Ein Labor für die Automobilzulieferer

Alle wollen Lea

d'Lëtzebuerger Land du 02.02.2006

Angekündigt worden war es schon im Spätsommer letzten Jahres: am Centre de recherche public Gabriel Lippmann in Esch-Belval werde ein „Laboratoire de Recherche en Equipements Automobiles“ eingerichtet. Aber noch ist es nicht soweit. Das Vorhaben mit dem schönen Namen Lea steht auf dem Papier eines Mitte 2005 abgeschlossenen Rahmenvertrags zwischen dem CRP und der Ilea (Industrie luxembourgeoise des équipementiers de l’automobile), dem Dachverband der hiesigen Autozulieferbetriebe, und zurzeit befindet es sich noch in der Studierphase. Das ist allemal besser als ein Schnellschuss, denn es bleibt noch zu klären, was Lea tun soll und welchen Forschungs-Support aus einem CRP die Zulieferbetriebe benötigen würden.

Für die Einrichtung eines solchen Labors gibt es wirschaftliche Gründe. Luxemburg ist nicht nur ein Autoland, weil es den Europarekord an Pkw pro tausend Einwohner hält und das Wachstum der Neuzulassungen noch immer anhält. Nicht nur, weil selbst verhältnismäßig kurze Wege mit dem Auto erledigt werden. Sondern auch, weil Luxemburg ein bedeutender Standort der Automobilzulieferindustrie ist. Die Branche ist längst nicht nur beschränkt auf die bekannten Namen Goodyear, IEE oder Delphi mit seinem Technologiezentrum in Niederkerschen. Insgesamt 30 Zulieferer haben hier ihren Sitz, und sie beschäftigen derzeit rund 9 000 Mitarbeiter.

Die gute Nachricht könnte lauten, dass diese Firmen Entwicklungs- und Wachstumsaussichten hätten, die gar nicht schlecht sind. Um 2,2 Prozent jährlich dürfte bis 2015 der weltweite Fahrzeugverkauf steigen, schätzt eine Studie von Mercer Management Consulting. Wobei die Zulieferer die Gewinner wären: 2002 hatte ihr Wertschöpfungsanteil an einem Kfz bei im Schnitt 65 Prozent gelegen. 2015 könnten es 77 Prozent sein. Vor allem die zunehmende Elektronikausstattung der Fahrzeuge werde ein „Katalysator“ für diesen Trend; die Zahl der elektronischen Baugruppen und Funktionen werde 2015 um 30 bis 40 Prozent höher sein als 2002. Das Outsourcing von Produktions- und Entwicklungsaufträgen der Hersteller an die Zulieferer dürfte um 15 Prozent wachsen.

Doch diese Einschätzungen betreffen einen Weltmarkt, dessen Wachstum vor allem durch eine erwartete Nachfragesteigerung in China, Indien und Südmamerika angetrieben würde. Für die „alten Märkte“ ist eher Stagnation auf hohem Niveau angesagt. Wenn nicht nur die großen Autohersteller, sondern auch große Zulieferfirmen schon seit Jahren Prouktionsaktivitäten nach Asien oder Lateinamerika verlagern, folgt daraus, dass es höchstwahrscheinlich nicht gelingen wird, weitere Zulieferer mit ihrer Produktion nach Luxemburg zu locken – mag der Ausbau des Sektors auch Regierungsvorhaben sein und im wirtschaftspolitischen Abschnitt des Koalitionsvertrags von CSV und LSAP stehen. Und auch die hier zu Lande schon ansässigen Betriebe haben bereits Produktionskapazitäten in Osteuropa, aber auch in  China eingerichtet.

Damit liegt der Akzent auf Forschung und Entwicklung. „Diese Aktivitäten werden in Luxemburg bleiben“, meint Paul Schockmel, Präsident des Ilea-Dachverbands. Und forschungsintensiv ist die Branche. 1 900 der 9 000 Arbeitsplätze fallen in den Bereich Forschung und Entwicklung. Allerdings hat weltweit ein bisher nie dagewesener Verdrängungswettkampf unter den Zulieferern eingesetzt. Und wenn, laut einer Anaylse der deutschen Fraunhofer Gesellschaft, in den kommenden zehn Jahren das Outsourcing durch die verschiedenen Hersteller um zwischen 60 Prozent (Renault oder Toyota) und 120 Prozent (Audi oder Fiat) zunehmen könnte, dann ist es nicht gesagt, dass alle derzeit existierenden Zulieferer davon profitieren werden: Termindruck und Preisdruck für Entwicklungsleistungen sind enorm. Und in kaum einer Branche veralten Innovationen so schnell wie im Automobilbereich.

Lea soll helfen, doch das Vorhaben steht vor einem grundlegenden konzeptionellen Problem: Soll das Labor vor allem kleineren Zulieferbetrieben bei Bedarf aushelfen, für die es sich etwa für ein Projekt lohnen kann, einen weiteren Entwicklungsingenieur einzustellen, für das nächste Projekt allerdings nicht? Oder soll es eher Teil eines Innovations-Clusters sein, in dem die Betriebe auch gemeinsam neue Produkte und Verfahren entwickeln, manche vielleicht sogar  gemeinsame Projekte verfolgen?

„Ehrlich gesagt, ich hielte es nicht für gut, wenn das Labor nur einen preiswerten Zugang zu Knowhow und Apparaten bieten würde“, meint Frank Wies, Managing Director von Rotarex Automotive in Lintgen. „Das könnte dazu führen, dass ein Betrieb sich zu wenig selber bemüht.“ Innerhalb der Ilea steht Wies einer Arbeitsgruppe vor, die zunächst analysieren will, welche Forschungs- und Entwicklungsprojekte es in der Branche hier zu Lande gibt und welche Unterstützung die Betriebe nötig hätten; vor allem die kleineren. Dann werde man weitersehen.

Ohnehin könnte das Labor wohl kaum auf Projektlage und Spezialisierung jedes Zulieferbetriebs eingehen. „Die Aktivitäten der Firmen sind äußerst divers“, sagt Ilea-Präsident Schockmel. Gar nicht so leicht, eine Schnittmenge zu finden zwischen Reifenproduktion, Ventil- und Druckregler-Entwicklung, der Entwicklung und Fertigung von Fahrzeugbatterien, Klimaanlagen, Airbagsteuerungen, Verkehrsleitsystemen, Steuerungen von Diesel- und Ottomotoren, Brennstoffzellenforschung ... Und wenngleich Steven A. Kiefer, der Managing Director des Delphi-Technologiezentrums im November in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin paperjam sagte, „Luxembourg has what we call automotive industry ‘neutrality’“, da es hier keinen Autohersteller gibt, hält Paul Schockmel es nicht für ausgeschlossen, dass eine Kooperation der Zuliefererunternehmen innerhalb eines Automobil-Clusters nicht recht vom Fleck kommen könnte, wenn sich herausstellt, dass zwar die einzelnen Firmen keine Konkurrenten untereinander sind, aber konkurrierenden Automobilherstellern zuarbeiten. „Strategische Zurückhaltung“ wäre das, meint Schockmel.

„Ganz klein“ werde Lea wahrscheinlich anfangen. Recycling könnte ein Thema sein, dass die Betriebe übergreifend interessiert, Simulation und mathematische Modellbildung ebenfalls, „denn Simulation hilft, Entwicklungskosten zu sparen“. In solchen Größenordnungen zu denken, sei aber noch verfrüht.

Ein wenig klingt das so, als könnte das Labor letzten Endes doch nicht eingerichtet werden. Und immerhin gibt es Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in Hochschuleinrichtungen im nicht weit entfernten Ausland. Eines zeigt die Diskussion um Nutzen und Profil des Auto-Labors jedoch: Der immer härtere Wettbewerb unter den Zulieferern macht auch um Luxemburg keinen Bogen.

 

Peter Feist
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