Kandidatenlisten

Übersichtlichkeit

d'Lëtzebuerger Land vom 09.04.2009

Diese Woche lief die Frist ab, innerhalb der Kandidatenlisten für die Parlaments- und Europawahlen am 7. Juni eingereicht werden konnten. Bis Mittwoch hatten sich acht Listen gemeldet, die einem halben Dutzend politischer Familien zuzurechnen sind: den vier, die um den Ersten Weltkrieg entstanden waren und nach dem Zweiten Weltkrieg während Jahrzehnten das Parlament beherrschten, Christlichsoziale, Sozialisten, Liberale und Kommunisten, sowie die beiden neuen, Umweltschützer und Populisten.

Damit hat die Parteienlandschaft wieder die Übersichtlichkeit zurückgewonnen, die sie, insbesondere während der Achtzigerjahre, verloren zu haben schien. Im Gefolge der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise hatten sich damals vor allem konkurrierende ökologische und nationalistische Splitterparteien herausgebildet und erfolglos zu etablieren versucht, begleitet von den einen oder anderen kurzlebigen Folklorekandidaten.

Seinen Höhepunkt hatte dieser Prozess vor 20 Jahren erreicht, als 17 Listen bei den Parlamentswahlen kandidierten. Die Umweltschützer hatten sich dann nach und nach zu einer einzigen Partei zusammengerauft, die Nationalisten gaben aus Mangel an Erfolg und Geld wieder auf, und eine Verschärfung des Wahlgesetzes entmutigte weitere Folkloristen. Außer Aly Jaerlings von der ADR abgesplittertem Wahlverein treten 2009 nicht einmal die Fräi Partei Lëtzebuerg von 2004 oder die im selben Jahr gegründete Tierschutzpartei an.

Als in den Achtzigerjahren die Zahl der Splitterparteien zunahm, von denen es seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts bei fast jeder Wahl die eine oder andere gab, prophezeiten viele haupt- und nebenamtliche Spezialisten den Untergang der politischen Parteien und des schon von Carl Schmitt verteufelten „Parteienstaats“. Manche sahen sogar das Goldene Zeitalter der Neuen sozialen Bewegungen dämmern, welche ziemlich basisdemokratisch den Platz der Parteien einnehmen würden. Die neuen ökologischen und populistischen Parteien wollten anfangs höchstens Antiparteien und am liebsten gar keine Parteien sein, schworen auf das Rotationsprinzip und das imperative Mandat.

Doch auch diese Theorien verstauben längst in Bücherkisten auf den Dachböden. Heute sind die Neuen sozialen Bewegungen zu weitgehend staatlich ausgehaltenen Kaderorganisationen verkommen, selbst Grüne und ADR sind inzwischen bekennende Parteien, und die politischen Parteien erfreuen sich guter Gesundheit. Ihre Sekretariate wurden professioneller, ihre Kongresse kürzer, und sie bündeln, notfalls mit der Vorarbeit der Tripartite, so gut wie konkurrenzlos gesellschaftliche Interessen, um sie im Rahmen des Parlamentarismus gegeneinander auszuhandeln und durchzusetzen.Das bedeutet unter dem Strich eine Rückkehr zu den Nachkriegsverhältnissen, aber mit einem kleinen Umweg. Damals saßen nämlich im Parlament eine Partei, die immer regierte, die CSV, und eine, die nie regierte, die KPL, sowie zwei, die ab und zu regierten, LSAP und DP. Doch heute und damit auch am kommenden 7. Juni gibt es nicht vier, sondern fünf relativ stabile Parteien im Parlament. Dadurch bleiben den traditionellen Koalitionsparteien CSV, LSAP und DP zwangsläufig weniger Mandate. Solange aber die  ADR, wie einst die Kommunisten, von Koalitionen ausgeschlossen ist, reicht es rein arithmetisch kaum noch zu einer Koalition ohne CSV. Nicht nur die Parteien haben also noch ein langes Leben vor sich, sondern auch der CSV-Staat. 

Romain Hilgert
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