CSV

Gottvater und die Oligarchen

d'Lëtzebuerger Land vom 17.07.2008

Die Partei, deren Geschäftsfundus das Versprechen ist, den sicheren Weg zu kennen, hat sich elf Monate vor den Wahlen ziemlich verlaufen: In der Euthanasiedebatte weiß sie weder ein, noch aus, und nicht einmal ihr Premierminister ist ihr noch sicher, seit Jean-Claude Juncker auf gepackten Koffern sitzt. Dabei ist ein CSV-Premierminister eine „Vaterfigur mit fast gottähnlichen Zügen“, und dies gelte besonders für „Jean-Claude Juncker, dessen Vergötterungsprozess längst die Grenzen der eigenen Partei, ja sogar die Landesgrenzen überschritten hat“. So schwärmt der ehemalige CSV-Generalsekretär Jean-Pierre Kraemer in der soeben erschienenen Parteigeschichte CSV Spie­gelbild eines Landes und seiner Politik? Wenn es aber an Orientierung fehlt, ist die Rückbesinnung auf die eigene Geschichte ein milder Trost.

Tatsächlich ist die CSV, abgesehen von Emil Schaus’ Versuch 1974, die letzte der tradi­tionellen Parteien, die sich eine Parteigeschichte leistet. Und nach Ben Fayot (LSAP, 854 Seiten), Rob Roemen (DP, 530 Seiten) und Ali Ruckert (KPL, bisher 352 Seiten) konnte sie nicht anders, als mit einem Umfang von 991 Seiten alles bisher Dagewesene zu übertreffen.

Um mehr als eine weitere Vereinsbroschüre vorzulegen, beauftragte die Partei den Vater aller Historiker, Gilbert Trausch, eine Reihe anderer, ihr mehr oder weniger wohl gesinn­ter Historiker und einige Parteisoldaten, sich der Parteigeschichte anzunehmen. Trausch selbst beschreibt in dem einleitenden und längsten Kapitel die „Partei in der ‚longue durée‘“, ohne aber ihre Geschichte, wie Fernand Braudel, in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts einzubetten. Vor allem fragt er, inwiefern die ehemalige Rechtspartei eine christliche, konser­vative, soziale und freiheitliche Partei ist – wobei er jedes Adjektiv in An­führungszeichen setzt, als wollte er sich nicht die Finger daran verbrennen. Und die Antwort ist jedes Mal ein versöhnliches Sowohl-als-auch, und wem das zu opportunistisch erscheint, wird gleich belehrt: „Die an­deren Parteien kommen ihrerseits an ähnlichen Übungen auf anderen Gebieten nicht vorbei“ (S. 25).

Dass eine Partei, die während 85 Jahren ihrer 95-jährigen Geschichte regierte, „eine gewisse Identifika­tion mit dem Staate“ schaffe, sei unvermeidbar. Aber anscheinend habe die CSV „die staatstragende Funk­tion stets abgelehnt“ (S. 37). Dass sie in all der Zeit den Staat mit Parteimitgliedern durchsetzt habe, kurz „CSV-Staat“ ge­nannt, sei „menschlich (allzu menschlich)“. Aber wenn sie es vielleicht „bunter getrieben als die LSAP oder die DP“ habe, dann weil sie „mehr Möglichkeiten gehabt“ habe (S. 38).

Dass die CSV keine richtige konservative Partei geworden sei, führt Trausch auf ihre „aus der kirchlichen Lehre abgeleitete Sozialausrichtung“ und die päpstliche Enzyklika Rerum nova­rum zurück (S. 44). Dabei beschäftigt er sich ausführlich mit der vor allem in den Dreißigerjahren ange­streb­ten berufsständischen Ordnung, dem seiner Meinung nach „umstrit­tenste[n] Kapitel in der hundertjährigen Geschichte“ der CSV (S. 68). Wobei er diese antidemokratische und antiparlamentarische Tendenz nicht bloß mit Jean-Baptiste Esch gleichsetzt, sondern daran erinnert, wie sie während der Dreißigerjahre von der Partei übernommen und nach dem Krieg von Pierre Dupong aufgegriffen wurde. Um am Ende halb ironisch, halb apologetisch zu suggerieren, dass die anderen Parteien Eschs Traum mit dem Wirtschafts- und Sozialrat und der Tripartite verwirklichten, wäh­rend die CSV mit der Abschaffung des Tripar­tite-Vetos 1980 als einzige den Parlamentarismus verteidigte.

Neben Kapiteln über die Parteiunterorganisationen, die Wählerschaft, die Beziehungen zur Kirche und zum LCGB, dürfte der Beitrag über die Parteigeschichte der letzten 30 Jahre bei Liebhabern von „Menschlichem (allzu Menschlichem)“ am meisten Interesse wecken. Denn Autor Paul Feltes konnte sich in den Sitzungsberichten des Nationalvorstands bedienen und zitiert großzügig und nicht immer rücksichtsvoll gegen­über noch aktiven CSV-Politikern über die ständigen Streitereien und Rivalitäten der Achtziger- und Neunzigerjahre.

Feltes erzählt von den wiederholten Rebellionen der Fraktion gegen die autoritäre Parteiführung, dem Rück­zug Jo Meyers wegen der „‚Art und Weise, wie die CSV ‚Profiteure’ verhätschele.’ Gemeint waren wohl Lulling und Mühlen“ (S. 428), wobei es ein offenes Geheimnis gewesen sei, dass „Wirtschaftswissenschaft­ler Mühlen der DP nahestand“ (S. 424). Erinnert wird daran, dass „vor den Kammerwahlen von 1989 [...] Jean-Claude Juncker sich gegen das Wahlrecht für Ausländer aus[sprach]“ (S. 422). Fragen stellt sich der Autor über die Hintergründe des Parteiaustritts von Fernand Rau, er kritisiert die Abschiebung von Ministerin Erna Hennicot-Schoep­ges, ohne sie zu erklären, berichtet von den Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit der CGFP, der ADR und den Arbed-Direktoren und outet Jean Spautz als Vertreter der „durchaus reakionäre[n] Kräfte in der Partei“ (S. 447). Um eine nüchterne Bilanz zu ziehen: „Die unzureichende Teilnahme an den Natio­nalorganisa­tionen sowie die mangelnde Interaktion zwischen der Parteiführung und der Basis ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der CSV und verstärken das Bild einer oligarchisch funktionierenden Partei“ (S. 452).

Gibert Trausch (Hsg.): CSV Spiegelbild eines Landes und seiner Politik? Geschichte der Christlich-Sozialen Volkspartei Luxemburgs im 20. Jahrhundert, Éditions Saint-Paul, Luxemburg, 2008, 991 S., 49 Euro

Romain Hilgert
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