Für einen Verbandspräsidenten von Autohändlern sagt Ed Goedert ziemlich unorthodoxe Dinge. Der Vorsitzende der Association des distributeurs d’automobiles luxembourgeois (Adal) im Interview

„Die Leute denken rationaler“

d'Lëtzebuerger Land du 30.01.2015

d’Land: Herr Goedert, im vergangenen Jahr wurden 6,6 Prozent mehr PKW neu angemeldet als 2013. Aber 2013 waren die Neuzulassungen gegenüber dem Vorjahr um 7,3 Prozent gesunken. In den drei Jahren zuvor war die Lage ziemlich stabil. Und wenn man weiter zurückschaut, dann schwankt die Zahl der Neuzulassungen eigentlich schon seit 2004 um die 50 000 Autos jährlich. Ist der Markt gesättigt?

Ed Goedert: Eine gewisse Sättigung gibt es zweifellos. Dass die Zulassungen immer wieder mal zunehmen, hängt sicherlich mit dem Bevölkerungszuwachs zusammen. Unser Motorisierungsniveau pro Kopf ist jedoch schon jetzt extrem hoch. In der EU sind wir damit einsame Spitze. Es immer höher zu schrauben, wäre schwierig.

Solche Einschätzungen vom Präsident eines Autohändlerverbands zu hören, ist ziemlich ungewöhnlich.

Mag sein. Meine Rolle als Adal-Präsident besteht aber unter anderem darin, auf Entwicklungen hinzuweisen, die sich vollziehen, und Denkanstöße auch in den Verband hinein zu geben. Ich bin nicht dazu da, nur zu sagen, was garantiert jeder gerne hört.

Wie vor zwei Wochen, als Sie in Ihrer Ansprache auf dem alljährlichen Empfang der beiden Händlerverbände vor dem Autofestival laut darüber nachgedacht haben, dass die Leute beginnen könnten, ihren Zweitwagen in Frage zu stellen?

Ich sprach vom Zweitwagen, nicht vom Dritt- oder Viertwagen. Das sind Spaßfahrzeuge. Der Erstwagen ist ebenfalls viel mehr ein Spaßfahrzeug als der Zweitwagen. Der hingegen wird – und da spreche ich jetzt von einem Familienhaushalt, in dem beide erwachsene Partner berufstätig sind – aus sehr rationalen Erwägungen angeschafft. Vor allem, weil beide meinen, sie seien ohne eigenes Auto nicht mobil genug. Gleichzeitig ist ihnen klar, dass Anschaffung und Unterhalt von zwei Autos einen nicht zu vernachlässigenden Kostenpunkt haben. Ich meine, vor allem des wirtschaftlichen Faktors wegen fangen nun viele an zu überlegen: Müssen wir zwei Autos haben? Gibt es keine andere Lösung? Welche Alternativen bietet der öffentliche Transport? Kann ich mit Kollegen eine Fahrgemeinschaft gründen? Und so weiter. Die Leute sind in einer Abwartehaltung: Was kommt steuerlich auf mich zu? Wer seinen Gehaltszettel vom Januar anschaut, stellt fest, es gibt netto weniger als im Dezember. Nach dem eigenen Haus oder der eigenen Wohnung aber ist das Auto in der Regel die zweitgrößte Investition eines Haushalts. Da fragt man sich natürlich: Was brauche ich?

Vielleicht fragen viele sich das ja nicht erst jetzt, und Ausdruck davon ist der seit Jahren wachsende Gebrauchtwagenmarkt.

Es gab schon immer schlaue Rechner, die sich einen noch relativ jungen Gebrauchtwagen zugelegt haben. Ein neues Auto hat nach einem Jahr relativ viel an Wert verloren. Anschließend wird der Wertverlust kleiner und stabilisiert sich irgendwann. Kauft man ein Auto, das ein Jahr alt ist und noch wenig gefahren wurde, hat man beinah ein neues. Man bekommt die volle Garantie, bezahlt aber 20 bis 25 Prozent unterm Neupreis. So was ist ein cleverer Kauf.

Und weil in Luxemburg jeder zweite Neuwagen im Leasing verkauft wird, Leasingfahrzeuge aber oft schon nach 18 Monaten ersetzt werden, wird der Gebrauchtwagenmarkt ständig um ziemlich neue Autos ergänzt.

Nach 18 Monaten werden die wenigsten Leasingautos schon weiterverkauft. Die meisten laufen drei bis vier Jahre. Aber es stimmt schon: Verglichen mit dem Ausland ist der Luxemburger PKW-Bestand jung. Das kommt nicht zuletzt durchs Leasing, und das hält unseren Gebrauchtwagenmarkt hochwertig. Der Kunde kann sich dann entweder für weniger Geld ein fast neues Auto kaufen oder für dasselbe Geld eines, das mit mehr Extras ausgestattet ist als ein Neuwagen es hätte sein können, weil dann das Budget des Kunden gesprengt worden wäre. Angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Lage sind das interessante Optionen. Dadurch wächst dieser Markt. Für den Händler ist das Secondhand-Geschäft ebenfalls hoch interessant. Da gewinnt man Kunden, die später vielleicht einen Neuwagen kaufen. Den Gebrauchtwagenmarkt muss jeder Händler extrem ernst nehmen.

Was konkret bekommen die Händler von dem neuen Denken der Leute mit, dem gewachsenen Kostenbewusstsein oder den Fragen, ob Mobilität nicht auch ohne Auto zu haben ist?

Vor allem sind die 18- bis 25-Jährigen heute ganz anders eingestellt als meine Generation es in diesem Alter war. Für uns war es mit 18 am wichtigsten, schnell den Führerschein zu machen und sich ein gebrauchtes Auto zu kaufen. Hatten die Eltern genug Geld, konnte man sich vielleicht sogar ein neues kaufen, aber egal: Ein eigenes Auto war das erste große Ziel. Das ist heute nicht mehr so. Die jungen Leute leben in einer ganz anderen Welt und denken viel rationaler. Wir sind damals im Auto zur Uni gefahren. Sie sagen: Wozu brauche ich als Student ein Auto? Ich brauche keines.

Nach dem Studium ändert sich das vielleicht.

Vielleicht! Ich meine nämlich, das im Vergleich zu meiner Generation viel rationalere Verhältnis zum Auto bleibt bestehen. Der Kunde von morgen wird ganz andere Vorstellungen und Erwartungen haben als der von heute.

Damit ist das Auto auch viel weniger ein Statussymbol.

Das ist ein europaweites Phänomen. In China ist das nicht so, aber China ist heute da, wo wir vor langer Zeit waren, und eines Tages werden die Leute dort ebenfalls anders denken.

Wie stellt man sich denn als Händler auf solche neuen Entwicklungen ein?

Gute Frage. Aber schwer zu beantworten! Als Händler lebt man es Tag für Tag. Man versucht den Erwartungen und Bedürfnissen der Kunden bestmöglich gerecht zu werden.

Braucht Ihre Branche angesichts dieser Umbrüche nicht auch neue Geschäftsmodelle? Die Unternehmen wollen ja vermutlich weiterexistieren und am besten noch wachsen.

Das große Problem ist, die Jugend zu erreichen. Wobei Banken und Versicherungen vor derselben Herausforderung stehen, und ich würde sagen im Grunde auch alle Vereine. Ihnen fällt es schwer, die Jugend ins Boot zu kriegen; wir haben ein Problem, sie ins Auto zu kriegen. Das ist eine relativ neue Entwickung. Sie hat noch keine Geschichte, die beginnt sich erst zu entfalten. Als Händler sind wir heute in einer Abwarteposition: Wir beobachten, machen uns unsere Gedanken, schauen uns die Leute an, die zu uns kommen. Unsere Mission ist, so genau wie möglich zu fragen und den bestmöglichen Service anzubieten. Und dann müssen wir sehen, wie sich alles weiterentwickelt.

Transportminister François Bausch stellt sich vor, dass es schon in absehbarer Zeit ein landesweites Carsharing geben könnte: zumindest in den größten Gemeinden und an den wichtigsten „Umsteigepolen“ zum öffentlichen Transport. Ist das für die Händler eine Bedrohung?

Na klar. Wenn mehr Leute auf den öffentlichen Transport umsteigen, wird weniger Auto gefahren. Wird Carsharing Wirklichkeit, sind tendenziell weniger Autos nötig. Man kann auch über das organisierte Carsharing hinausdenken: Nehmen wir an, in einem großen Apartmenthaus besitzt der eine ein großes Auto, der andere ein kleines. Braucht der Besitzer des großen Autos seinen Wagen immer? Könnte er ihn nicht ab und zu dem Besitzer des kleinen Autos leihen, weil der vielleicht manchmal gern ein großes hätte? Die beiden könnten miteinander einen Deal machen. Dann käme eine Lawine ins Rollen. Die Leute könnten sogar sagen: Kaufen wir uns doch gemeinsam ein Auto. Das sind Szenarien, die man nicht aus dem Auge verlieren darf. Das muss nicht so eintreten, kann aber. Und tritt es ein und wir haben es ignoriert, könnten wir uns auf der falschen Spur wiederfinden.

Würden im Carsharing vor allem kleinere Autos eingesetzt?

Ich meine, man müsste es gescheit einrichten, so dass darin alles seinen Platz hat: kleinere Autos für die kurzen Besorgungen, Elektroautos für die Städte, Hybridautos für größere Touren und starke Autos, wenn man mal Spaß haben will. Am Ende wird sich dafür ein Gesamtkonzept ergeben.

Schon seit gut zehn Jahren steht das politische Ziel im Raum, bis 2020 den Anteil des öffentlichen Transports an den Fahrten innerhalb des Landes auf 25 Prozent zu bringen. Heute sind es an die 13 Prozent. Macht das 25-Prozent-Ziel Ihnen Sorgen?

25 Prozent öffentlicher Transport hieße immerhin 75 Prozent Individualverkehr. Das ist eine Menge. Damit könnten wir Händler leben, müssten aber dann noch in andere Sparten einsteigen. Das geht in Richtung neuer Geschäftsmodelle: Als Autohändler verkaufen wir Freiheit. Wir könnten, meine ich, auch ein Mobilitätskonzept über das Auto hinaus anbieten. Wer ein Auto kauft, könnte vielleicht ein Jahresabonnement für den öffentlichen Transport mit erwerben. Oder einen Rabatt für den öffentlichen Transport, oder fünf Tickets für den TGV nach Paris – ich stelle jetzt einfach mal etwas in den Raum. Womöglich schockiert das viele. Aber wir stehen vor einem Wandel in der Mobilität. Eine Revolution wird es nicht geben, aber eine deutliche Evolution hin zu einem neuen System. Wenn man das vor sich hat, sieht es zunächst bedrohlich aus. Steckt man mittendrin, findet man Wege, damit umzugehen.

Was meinen die anderen Händler zu Ihren Gedanken?

Manche sind offen dafür, andere ganz offen, wiederum andere wollen davon nichts hören. Wie gesagt: Als Adal-Präsident gebe ich Denkanstöße. Verarbeiten muss sie jeder für sich selber, und ich hoffe, dass am Ende jeder als Manager für seinen Betrieb die richtigen Entscheidungen trifft. Außerdem glaube ich, dass die Autohersteller sich der neuen Entwicklungen bewusst sind. Sie beobachten und analysieren ganz genau, was läuft, und werden ihre Produkte entsprechend anpassen. Darauf greifen wir dann zurück. Als Händler sind wir ja das letzte Glied einer ganzen Kette.

Gehen die Hersteller wirklich so mit der Zeit? Im vor kurzem veröffentlichten Global Automotive Executive Survey 2015 von KPMG sagt zum Beispiel die Mehrheit der befragten Manager in Westeuropa, den USA und Japan, der Besitz eines Autos werde für die Leute weiterhin einen hohen Stellenwert haben, auch für die unter 25-Jährigen …

Was in solchen Befragungen angegeben wird, ist nicht unbedingt das, was die Strategen hinter verschlossenen Türen in ihrem Unternehmen besprechen. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, die Hersteller nie zu unterschätzen. Die haben neben dem Plan A nicht nur einen Plan B, sondern auch einen Plan C und vielleicht sogar einen Plan D in der Schublade.

Noch eine Frage zum Luxemburger Marktgeschehen: Haben im vergangenen Jahr wegen der bevorstehenden Mehrwertsteuererhöhung viele Kunden noch schnell ein Auto gekauft?

Ich meine nicht. Bis in den Dezember war die Mehrwertsteuererhöhung bei den Kunden gar kein Thema. In der zweiten Dezemberhälfte verkauften dann verschiedene Händler, abhängig von den Marken und den Modellen, besonders viel. Da hat die Aussicht auf die zwei Prozentpunkte mehr TVA wohl einen Impuls gegeben, aber keinen starken.

Peter Feist
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