Mit neuen Urlaubszeitregelungen will die Regierung Familien – und junge Väter – besser unterstützen. Und sie will noch mehr

Spiel auf Zeit

d'Lëtzebuerger Land du 30.01.2015

Seit sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit mit spontanen Äußerungen über ein gekürztes Kindergeld für Schlagzeilen und erhebliche Nervosität und Verwirrung in der verunsicherten Öffentlichkeit und in der eigenen Partei sorgte, wird Familienministerin Corinne Cahen oft mit dem Spruch „vun der Long op d’Zong“ charakterisiert.

In einem RTL-Radiointerview vor zwei Wochen machte die DP-Politiker mit einem weiteren Vorstoß auf sich aufmerksam: Sie will die sechs Urlaubstage, die einem Arbeitnehmer im Falle einer Heirat oder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zustehen (congé extradordinaire), reduzieren und die so gewonnenen Tage neu werdenden Vätern zuschlagen. Deren Vaterurlaub würde sich von zwei auf sechs Tage erhöhen. „Es ist ein Tauschgeschäft, von dem die ganze Familie profitiert und das unserer Zeit entspricht“, erklärt Corinne Cahen im Gespräch mit dem Land.

Das war nicht der einzige Vorschlag der ehemaligen Geschäftsfrau. Auch beim Familienurlaub (congé pour les raisons familiales) plädiert Cahen für eine Neuregelung: Statt zwei Tagen pro Jahr, die Arbeitnehmer freinehmen dürfen, um ihr krankes Kind bis 15 Jahre daheim zu pflegen, schlägt Cahen ein Zeitkonto von 30 Tagen (bei Kindern bis zum zwölften Lebensjahr) vor. „Über das kann dann jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin nach Bedarf frei verfügen“, so Cahen. Das trage außergewöhnlichen Krankheitsfällen oder einem Klinikaufenthalt besser Rechnung. Für kranke Kinder über zwölf Jahre soll ebenfalls nach Lösungen gesucht werden. Ihre Überlegungen hatte Cahen schon im Frühjahr vergangenen Jahres den Sozialpartnern unterbreitet, obschon sie eigentlich ins Ressort von Arbeitsminister Nicolas Schmit fallen. Mit wenig Resonanz, wie Cahen erstaunt meint. „Dabei profitieren von diesen Änderungen alle“, ist sie überzeugt. Dass die Ministerin RTL wählte, um ihre Vorschläge der Öffentlichkeit vorzustellen, war, neben Werbung in eigener Sache, ein kalkuliertes Zeichen an die Sozialpartner, stehen diese Tage doch ganz im Zeichen des wieder aufgenommenen Sozialdialogs.

Nebenbei bekommt das Reizwort der Gewerkschaften „Flexibilisierung“ so einen positiven Anstrich. Statt einer weiteren Sparmaßnahme wird die Neuerung als familienpolitische Maßnahme gepriesen, von der alle etwas hätten, die nichts koste und die zu dem Image passt, wie sich die DP selbst am liebsten sieht: als pragmatische Partei der Modernisierer. Die Pläne der Regierung, den congé parental flexibler zu gestalten, gehören in dieselbe Logik: Einen Elternurlaub, der beiden Partnern mehr Freiheit in der Planung lässt, wie sie Familie und Beruf am besten vereinbaren können, soll dazu beitragen, den unterschiedlichen Lebensrealitäten der Arbeitnehmer besser gerecht zu werden.

Die Idee stammt nicht von den Liberalen, auch Cahens Vorgängerin Marie-Josée Jacobs hatte Ähnliches angedacht, aber ihre Überlegungen kamen nie über das Planungsstadium hinaus. Die Eckpunkte des neuen Elternurlaubs sind seit Mitte Dezember auf dem Tisch: Er soll künftig so gestaltet werden, dass Arbeitnehmer freier sind, wie sie ihre Urlaubstage nehmen wollen – vorausgesetzt, der Betriebsablauf erlaubt das. Statt sechs Monate Vollzeit oder zwölf Monate halbtags sollen vier Monate möglich sein – zum Preis von sechs Monaten. Das heißt, der Elternteil, der mit dem Kind zuhause bleibt, bekäme künftig statt rund 1 920 Euro nunmehr 2 884 Euro. So will die Regierung den Elternurlaub insbesondere für Väter attraktiver machen (d’Land vom 12. Dezember 2014).

Das ist auch nötig. Obwohl seit 1999 in Kraft, wird der Elternurlaub nach wie vor überwiegend von Frauen genutzt und zwar zu über 75 Prozent. Männer zögern vor allem deshalb, weil sie trotz zunehmender Frauenerwerbstätigkeit meist mehr verdienen und der Ausfall ihres Gehalts im Falle eines familienbedingten Ausstiegs in der Haushaltskasse schwerer wiegt. Auch werden Männer, die für das Kind daheim bleiben wollen, in vielen Betrieben noch schräg beäugt. „Es ist ein Fakt, dass immer mehr Väter bei der Erziehung ihrer Kinder eine aktive Rolle spielen und spielen wollen. Wir wollen sie darin unterstützen“, betont Corinne Cahen.

Die Sozialpartner stehen dem Anliegen im Prinzip positiv gegenüber. Im Rahmen der Diskussionen um die Kürzungen von Familienleistungen hatten die Gewerkschaften im Gegenzug eine Verbesserung des Elternurlaubs gefordert. In Gesprächen war man sich mit der Regierung schnell über die Richtung einig geworden. „Wir können uns das vorstellen, allerdings gibt es noch Klärungsbedarf“, so OGBL-Präsident André Roeltgen vorsichtig. Christoph Knebeler vom LCGB räumt ein, das gegenwärtige System sei „zu rigide. Das müssen wir ändern.“ Aber der Gewerkschafter moniert auch, dass „Detailfragen offen“ seien. Der LCGB will am liebsten eine Art Stundenkonto, über das ein Arbeitnehmer frei verfügen kann. Zudem will die christliche Gewerkschaft mit einer eigenen Analyse herausfinden, welche Familienmodelle überhaupt existieren und wie sie familienpolitisch am besten zu unterstützen seien. Sie hatte ihre Vorstellungen in zwei Briefen an die Ministerin erläutert.

Corinne Cahen möchte ihren Entwurf zum neuen Elternurlaub noch im Frühjahr vorlegen, damit die Reform Anfang 2016 in Kraft treten kann. Doch im Moment stehen alle Zeichen auf Verzögerung. Während Cahen betont, die Diskussionen um den Elternurlaub würden außerhalb der Gespräche zwischen Regierung und Sozialpartnern am kommenden Dienstag geführt, besteht die UEL darauf, den Elternurlaub ebenso wie den Urlaub aus Familiengründen und den Sonderurlaub für Verheiratete gemeinsam mit weiteren Flexibilisierungen der Arbeitszeit zu diskutieren, wie etwa den witterungsbedingten Arbeitsausfall, respektive die 52-Stunden-Woche im Bausektor, die Ausfälle in der kalten Jahreszeit ausgleichen soll. Das Patronat beruft sich dabei auf das vor zwei Wochen unterzeichnete Abkommen, in dem die Regierung unter anderen auch zugesichert hat, mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten zu erwirken. Die UEL hofft mit dem Zusammenlegen beider Themen den Preis für eine Zustimmung hochzutreiben. Deshalb auch die prompte Reaktion von OGBL-Präsident André Roeltgen, seine Gewerkschaft sehe keine Diskussionsbedarf in puncto Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Das sei eine „No-go-Diskussion“, hatte Roeltgen dem Wort gesagt und damit wiederum für Ärger auf Arbeitgeberseite gesorgt. Wozu dann überhaupt zusammenkommen und diskutieren?, heißt es dort.

Dabei ist der OGBL nicht grundsätzlich dagegen, über eine Neugestaltung der unterschiedlichen Urlaubsregelungen zu diskutieren. Auch wenn die Gewerkschaften die Änderungen nicht vorgeschlagen haben, könnten sie ihnen etwas abgewinnen – vorausgesetzt, die Arbeitnehmer verlieren nicht dabei. „Was ist das Volumen dieser Urlaube? Wie oft werden sie von wem genutzt?“, fragt Christoph Knebeler, der sich wundert, dass die Ministerin bisher keine Zahlen vorgelegt habe. Der Tausch eines verkürzten Urlaubs im Falle von Heirat oder Pacs gegen einen verlängerten Vaterurlaub sei nicht ohne: „Für manch frisch verheiratetes Paar mag das die einzige Möglichkeit sein, zusammen frei zu bekommen“, so Knebeler. Doch ist es Aufgabe des Staats, Flitterwochen zu ermöglichen? Ein längerer Vaterurlaub wäre im Sinne einer modernen Familienpolitik, die beide – Frauen und Männer – unterstützt, ihre Kinder gemeinsam zu erziehen.

Die momentane Zurückhaltung der Gewerkschaften ist ein Spiel auf Zeit: Weil die Regierung das Abkommen, das sie mit den Arbeitnehmervertretern im Rahmen der Haushaltsdebatte im November in bilateralen Gesprächen ausgehandelt hat, mit dem Abkommen mit dem Patronat „aufeinanderlegen“ und abstimmen will, sind Unmut und Misstrauen groß. Kein Wunder: Hat die liberale Koalition bei ihren Gesprächen mit dem Patronat doch zugesagt, beispielsweise die automatische Anpassung an den 20 Prozent höhreren qualifizierten Mindestlohn bei ungelernten Beschäftigten, die mindestens zehn Jahre Berufserfahrung und ergo den unqualifizierten Mindestlohn erhalten haben, zu überprüfen. Die Regierung hat es sich durch ihre getrennt geführten Gespräche mit den Sozialpartnern also selbst zuzuschreiben, dass nun die Nerven blank liegen und beide Seiten mit Maximalforderungen und kategorischen Abwehrhaltungen den Austausch von vornherein belasten. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus – sind aber ungleich schwieriger und langwieriger.

Premier Xavier Bettel wollte sich beim Regierungsbriefing am Mittwoch weder darauf festlegen, wie die weitere Marschroute für die Gespräche am 3. Februar aussehen soll, noch auf einen konkreten Zeitplan. Möglich seien, so Bettel, Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Schwerpunkten. Bisher habe man Tabellen angefertigt, die zeigten, welche Übereinstimmungen und Divergenzen es zwischen dem einen und dem anderen Abkommen gebe. Ziel sei eine „proposition commune“. Bettel machte aber auch klar: Man müsse „über alles reden können“.

Ines Kurschat
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