Christliches Abendland

Es christelt

d'Lëtzebuerger Land du 28.10.2010

Heute loben wir das christliche Abendland. Uns dröhnt ein memorabler Satz von Angela Merkel in den Ohren: „Wer das christliche Weltbild nicht akzeptiert, hat keinen Platz in Deutschland.“ Danke, Frau Kanzlerin. Da wir das christliche Weltbild nicht akzeptieren, ist jetzt mal Schluss mit allen Deutschlandfahrten. Kein Abstecher mehr ins christliche Einkaufsparadies Trier. Vielleicht hängen in den Trierer Konfektionsläden ja schon überall heilige Röcke, mit Weihrauch parfümiert.

An die deutsche Grenze möchten wir uns künftig nicht mehr heranpirschen. Es könnte uns nämlich blühen, dass Frau Merkels Weltbildfunktionäre mit der soliden abendländischen Leitkultur klammheimlich eine neue Spielart der Grenzkontrollen installiert haben. Keine Zollfahnder werden uns durchleuchten, sondern staatlich vereidigte Glaubenswächter. Wer fehlerfrei ein Vaterunser aufsagen, oder ein Kirchenlied trällern, oder eine Heiligenlitanei herunterrasseln kann, der darf heim ins Reich der Gottesfürchtigen. Alle anderen, wie unsereins, müssen zurück in die finsteren Bezirke der Gottlosigkeit.

Hurrah, die Kreuzzüge sind wieder da!, könnten wir uns jetzt ereifern. Wir lagen wohl schwer im Irrtum, als wir annahmen, ein Bewohner Europas sei zunächst, wenn nicht ausschließlich, ein Bürger, der sich durch seine eigene, freie Weltanschauung ausweist. Jetzt aber müssen wir uns von höchster Instanz belehren lassen, dass wir unsere Kuckuckseier nicht länger im christlichen Nest Europa ablagern dürfen. Heiliger Bimbam, save our souls! Gut, dann bleiben wir mal schön zu Hause. Doch auch hier plagen uns wilde Zweifel. Unsere neue Veranda zum Beispiel wurde von christlichen Handwerkern aus dem christlichen Deutschland errichtet. Sitzen wir nun in der abendländischen Falle? Wie verhält sich die Veranda gegenüber Ungläubigen? Wird sie uns demnächst mit christlichem Getöse auf den Kopf krachen?

Fast wären wir an der Frage gescheitert, wie denn nun das christliche Weltbild im Detail funktioniert. Was zeichnet Menschen aus, die das christliche Weltbild akzeptieren? Frau Merkel selber ist sicher keine berauschende Leitfigur der göttlichen Eingebung. Ihre Politik ist so chaotisch und voller Widersprüche, dass man Frau Merkels Gott buchstäblich vorwerfen muss, sehr schlampig mit seinen Schutzbefohlenen umzuspringen. Wo sollen wir uns denn inspirieren, um vielleicht auch einmal in den Genuss christlicher Kompetenz zu gelangen?

Zum Glück eilt uns Herr Röttgen, der CDU-Umweltminister in Frau Merkels Kabinett, mit einer sehr konkreten und praktischen Anweisung zu Hilfe. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.10.2010) kommt er wie folgt zu Wort: „Röttgen sagte, die CDU müsse sich von den Grünen dadurch abgrenzen, ‚dass wir Umwelt- und Klimapolitik anders machen, nämlich durch eine originäre Verbindung von christlicher Wertprägung und wirtschaftlicher Vernunft.‘“ Natürlich haben wir sofort bei Herrn Röttgens christlichem Pressesprecher nachgehakt, was denn eigentlich unter christlichem Umweltschutz zu verstehen sei? Wie sollen wir uns anstellen, um unser Fleckchen Privateigentum mit christlichem Einsatz zu hegen und zu pflegen?

Nun, es stehen unzählige Methoden und Techniken zur Auswahl. Wir könnten zum Beispiel unsere Karotten nur mehr mit Weihwasser putzen. Weihwasser empfiehlt sich übrigens auch für die tägliche Dusche, Shampoo aus klösterlicher Produktion ergänzt vorteilhaft den Reinigungsvorgang. Ganze Nonnenbrigaden stehen bereit, um uns mit gottgefälligen Strickwaren, christliches Gütesiegel inklusive, zu versorgen. Im weitmaschigen, grob gestrickten Nonnenpullover sehen wir nicht nur höchst christlich aus, wir dürfen auch mit letzter Sicherheit davon ausgehen, dass bei der Pulloverherstellung strengste Umweltkriterien penibel beachtet wurden. Bevor die Schafe ihre Wolle abgeben müssen, werden sie von den Nonnen mit expliziten Gebeten eingedeckt und anschließend gesegnet. So wird die Wolle förmlich sakralisiert. Wir haben es ausprobiert: in unserer klösterlich genehmigten Schafswollgarderobe fühlen wir uns irgendwie in Trance. Uns sind übrigens schon ein paar pausbäckige Engel erschienen. Wenn es so weitergeht, dürfen wir bald wieder ins christlich-fundamentalistische Deutschland reisen.

Sind wir mit dem Auto unterwegs, schieben wir neuerdings nur mehr CDs mit geistlicher Musik in den player-Schlitz. Es gilt als erwiesen, dass der intensive Genuss christlich-abendländischer Musik im Wageninnern den Giftgasausstoß unseres Vehikels um fast die Hälfte reduziert. Je mehr Choräle, Motetten und Messen wir uns zu Gemüt führen, umso sauberer fährt unsere Karosse. Da hat zweifelsfrei die göttliche Vorsehung ihre Hand im Spiel. Weil wir ziemlich musikbesessen sind, bewegen wir uns demnächst völlig schadstofffrei durch die abendländische Gegend. Und düsen zum Beispiel nach Trier. Dort, hören wir, wird der Weihnachtsmarkt auf das ganze Jahr ausgedehnt. Die geweihten Öko-Krippen stehen schon bereit. Das Christkind ist aus Bio-Gips.

Guy Rewenig
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