelle sollen laut Juncker "die Progressivität verlangsamt, die Steuerkurve geglättet und die Einkommenstranchen verbreitert" werden. Um wieviel im einzelnen die Einkommensschwellen erhöht bzw. die Steuersätze gesenkt werden sollen, darüber finden derzeit noch Berechnungen in der Steuerverwaltung statt. Davon hängt schließlich der genaue Steuerausfall für die Staatskasse ab, und es ist anzunehmen, daß die endgültige Entscheidung in Senningen fallen wird, wenn die Regierung sich auf den Inhalt der Erklärung zur Lage der Nation einigen soll.

Aber wenn die einen kleinere und die anderen größere Wahlbonbons erhalten, kann das rasch zu Neid und Mißgunst führen. Nach Darstellung des Premier- und Finanzministers sollen diejenigen Steuerzahler entlastet werden, die "zwischen 100 000 und 200 000 Franken brutto monatlich verdienen und in Luxemburg einen großen Teil des Mittelstands von qualifizierten Facharbeitern, Angestellten und Beamten darstellen". Bei diesen Schichten handelt es sich zufällig um den größten Teil des Wählerreservoirs von CSV und LSAP. Denn Kleinverdiener bezahlen oft kaum oder keine Steuern und haben meist nicht einmal das Wahlrecht. Spitzenverdiener sind dagegen nicht selten liberaler gesinnt und haben häufig auch nicht die Luxemburger Staatsbürgerschaft.

Noch mehr als die Abschwächung der Progressivität, droht die geplante Herabsetzung des Spitzensteuersatzes ein politisch heikles Unterfangen zu werden. Er soll von derzeit 50 Prozent in Richtung Mitte 40 gesenkt werden und zudem erst später einsetzen. Denn viele Banken und Industrieunternehmen klagen, sie müßten zu hohe Bruttogehälter zahlen, um leitenden Angestellten und Experten Nettogehälter bieten zu können, die mit den im Ausland gewohnten vergleichbar seien.

Jede Senkung des Spitzensteuersatzes hat jedoch eine hohe symbolische Bedeutung. Denn sie wird sofort als ungerechte Steuergeschenke an die Spitzenverdiener angesehen, ganz unabhängig davon, ab welchem Betrag der Spitzensteuersatz fällig wird und wie seine Wirkung durch die Progressivität der Steuertabelle und die Abschreibungsmöglichkeiten beeinflußt wird.

 

"Geld lieber für die Finanzierung von Pflegebetten nutzen"

 

Nachdem das Luxemburger Wort vor einem Monat in einem Leitartikel geraten hatte: "Nicht nur Besserverdiener bezirzen!", sah auch der LSAP-Deputierte Lucien Lux im tageblatt schon die "Klein- und Mittelverdiener als Verlierer der geplanten Einkommenssteuerreform". Und als die griffige Formel gefallen war, daß Kleinverdiener eher mit Sozialpolitik als mit Steuersenkungen erreicht werden könnten, daß "das Geld besser für die Finanzierung von Pflegebetten" angelegt wäre, stimmten am Samstag auf dem CSV-Kongreß mehrere Dutzend Delegierte dafür, Junckers Steuerpaket ersatzlos aus der Resolution zu streichen.

Dem Premier war die Sorge abzusehen, daß die Kritiker sich auf die Senkung des Spitzensteuersatzes einschießen werden und "die  Steuerdebatte eine Fehlentwicklung wie in Deutschland nehmen wird". Ähnlich Befürchtungen scheint auch LSAP-Präsident Jean Asselborn zu hegen. Denn er forderte am Sonntag in seiner Antrittsrede, daß "tiefgreifende Änderungen in der Progression der Steuerlast oder im Spitzensteuersatz nicht im Schnelldurchgang und alleine in den Gemächern von Senningen beschlossen" werden dürften.

Um den Vorwurf abzuschwächen, daß sie die Steuertabelle sozial ungerechter machen werde, weist die Regierung darauf hin, daß der Spitzensteuersatz nicht bloß Spitzenverdiener, sondern bei Jahreseinkommen von 1,36 Millionen schon Mittelschichtjunggesellen belaste. Vor allem aber will sie den Eingangsteuersatz von derzeit zehn Prozent senken. Dies soll als sozialgerechte Parallele zur Senkung des Spitzensteuersatzes und zur Abschwächung der Progressivität dargestellt werden, auch wenn davon in Wirklichkeit alle Steuerzahler profitieren werden und die Kleinverdiener vergleichbar am wenigsten.

Aber strukturelle Reformen sollen vor den Wahlen keine mehr vorgenommen werden. Zwar hatte Juncker bei dem Steuerexperten der LSAP, dem neuen Fraktionspräsidenten Jeannot Krecké ein Gutachten über den Steuerbetrug und das Luxemburger Steuerwesen im allgemeinen bestellt. Doch diese Fleißarbeit, die nach einer kurzen Verzögerung nun Mitte nächsten Monats fertig sein soll, könnte für die nächste Regierung in die Schublade gelegt werden.

Denn die aktuelle Regierung will erst einmal das Ergebnis einer Studie über die Sozialtransfers abwarten, ehe sie etwas an der Struktur der Steuererhebung ändert. Doch das zuständige Familienministerium hatte sich schon ein gutes Jahr Zeit gelassen, um überhaupt das Lastenheft mit den Fragen aufzustellen, das die Studie beantworten soll. Und nach Vergabe des Auftrags dürfte noch einmal ein Jahr vergehen, bevor die Resultate vorliegen.

Nachdem CSV und LSAP mit der Steuerreform von 1991 die Institution Ehe förderten und großzügige Kinderfreibeträge einführten, warf die LSAP bei den Koalitionsverhandlungen 1994 die Frage auf, ob Steuern das rechte Mittel seien, um Familienpolitik zu machen. Daß die Sozialisten nicht völlig falsch lagen, zeigte sich schon bei der Kindergelderhöhung von 1993. Denn durch das Gesetz vom 23. Dezember 1992 wurde nicht nur das Kindergeld erhöht, sondern wurden auch die erst zwei Jahre zuvor erhöhten Kinderfreibeträge etwas zurückgenommen. Beim Kindergeld sind alle Kinder dem Staat gleich viel wert, bei Freibeträgen werden die Kinder von Eltern, die viel verdienen und deshalb viele Steuern zahlen, stärker gefördert als die Kinder aus einfachen Verhältnissen. Vorbeugend heißt es in der Resolution des CSV-Kongresses vom letzten Samstag, daß die "durch die 90er Steuerreform erreichte Besserstellung der Familie (...) nicht in Frage gestellt werden" dürfe.

 

 

 

Romain Hilgert
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