Paul Wurth s.a.

Wasserstoff-Eisen-Alchemie

d'Lëtzebuerger Land du 19.10.2006

Der stählerne Zylinder ist an die drei Meter hoch und misst rund einen halben Meter im Durchmesser. Er ist umgeben von einer dicken Isolierschicht, damit die Temperatur im Innern gehalten werden kann. Drinnen läuft eine chemische Reaktion ab: Ausgangsstoff ist Eisenoxid. Hinzugefügt wird reiner Wasserstoff. Der reduziert das Eisenoxid zu Eisen und verbindet sich mit dem Sauerstoffanteil zu Wasser, das im nicht verbrauchten, heißen Wasserstoff gelöst ist.

Wasser als Abprodukt – das klingt nach Schadstofffreiheit, und so ist es auch gedacht. Der zylinderförmige Reaktor steht in einem Labor der Paul Wurth s.a., und für diesen Technologiebetrieb ist Umweltschutz einer der Hauptpfeiler seiner Innovationsstrategie: metallurgische Verfahren so rückstandsfrei wie nur möglich zu machen. 

Die Gründe dafür, dass ein Forscherteam von Paul Wurth nach einem ökologischen Verfahren zur Umwandlung von Eisenoxid in Eisen zu suchen begann, sind allerdings ziemlich komplexer Natur und ein Aspekt des globalisierten Kapitalismus: Eisenoxid fällt in großen Mengen bei der Herstellung feiner Stahlbleche, etwa für die Automobilindustrie, an. Sind die Bleche fertig gewalzt, müssen sie noch gebeizt werden, um ihre Oberfläche von Fett- und Oxidschichten zu reinigen. Gebeizt wird zum Beispiel mit Hydrochloriden. Dabei entsteht ein Schlamm, der verschiedene Eisenverbindungen und Chloride enthält. Um den Schlamm recyceln zu können, wird er geröstet. Chlor wird frei und wieder in den Hydrochlorid-Kreislauf zurückgeführt. 

Das zweite Reaktionsprodukt ist ein feines, rotbraunes Pulver, das zu über 99,3 Prozent aus Eisenoxid besteht. „Das Pulver wurde üblicherweise weiter verkauft“, sagt Emile Lonardi, Vizepräsident für Corporate Technology bei Paul Wurth. Abnehmer war die Elektronikindustrie, die daraus Kerne für Schwingkreisspulen herstellte, wie man sie in allen möglichen Elektronikgeräten findet; vom PC über Fernsehgeräte bis hin zu Wechselrichtern und kleinen Motoren. Magnetisierbar ist Eisenoxid zwar so gut wie gar nicht. Durch Beimischungen von Nickel, Zink, Mangan, Strontium oder Barium aber lassen sich daraus so genannte Ferrite herstellen, die sich doch magnetisieren lassen. Und die, wenn das äußere Magnetfeld abgeschaltet wird, in ihrem Innern eine Zeitlang einen magnetischen Restfluss aufrechterhalten.

Für diese Weiterverwertung des rotbraunen Pulvers aber stellt sich immer mehr die Rentabilitätsfrage. Abnehmer ist die Elektronikindustrie nach wie vor, doch immer mehr Hersteller verlagern ihre Produktion nach Asien, vor allem nach China. „Und die Chinesen“, sagt Emile Lonardi, „beizen selber Stahlbleche“. Ausgeschlossen ist es nicht, dass Europas Flachstahlfabrikanten in absehbarer Zeit auf einem immer größer werdenden Teil der jährlich bei ihnen anfallenden rund 150 000 Tonnen Eisenoxidpulver sitzen bleiben könnten – potenzielle Schadstoffe, denn zur Weiterverwendung einer so großen Menge gibt es noch nicht genügend viele Anwendungen und Verfahren.

Die Idee der Ingenieure von Paul Wurth klingt simpel: Man mache aus Eisenoxid reines Eisen, aus dem rotbraunen Pulver einschwarzes. Dafür könnten sich Pulvermetallurgie-Betriebe interessieren, deren Produkte mitunter ausgesprochene Präzisionsware sind. Doch solche Verfahren gibt es schon. Nach der Analyse der Paul-Wurth-Ingenieure musste ein neues gefunden werden.

Standardtechnik zur Gewinnung reinen Eisenpulvers ist die Verbrennung eines eisenhaltigen Mineralienkonzentrats gleich welcher Zusammensetzung gemeinsam mit Koks. Doch dabei entsteht eine Asche, aus der durch magnetische Separation das Reineisen erst noch herausgezogen werden muss. Das Eisenpulver ist nicht besonders fein und eignet sich nicht für die hochwertigsten Anwendungen; ein Kilo davon kostet deshalb nur rund einen Euro auf dem Weltmarkt. Und zu guter Letzt hat, wer Kohle verbrennt, um Oxide zu reduzieren, immer ein CO2-Problem. Die Metallurgiebranche der EU aber unterliegt der Emissionslizenzbeschränkung und dem Emissionshandel. Da rechnen sich Experimente mit Koks zur Gewinnung wenig hochwertigen Eisenpulvers nicht unbedingt. Bei Paul Wurth entschied man deshalb, den Fokus der Forschungsarbeit auf eine Anwendung zu richten, die den High-End-Bereich versorgen könnte: die Pulver-Mikrometallurgie.

Sie fertigt durch Druckguss- oder Sintertechniken Bauteile für Mikromotoren oder Zahnräder für winzige Getriebe. Hochwertige Brillengestelle werden ebenfalls so produziert. Diese Branche benötigt Eisenpulver, das so fein und rein ist, dass davon in Europa weniger als 10 000 Tonnen umgesetzt werden, der Kilopreis liegt hier jedoch bei über zehn Euro. Üblich zur Gewinnung derartiger Eisenpulver sind zwei Verfahren. In dem einen wird reines Flüssigeisen bei sehr hohem Druck regelrecht atomisiert. Das Eisenpulver liegt erst nach mehreren komplexen Separa-tionsschritten vor. Verfahren Nummer zwei beruht darauf, beliebige Eisenverbindungen mit einer organischen Kohlenwasserstoffverbindung zu mischen und daraus eine wiederum organische Eisenverbindung zu destillieren. Aus ihr entsteht Eisenpulver durch Kristallisation. 

„Wir wollen eine einfachere Technologie entwickeln“, sagt Forschungschef Lonardi. Und offenbar ist dieses Ziel greifbar geworden: 500 Gramm Eisenpulver mit einem Reinheitsgrad von an die 99,9 Prozent vermag der Reaktor im Labor von Paul Wurth täglich zu produzieren. In ein paar Monaten hofft man, die Ausbeute um ein Vielfaches gesteigert zu haben. Dann könnte ein Prototyp des Reaktors gebaut werden. „Die Geschwindigkeit des Prozesses müssen wir noch optimieren, sagt Lonardi. „Das Verfahren muss produktiv sein, damit es wirtschaftlich ist. Die Morphologie und die mechanischen Eigenschaften des Eisenpulvers haben wir weitgehend im Griff.“

Mit Wasserstoff Eisenoxid zu Eisen zu reduzieren und dabei höchste Ansprüche an die Reinheit des Endprodukts zu stellen, ist allerdings selbst in der Theorie nicht einfach zu beherrschen. „Dass wir es beherrschen, ist natürlich der Clou an der Sache“, sagt Lonardi. „Das haben wir zum Patent angemeldet. Da stecken Kenntnisse über Wechselwirkungen auf molekularer Ebene drin, die zu ermitteln uns jahrelange Arbeit gekostet hat. Das grenzte schon an Grundlagenforschung.“ Partner waren die Écoles des Mines in Paris und Besançon sowie das Forschungszentrum von Arcelor-Mittal in Maizière-le-Metz.

Gelänge es Paul Wurth, das Verfahren zur Serienreife zu führen, ließe sich einem europäischen „Eisenoxidberg“ womöglich vorbeugen. Das Unternehmen mit seiner Zentrale an der Rue de l’Alsace in Luxemburg-Hollerich hätte einen weiteren Aspekt der Metallurgie ökologisch verträglicher gemacht. Wie gut das klappt, wird allerdings nicht nur von den Forschern und Entwicklern des mittlerweile zum Groupe Paul Wurth gewachsenen Konzerns abhängen, der als weltweit führend bei Innovationen in der Metallurgie gilt und bisher über 600 patentierte Erfindungen gemacht hat: Emile Lonardi räumt ein, dass in einer Zeit von Klimawandel und wachsendem CO2-Bewusstsein die Reduktion von Eisenoxid durch Wasserstoff nur dann „emissionsfrei“ genannt werden kann, wenn der Wasserstoff emissionsfrei gewonnen wurde. Paul Wurth setzt auf Wasserstoffgewinnung durch Elektrolyse – der andere Weg, Wasserstoff aus Methan zu gewinnen, lässt unmittelbar CO2 entstehen. „CO2-freie“ Elektrolyse aber ist nur möglich durch „CO2-frei“ gewonnenen Strom. „Atomstrom ist für uns nicht der Ausweg“, sagt Emile Lonardi. „Wir hoffen, dass die Nutzung erneuerbarer Energiequellen besser und konkurrenzfähiger wird.“ Eine Sorge, die die Ingenieure von Paul Wurth mit anderen Akteuren der „Wasserstoffwirtschaft“ teilen, etwa den Brennstoffzellen-Entwicklern.

 

Peter Feist
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