Interview mit Gilles Schlesser, Direktor von Luxinnovation

Netzwerke, Netzwerke

d'Lëtzebuerger Land vom 19.10.2006

d'Land: Warum braucht man eine Innovationsagentur? Eigentlich müsste doch jedes Unternehmen aus sich selbst heraus innovieren, damit es nicht irgendwann Probleme am Markt bekommt.

Gilles Schlesser: Ja – eigentlich. Aber viele Unternehmen tun das nicht oder nicht konsequent genug, auch wenn sie im Grunde wissen, wie notwendig Innovation ist. Barrieren gibt es viele: die technischen und finanziellen Risiken sind oft zu hoch, Zeit und finanzielle Mittel fehlen, der Markt ist zu klein oder liegt zu weit entfernt, die notwendigen Kompetenzen sind nicht vorhanden,Innovationsmanagement wird nicht betrieben. Das gilt vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, aber nicht nur. Wenn die Auftragsbücher heute noch zufriedenstellend gefüllt sind und es noch recht gut geht, wieso etwas verändern? Die Entscheidungsträger haben oft andere, kurzfristigere Prioritäten.Hinzu kommt, dass bei international operierenden Unternehmenoft die Zentrale irgendwo im Ausland die strategischen Entscheidungen trifft. Probleme tauchen auf, wenn Innovation zu lange unterbleibt. Dann haben die Unternehmen nicht mehr die nötige Kraft, um sich aus sich selbst heraus zu erneuern. Diese Situation bezeichnet man als Marktversagen.

Nicht als Versagen des Betriebes?

Der Markt ist nicht effizient genug, um Innovationen in genügendem Maße hervorzubringen. Hier setzt die Politik an, um frühzeitig Unternehmergeist und Innovationsbereitschaft zu stimulieren. Alle entwickelten Länder setzen dazu Innovations-Agenturen ein, Luxemburg auch. 

Ist Marktversagen hierzulande häufig?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Man muss feststellen, dass unsere Unternehmen keinen „Heimatmarkt“ besitzen, wie das in Frankreich, Deutschland oder in den USA der Fall ist, um Innovationen vorab zu testen. Sie müssen von Anfang an ihre Partner und Kunden „jenseits der Grenze“ überzeugen und im internationalen Wettbewerb bestehen. Dass man sich da keinen Patzer erlauben darf, kann innovationshemmend sein. Der Innovationsbericht, den wir vor anderthalb Jahren vorgestellt haben, hat gezeigt, dass quer durch alle Sektoren die Betriebe sich eigentlich als recht „innovativ“ einschätzen. Der Anteil privat betriebener Forschung ist bei uns überdurchschnittlich hoch im EU-Vergleich; der Großteil der Investitionen in Forschung erfolgt aber in einer beschränkten Anzahl von Mittel- und Großbetrieben, wenngleich etliche kleinere Betriebe vergleichsweise recht hohe Aufwendungen tätigen. Insgesamt gilt es aber, noch mehr Betriebe anzuregen,regelmäßiger und systematischer in Forschung und Innovation zu investieren. Da besteht sicherlich noch Potenzial.

Nimmt Luxinnovation ein permanentes Screening aller Innovationsaktivitäten vor?

Nein, sicher nicht aller Aktivitäten. Wir haben Erfahrungswerte vor Ort bei den Unternehmen über lange Jahre gesammelt. Auch das Wirtschaftsministerium, die Kammern und der Statec liefern uns wertvolle Informationen und Indikatoren für die Analyse. Luxinnovation hat in erster Linie den Auftrag, für mehr Innovation in den Unternehmen und Forschungslabors zu werben. Wir sind die nationale Anlaufstelle für alle, die forschen und innovierenmöchten. Wir begleiten pro Jahr etwa 300 innovative Ideen, davon50 Prozent aus kleinen und mittleren Unternehmen quer durch alle Sektoren oder technologischen Felder. Verschiedene Instrumente können hier helfen: Das Wirtschaftsförderungsgesetz, Innovationskredite der SNCI, Projekte mit der Universität oder Forschungsinstituten, Programme der EU, der Esa oder des Eureka-Netzwerks. 20 Prozent der Projekte sind Start ups, die wir über den Businessplanwettbewerb der Handelskammer, das Start-up-Netzwerk Innostart und über das Business- und Innovationszentrum Écostart in Foetz betreuen. Bei den Betrieben kommt es recht gut an, dass wir mit ihnen regelmäßig einen Austausch anregen und gemeinsam Bilanz ziehen.

Innovieren sie dann?

Mehr und mehr. Die Globalisierung stellt aber auch neue Herausforderungen. Unsere Industrie hat sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten bemerkenswert gut diversifiziert. Nicht wenige ausländische Unternehmen konnten angezogen werden. Sie brachten Kapital, Knowhow und neue Produkte mit und haben maßgeblich zum Wohlstand beigetragen. Produkte haben aber eine begrenzte Lebensdauer und viele neue Investitionsstandorte buhlen heutzutage um Neuinvestitionen. Wirtschaftsministerium und Mittelstandsministerium wollen mit Fördermitteln und Betreuung durch Luxinnovation den Entscheidungsträgern Bereitschaft zur Unterstützung signalisieren. Die Unternehmen sollen verstärkt ihre internen Kompetenzen und Ideen nutzen, um hier, vor Ort, neue Produkte zu entwickeln. Dann entsteht Neuwert. Mit Hilfestellung der öffentlichen Hand sollte eine Art Road Map für die Zukunft über Innovation erstellt und umgesetzt werden. Das letzte Wort hat zum Schluss natürlich das Mutterhaus. Die kleinen und mittlerenUnternehmen aus Industrie und Handwerk sind in der Regel noch in „Luxemburger“ Hand. Das vereinfacht den Entscheidungsprozess aber nicht unbedingt. Hemmschwellen gibt es auch dort, sogar bei großem Innovationspotenzial.

Ist der Ansatz von Innovationsförderung nicht zu einseitig auf die Industrie fixiert? Gerade sie ist es ja nicht mehr, die den größten Beitrag zum BIP liefert.

Die Frage hat auch die OECD in ihrer Studie über das Innovationssystem Luxemburgs gestellt. Wir haben bei uns eine Situation, die in vielen OECD-Ländern vorherrscht: Innovationen bei Produkten und Produktionsprozessen werden schon seit Jahrzehnten unterstützt – sowohl in der Industrie, die oft kapitalintensiv investiert, als auch in kleinen Unternehmen in den Bereichen Informatik, Kommunikation, Umwelt und erneuerbare Energien. Start ups werden auch gefördert. Man kann in diesem Rahmen für Handwerksbetriebe ebenfalls manches tun. Auch sie können Interessenten für neue Technologien sein. Rasch verfügbares Wissen ist da viel wert: von einer neuen Technologie zu erfahren, ehe sie auf Messen vorgestellt wird, und sie einzuführen, ehe der Handelsvertreter kommt und sie verkaufen will. Wir haben deshalb unsere Informationstätigkeit gegenüber Handwerksbetriebenverstärkt.

Innovieren Handwerksbetriebe aber nicht öfter auf organisatorischer als auf technologischer Ebene?

Doch. Sie machen täglich gegenüber dem Kunden kleine Verbesserungen und können so einen Konkurrenzvorteilgewinnen. Innovation geschieht dort in kleinen Schritten, vor allem in den Bereichen Dienstleistung, Management oder Organisation.

Was spricht dann gegen eine konzertierte Aktion in Handwerksfirmen und Dienstleistungsunternehmen?

Es läge makroökonomisch nahe, und im Grunde kommt es vor allem darauf an, eine Innovationskultur in immer mehr Betrieben zu etablieren. Es müsste allerdings konform zu den europäischen Wettbewerbsregeln sein. Die erlauben Staatsbeihilfen generell nur unter bestimmten Umständen. Innovationsförderung als solche ist nirgends klar definiert, weil Innovation, die entweder stattfindet oder unterbleibt, als Teil des Spiels der Marktkräfte verstanden wird. Förderfähig sind dagegen Forschung und Entwicklung. Dadurch waren Produktinnovationen und der Umstieg auf neue Prozesse, die verbunden sind mit neuen Technologien, am ehesten förderbar. Das soll sich jetzt ändern, derzeit kommt Bewegung ins Spiel. Die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission will Innovationen in den Bereichen Dienstleistung oder Organisationfür förderfähig erklären. Der Haken an der Sache ist, dass sie im Prinzip etwas mit Informationstechnologien zu tun haben müssen.

Damit fiele organisatorische Innovation unter den Tisch.

Ich habe Hoffnung, dass die Kommission gangbare Wege finden wird. In Luxemburg lässt sich eine Verbindung zwischen IT, dem Finanzplatz, der Universität und den Forschungszentren natürlich schnell machen, wenn es zum Beispiel um Datensicherheit geht. Handwerk, Handel, Logistik oder Gesundheitswesen können da ebenfalls innovative Akzente setzen. Die Entwicklung neuer Dienstleistungen durch einzelne Unternehmen liegt aber sehr oft ganz nah am Markt, so dass ihre Förderung eine unzulässige Beihilfe nach EU-Konkurrenzrecht sein könnte. Ein anderes Problem kann darin bestehen, dass man den Innovationsaufwand – der marktferngenug sein soll – auf seine realen Kosten beziehen muss. Hat man das getan, bleibt nicht selten kaum etwas übrig, was man in einen Förderantrag schreiben kann. Aber das ist nicht immer der Fall.

Das schließt aber nicht aus, dass zum Beispiel Dienstleistungsbetriebe gemeinsam ein Innovationsprogramm verfolgen könnten, oder mit öffentlichen Forschungseinrichtungen kooperieren?

Keinesfalls. Hier sehe ich auch großes Potenzial. Wenn sich mehrereDienstleistungsunternehmen zusammentun, um gemeinsam innovative Konzepte zu entwickeln, die den ganzen Sektor unterstützen können, und das auch noch in wissenschaftlicherZusammenarbeit mit öffentlichen Forschungseinrichtungen,dann ist Luxinnovation die geeignete Anlaufstelle, um ihre Projekteerfolgreich zu begleiten. Innovationsförderung hat am Ende aber oft mit finanzieller Unterstützung zu tun. Innovation ist riskant, sie kann auch scheitern, und nicht selten unterbleibt sie, weil es an Kapitalfehlt. Aber Vernetzung und Kooperation sind ganz wichtig. Wir wollen in dieser Hinsicht noch aktiver werden.

Luxinnovation unterhält zurzeit vier Technologie-Cluster. Das erste entstand 2002. War das nicht spät, immerhin 18 Jahre nach der Gründung der Agentur?

Relativ gesehen ja. Andere Länder sind uns da sicherlich um einige Jahre voraus, zumindest, was die Zahl der Cluster angeht, aber nicht unbedingt in der Qualität der Konzepte. Das Thema Cluster wird ab 2007 eine Priorität der EU-Kommission sein. Die Franzosen haben erst 2004 mit ihren Pôles de compétitivité begonnen. Wallonien und das Saarland sind uns um ein paar Jahre voraus, Rheinland-Pfalz hat formal noch keine Clusterpolitik. Intensive Kontakte zur Kooperation bestehen aber schon in der Großregion. Man muss bedenken, dass Luxemburg zuerst eine monolithische Wirtschaftsstruktur besaß und dann im Lauf der Zeit eine sehr diversifizierte Wirtschaft, neben dem Finanzplatz,hervorgebracht hat. In einigen Sektoren haben wir nur einigeUnternehmen. Cluster bedingen aber vor allem regionale kritischeMassen. Wir begannen 2001 gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium und der Fedil die Frage zu stellen, wo in der Wirtschaft die kritischen Massen liegen, die standortbestimmend sein können. Dort wollten wir gegebenenfalls die Clusterbildung anregen.

Was war das Ziel der Initiative?

Erstes Ziel war die Stimulierung der Forschungskooperationen zwischen Unternehmen. Wir hatten festgestellt, dass die Betriebe einzeln forschten, aber keine Synergiepotenziale mit anderen nutzten. Dem ist jetzt nicht mehr so. In einem Cluster sein, heißt ja, dass man sich austauscht, über Ideen, aber auch über Technologie. Die Mitarbeit im Cluster ist nicht beschränkt auf große Betriebe. Im Gegenteil: kleine haben oft innovative Ideen, bekommen aber normalerweise bei den Großen schwer den Fuß in die Tür, um sie anzubieten. Die Resonanz auf unsere Recherchen in den Betrieben war äußerst positiv. Wir hätten sofort mehrere Cluster gleichzeitig starten können. Wir beschränkten uns zunächst auf eines zum Thema Oberflächen und Materialien, SurfMat.

Luxinnovation wurde von der OECD dafür kritisiert, dass die Mitarbeit öffentlicher Forschungseinrichtungen in den Clustern nicht gewünscht war. Warum war das so?

Das stimmt so nicht. Die Unternehmen in den Clustern wollten sich zunächst selbst näher kennen lernen. Die Kompetenzen der Forschungseinrichtungen waren den allermeisten Unternehmen schon bekannt. Sie wussten, dass sie jederzeit darauf zurückkommen konnten. Eine Öffnung der Cluster für den öffentlichen Sektor war vorgesehen, nur nicht von Anfang an. Das war aber keine Entscheidung von Luxinnovation.

Wieso wurde die Trennung dann aufgehoben?

Cluster sind eine Bottom-up-Angelegenheit, man kann sie nicht einfach von oben herab dirigieren. Die Öffnung kam ganz natürlich. Zu verschiedenen wissenschaftlichen Themen hat die Mitarbeit der Labors eine deutliche Bereicherung gebracht. Dort wird nun unter Einschluss aller Akteure gearbeitet: Betriebe, CRPs, Universität. Das stand von vornherein fest, als wir die beiden jüngsten Cluster initiiert haben – eines über Luft- und Raumfahrttechnologie und eines für die Automobilzulieferindustrie. Das soll jetzt verallgemeinert werden.

Inwiefern wird Luxinnovation sich umorientieren?

Die OECD war zur Einschätzung gelangt, die Agentur sei nicht nur Innovationsagentur, sondern auch ein wenig Technologietransferzentrale und Strategie-Abteilung für das Wirtschaftsministerium.Unser Portfolio an Aktivitäten schien der OECD anfangs zu umfangreich. Außer einer geringen Zahl von Randaktivitäten, die die OECD auch direkt ansprach, ist dem aber nicht so. Innovation bedeutet per Definition Bündelung vieler Themen. UnsereDienstleistungsangebote resultieren aus über 20 Jahren Arbeit und Erfahrung vor Ort bei den Unternehmen. Wir kennen ihre Probleme und Bedürfnisse sehr genau und passen unsere Arbeit auch den Gegebenheiten von Kundenprofilen und Globalisierung an. Die Antworten darauf müssen vielschichtig sein. Jedes Unternehmen braucht – entsprechend seiner bestehenden Innovationskapazität– maßgeschneiderte Lösungen. Wir müssen noch gezielter und intensiver stimulieren, beraten, begleiten und vernetzen, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen. Wenn wir kein solchesPortfolio hätten, müssten wir es heute mühsam aufbauen. Verbesserungen sind natürlich immer möglich und nötig. Abgesehen davon denke ich, dass sich natürlich auch systemische Fragen stellen. Aber die betreffen nicht nur uns. Deshalb muss an erster Stelle die Regierung die nötigen Schlussfolgerungen aus dem OECD-Bericht ziehen. Das wird in den kommenden Wochen und Monaten geschehen. Dass Luxinnovation in Zukunft alles anders machen sollte, meine ich nicht. Wir müssen unsere Arbeit insgesamtvertiefen und dort ausbauen, wo es Sinn macht.

Wo wäre es besonders sinnvoll?

Zum Beispiel bei der gezielten Begleitung kleiner und mittlerer Unternehmen, beim Innovationsmanagement und der Stimulierung von Start ups, die aus dem Privatsektor oder den öffentlichen Labors entstehen. Die OECD schlägt vor, dass Luxinnovation den Dienstleistungssektor gezielter anspricht und die Schaffung von Kompetenzzentren vorantreibt, aufbauend auf den Erfahrungen der Clusterinitiative. Wir wollen künftig stärker präsent in den Betrieben und Labors sein. Wir werden ein Netzwerkbildner sein müssen, der die Unternehmen dahin orientiert, wo es am sinnvollsten ist: im Privatsektor oder im öffentlichen Sektor, national oder international. Wichtig scheint mir in dem Zusammenhang auch die weltweite Vermarktung unserer nationalen Forschungs- und Innovationskapazitäten. Wir betreiben für die Regierung das Innovationsportal www.innovation.public.lu und entwickeln zurzeit mit mehreren Partnern neue Konzepte, um im Ausland für den „Forschungs- und Technologiestandort Luxemburg“ zu werben. 

Peter Feist
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