DP

Mulmig für die Gemeindewahlen

Fernand Etgen, Pierre Gramegna, Marc Hansen
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 26.05.2017

Mit Blick auf den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron meinte DP-Präsidentin Corinne Cahen am Sonntag: „Der Modernisierungsprozess, den unser Nachbarland nun mit dem neuen, jungen und dynamischen Präsidenten beginnt, der hat bei uns schon im Dezember 2013 begonnen.“ Und wer braucht schon einen Macron, wenn er einen Bettel hat? Denn „durch unseren formidablen Botschafter, Xavier, hat Luxemburg den Ruf eines jungen, dynamischen, modernen Landes“. Sie bedankte sich beim Premier, und der Kongress im ehemaligen Straßenbahndepot auf dem Limpertsberg brach in Applaus aus.

„Ich kann es kaum erwarten, dass die Reformen bei den Leuten ankommen“, hatte der Premierminister auf dem DP-Parteitag vor einem Jahr in Bonneweg gefiebert. Doch „nun, da schon viele Reformen umgesetzt sind und da diese Reformen auch direkt das Leben der Menschen verbessern, nun wissen die Leute, dass diese Politik richtig war und ist“, beruhigte ihn endlich Parteipräsidentin Corinne Cahen am Sonntag. Bettels Vorsprung auf Macron ist, dass die Luxemburger die laut Meinungsumfragen, Europawahlen und Referendum oft als schmerzhaft empfundenen liberalen Reformen schon hinter sich haben.

Nachdem die DP in einer Verzweiflungstat vor anderthalb Jahren ihre gesamte Führungsspitze ausgewechselt und dann ihre Sparpolitik für beendet erklärt hatte, kündigte Xavier Bettel in seiner Erklärung zur Lager der Nation vor einem Monat an, dass sich der ungestüme Reformeifer der liberalen Koalition gelegt hat, dass nun die gemütlichen Zeiten der Lebensqualität begonnen haben. „Das Land hat schwierigere Zeiten hinter sich“, berichtete er am Sonntag, aber nun seien sie gemeistert. Er erinnerte an im eigenen Lager beliebte Reformen der vergangenen Jahre, wie die laizistische Feier am Nationalfeiertag und die Lockerung des Abtreibungsgesetzes.

Auch für Parteipräsidentin Corinne Cahen bricht mit dem Wahlkampf die Zeit der Bilanz an. Und sie zählte auf: 80 Millionen Euro jährlich in die Kinderbetreuung, nationale Bioprodukte, autonomere Schulen, Steuerreform, Elternurlaub... Ebenso freute sie sich über die Fortschritte in der von den Grünen verantworteten Transportpolitik, darunter „die Straßenbahn, die Ende des Jahres endlich auf dem ersten Streckenabschnitt fährt“ und deren Bau sie als Vorsitzende des hauptstädtischen Geschäftsverbands vor den Gemeindewahlen 2011 noch heftig kritisiert hatte.

Dem gegenüber stellte die Parteipräsidentin die CSV als Miesmacher und Ewiggestrige dar: „Ich kann deshalb auch nicht verstehen, dass in einer Zeit, da es Luxemburg gut geht, da alle internatio­nalen Institutionen uns für unsere öffentlichen Finanzen die allerbesten Noten ausstellen, da die Arbeitslosigkeit sinkt, da die Zufriedenheit der Leute in den Betrieben hoch ist, dass in solch einer Zeit verschiedene Politiker sagen, das Land könne sich das alles nicht leisten und das Land und die Leute müssten jetzt einmal den Gürtel enger schnallen. Es gibt derer, die Angst verbreiten vor irgend­einer nächsten Krise. Es gibt derer, die am liebsten hätten, der Luxemburger Staat sparte sich in die nächste Krise hinein.“ Premier Xavier Bettel warnte sogar davor, dass „verschiedene Parteien“ seine Reformen „zurückdrehen und abschaffen wollen“, deshalb wolle er „alles tun und kämpfen“, damit die DP nächstes Jahr an der Macht bleibe und das Rad der Geschichte nicht zurückgedreht werde.

Aber der beginnende Wahlkampf ist auch die Zeit, Alleinstellungsmerkmale nicht nur gegenüber der Opposition, sondern auch innerhalb der Mehrheit zu suchen, um sich von den Koalitionspartnern zu unterscheiden und die eigene Wählerschaft an sich zu binden. Dazu hatte Wirtschaftsminister Etienne Schneider auf dem Neujahrsempfang seiner Partei am 11. Januar gemeint, dass ein Teil der von der dritten Industriellen Revolution und von Industrie 4.0 erwarteten Produktivitätsgewinne über Arbeitszeitverkürzung an die Lohnabhängigen weitergereicht werden könnten. Denn er weiß, wie nützlich dieses Reizwort ist, um die LSAP im Wahlkampf als Partei der gegen Lohn und Gehalt Arbeitenden links zu positionieren.

„Vor kurzem wurde ja vorgeschlagen, die Arbeitszeit einfach zu senken. Und ihr wisst, dass die DP da mehr als skeptisch reagierte“, griff die Präsidentin der nach eigenem Bekunden Mittelschichtenpartei Etienne Schneiders Einladung zum Klassenkampf freudig auf. Schließlich bekommen die DP-Minister oft genug von den eigenen Anhängern zu hören, dass die Sozialisten den Ton in der Regierung angeben. Familienministerin Corinne Cahen ging es nicht um Produktivitätsgewinne, sondern es müsse möglich sein, in verschiedenen Lebensphasen mehr oder weniger zu arbeiten. „Und deshalb kann man nicht einfach pauschal Arbeitszeitverkürzungen fordern, die Arbeitswelt muss flexibler werden.“

LSAP-Fraktionssprecher Alex Bodry hatte während der Debatte über die Lage der Nation gemeint, dass man im Kampf gegen die Wohnungsnot „Enteignungen ganz deutlich ins Auge fassen“ müsse, und den Wählern aus dem Herzen gesprochen, die zur Miete wohnen oder deren Besitz sich auf zwei Ar Grundstück mit einem hypothekierten Eigenheim beschränkt. So konnte die DP-Präsidentin ihren in Immobilien anlegenden Oberschichten beteuern: „Wir nehmen niemand seine Grundstücker oder Wiesen weg, für die er sein Leben lang gearbeitet hat. Deshalb kommen neben den schon bestehenden Instrumenten keine neuen radikalen Maßnahmen in unser Wahlprogramm stehen!“ Der Kongress applaudierte begeistert, die Präsidentin lachte breit. Vom grünen Koalitionspartner distanzierte sich die DP nicht.

So steigt die liberale Regierung langsam aus dem Sympathietief, in das sie nach ihren Steuer­erhöhungen und Einsparungen gefallen war. Dank Steuerreform und hohem Wachstum nimmt in der Partei sogar die Kritik an der eigenen „Konturlosigkeit“ ab. Trotzdem sieht die DP den Gemeindewahlen mit gemischten Gefühlen entgegen. Im Norden ist sie sowieso „in keinem Schöffenrat vertreten“, so Bezirkspräsident Marco Koeune, auch der Süden ist laut Bezirkspräsident Max Hahn nur „Liebe auf den zweiten Blick“. In der liberalen Vorzeigegemeinde Differdingen hat die Meisch-Dynastie abgewirtschaftet. Und in der Hauptstadt finden selbst treue DP-Mitglieder, dass eine Verjüngung überfällig ist – doch mangels Nachfolger muss Lydie Polfer noch einmal antreten, obwohl sie ihre Bürgermeisterinnenlaufbahn schon vor 35 Jahren begonnen hatte.

Um den Sukkurs für die am nächsten Montag veröffentlichte Kandidatenliste zu stärken, durfte die hauptstädtische Bürgermeisterin auf dem Landeskongress ausgiebig erzählen, wie sie 869 Einsprüche gegen den Bebauungsplan einzeln angehört habe, weil das, was sie und Ex-Schöffin Anne Brasseur „früher ‚Dialog’ und ‚Transparenz’ nannten, heute ‚Partizipation’ heißt“. Die Begriffe wechseln, aber was bleibt, ist die „Liebegeschichte zwischen der Stadt Luxemburg und der Demokratischen Partei“. Generalsekretär Marc Ruppert beschwor: „Lydie ist durch und durch DP, durch und durch Stadt, und wir alle hier sind mehr denn je Lydie Polfer.“

Dann wurde ein mannshohes stahlblaues Herz mit dem seinerzeit von Claude Meisch eingeführten grünen Tupfer enthüllt, das den Wahlkampf­slogan „Mat Häerz a Séil Lëtzebuerg“ trug. Der in Herzensangelegenheiten ebenfalls gerne auftrumpfende Premier nutzte das Zusammentreffen von Herz und Polfer, um dem Kongress zum wiederholten Mal seine Nuit de feu zu erzählen, wie er als Primärschüler Bürgermeisterin Lydie Polfer erfolgreich um einen Spielplatz gebeten hatte. Und der Regierungschef im Wahlkampfmodus, der nach seiner Gesangseinlage in der Rockhal während der vergangenen Tagen an der Jahresversammlung des Jägerverbands und am Tag der offenen Tür der Kannerklinik teilnahm, das Lycée des arts et métiers und die Filmfestspiele in Cannes besuchte, musste die Selbstverständlichkeit ankündigen: „Ich werde Lydie Polfer wählen.“

Romain Hilgert
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