Würdigung eines Informatik-Pioniers

Inside Asselborn

d'Lëtzebuerger Land du 11.11.2011

Anfang der Siebzigerjahre, als die Haare lang und die Theorien kompliziert waren, erkannte der junge Mathematik- und Physiklehrer Jean-Claude Asselborn ziemlich schnell: „Computer sind das Thema der Zukunft.“ Als einer der ersten Luxemburger überhaupt machte er sich auf, Informatik zu studieren. Nach seinem Studienabschluss in Grenoble prägte er wie kein anderer die Informatik-Geschichte in Luxemburg.

Asselborns Fähigkeiten wurden sofort gebraucht. Er begann mit der Einführung der Informatik bei der Sozialversicherung. Das war eine Herkulesarbeit. Es folgte eine Pionierarbeit an der Handels- und Verwaltungsschule. Auch hier musste er bei Null anfangen. In den Achtzigerjahren ging es darum, einen Cycle court erfolgreich aus dem Nichts zu etablieren, einen zweijährigen Informatik-Lehrgang für Abiturienten. 2008 galt es, eine anerkannte Weiterbildung im Bereich Informationssicherheit zu schaffen – den Masterstudiengang „Management von Informationssicherheitssystemen“ für Unternehmen und Privatpersonen aus der Großregion.

Francis Massen, ehemaliger Professor am Lycée classique Diekirch, zu den Aufgaben, mit denen sein langjähriger Freund Jean-Claude konfrontiert war: „Er hat immer herausfordernde Arbeiten aufgetischt bekommen, wo er bei Null anfangen musste und wo er eine Struktur entwickeln musste, die es nicht gab. Er musste mit all den Widerständen fertig werden, die zu einem Pionier gehören. Mit Widerständen von Organisationen, die unflexibel sind. Mit Widerständen von Leuten in den entsprechenden Institutionen. Oder mit Widerständen politischer oder finanzieller Art. Vielleicht weniger in der der École de Commerce et Gestion. Da war es relativ klar, dass Computer reinkommen mussten. Da waren die Widerstände nicht so groß, nach dem Motto: ‚Nein, wir wollen noch mit den Schreibmaschinen fortfahren!‘“

In den letzten Jahren leistete Asselborn wichtige Aufbauarbeit am „Centre Interdisciplinaire Security and Trust“ der Uni Luxemburg. Ihm und seinen Kollegen gelang es, weltbekannte Spezialisten im Bereich Verschlüsselungstechnik zu verpflichten und ein Kompetenzzentrum mit hohem internationalen Ansehen zu etablieren. Carlo Harpes, Gründer der Firma itrust consulting und Asselborns Partner beim Master-Studiengang, dazu: „Er hat sich schon früh für Kryptographie und Informatiksicherheit interessiert. Weil er geholfen hat, das Thema Sicherheit als zukunftsträchtig für ein interdisziplinäres Zentrum an der Uni Luxemburg zu identifizieren, kann er dabei ebenfalls als ein Pionier angesehen werden.“ Doch auch hier lief nicht alles so reibungslos, wie es scheint. Asselborn in einem vertraulichen Gespräch: „Alles, was interdisziplinär ist, ist an einer Uni schwierig aufzubauen. Denn die Universität ist ja ein Kollektiv von Spezialisten, wo jeder in seinem Loch gräbt, tiefer und tiefer. Eine interdisziplinäre Übersicht zu bewahren, ist eine seltene Qualität, die einige Haare grau macht oder sogar kostet.“ Bei dieser Bemerkung zeigte sich der trockene Humor, der Asselborn auszeichnete.

Eines seiner Lieblingsthemen war auch das Verhältnis von Theorie und Praxis. Angesprochen auf die hochwissenschaftlichen Papiere, die auf seinem Besprechungstisch lagen, und auf die Frage, ob berufstätige Master-Studenten Zeit und Lust hätten, so etwas zu lesen, meinte er: „Für jemanden, der nur an der Praxis orientiert ist, sind solche komplizierten Aufsätze natürlich theoretisch anspruchsvoll. Aber sie sind interessant, weil sie andere Sichtweisen aufzeigen. Ich gebe zu: So mancher ist nicht darauf vorbereitet, das auch entsprechend zu genießen.“

Die Frage, welche Schwierigkeiten ein Informationssicherheits-Beauftragter in der betrieblichen Praxis hat, beantwortete er in seiner humorvollen Art so: „Das größte Problem eines Informationssicherheits-Beauftragten ist in erster Linie einmal, überhaupt zu existieren.“ Und er ergänzte: „Irgendwann muss nämlich das Management davon überzeugt werden, dass Informationssicherheit unumgänglich ist. Das ist nicht einfach. Denn für das Management ist Sicherheit ein Kostenfaktor, kein Gewinn-Element.“

Wie es zu seinem Kosenamen „9i“ (=Néngi) kam, scheint ein Staatsgeheimnis zu sein. Marie-Josée Kohn, die das Ehepaar Asselborn seit Ende der Sechzigerjahre kennt, dazu: „Ich glaube, seine Frau hat auch keine plausible Erklärung dafür. Er hieß damals schon so, als sich die beiden kennenlernten. Es hat aber nichts mit Kaninchen zu tun. Kleine Kinder in Luxemburg sagen ja ,Nängi’ zu einem kleinen Kaninchen.“ Viele hofften, Asselborn würde dieses Geheimnis endlich bei seiner geplanten großen öffentlichen Vortragsreihe L’Art du Secret über die Kunst des Geheimnisses der Verschlüsselung lüften. Fünf Konferenzen hatte er geplant.

Dazu kam es nicht mehr. Jean-Claude Asselborn verstarb am 10. September im Alter von 66 Jahren. Nur sieben Monate nach der Diagnose eines aggressiven Tumors hat der Vater dreier Kinder den Kampf gegen die heimtückische Krankheit verloren.

Albin Wallinger
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