In Holland wollen Gemeinden Cannabis anbauen

Kommunale Cannabiskulturen

d'Lëtzebuerger Land vom 03.08.2000

Die Drogenpolitik der Niederlande war in den letzten 20 Jahren immer wieder Auslöser vieler Kontroversen. Im Ausland wurden die Diskussionen um die niederländische Duldungspolitik  zuweilen stark emotionalisiert. In vielen Ländern ist die Drogenproblematik vor allem eine moralische Frage und der Umgang damit entsprechend schwierig. Nicht so in den Niederlanden. Der Drogenkonsum wird hier nicht als individuelles Suchtproblem, sondern als gängiges soziales Phänomen angenommen, das nach einer pragmatischen Lösung verlangt.

Eine solche Lösung haben sich 20 Gemeinden ausgedacht und sie Mitte des Monats in Form einer Anfrage an das Parlament und an das Kabinett der Königin gerichtet. In einem Brief baten sie um die Genehmigung, Cannabis legal anbauen zu dürfen, um die Coffee-shops selbst beliefern  zu können. Ziel dieser Initiative ist die Entkriminalisierung des Cannabishandels. Ein weiteres Argument ist das der Kontrolle von Quantität und Qualität der Cannabisprodukte. In den letzten Jahren hatte es in der Presse immer wieder Berichte über die Zunahme des THC-Gehaltes im "nederwiet", dem niederländischen Cannabis, gegeben. THC, Delta-9-Tetrahydrocannabinol, ist der Hauptbestandteil im Cannabis, der auf das Bewusstsein wirkt. Durchschnittlich enthält das "nederwiet" zwar nur 8,6 Prozent  dieses Wirkstoffes, einige Proben, die von chemischen Labors untersucht wurden, erreichten allerdings Spitzenwerte von über 20 Prozent. Drogenexperten der Polizei haben bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass bei solch hohen Werten keine Rede mehr von so genannten weichen Drogen sein könne.

Die Unterscheidung zwischen harten, also schwer gesundheitsschädlichen, und weichen Drogen mit geringem Gesundheitsrisiko, wurde 1976 im so genannten Opium Akt festgelegt, um eine Teilung des Drogenmarktes zu erreichen. Prinzipiell ist der Besitz von Drogen jeglicher Art verboten. Der Besitz von fünf Gramm weicher Drogen wird jedoch geduldet, sofern er für den persönlichen Gebrauch bestimmt ist. Geduldet bedeutet, dass sich der Drogenkonsument zwar ausserhalb des gesetzlichen Rahmens bewegt, dafür aber nicht von der Polizei belangt wird. Wer mehr als 30 Gramm Haschisch oder Marihuana mitführt - Marihuana wird aus der getrockneten Cannabispflanze hergestellt, Haschisch aus ihrem gepressten Harz -, macht sich in jedem Fall strafbar und des Drogenhandels verdächtig.

Der Verkauf von Drogen ist nur innerhalb der Coffeeshops erlaubt. Aber auch hier gilt: Nicht mehr als fünf Gramm pro Person und nicht an Jugendliche unter 18 Jahren. Die Bestimmungen des Opium Aktes bringen die Besitzer der Coffee-shops allerdings in eine zwiespältige Situation. Nachdem der Drogenhandel und der Anbau von größeren Mengen Cannabis verboten sind, bewegen sich ihre Zulieferer im kriminellen Raum. Überspitzt formuliert bedeutet das, dass man fünf Gramm Cannabis oder Haschisch an der Vordertür unbehelligt kaufen, für eine Lieferung von fünf Gramm an der Hintertür aber verhaftet werden kann.

Gegen diese Hintertürregelung richtete sich die Anfrage der 20 Gemeinden. Bisher allerdings ohne Erfolg.

Obwohl die Zweite Kammer, wenn auch nur mit einer Stimme in der Mehrheit, dem Antrag zustimmte, blockte das Kabinett gleich ab. Auch Premierminister Wim Kok und Justizminister Benk Korthals befürchten eine weitere Isolierung der Niederlande durch eine neue Liberalisierung der Drogenpolitik. Der Regierung dürfte die heftige Kritik aus dem Ausland immer noch in den Knochen sitzen. Die USA, Frankreich und Schweden hatten den Niederlanden in der Vergangenheit nicht nur vorgeworfen, das Suchtverhalten der Menschen, sondern auch den internationalen Drogenhandel zu fördern.1995 war es sogar zu einem diplomatischen Streit zwischen Frankreich und den Niederlanden gekommen. Jacques Chirac hatte die niederländische Duldungspolitik für den Strom der französischen Drogentouristen nach Amsterdam verantwortlich gemacht. Die Vereinten Nationen waren sogar so weit gegangen, die Niederlande als "Kolumbien Europas" zu bezeichnen. Seither bemüht sich die niederländische Öffentlichkeit um Rehabilitierung in Form von Statistiken, die belegen, dass die Zahl der Drogenabhängigen in den Niederlanden im europäischen Vergleich sehr niedrig ist. Gleichzeitig wurde eine spezielle Polizeitruppe ausgebildet, die sich auf die Aushebung illegaler Drogenlabore spezialisiert hat.

Obwohl es gerade in den letzten paar Jahren innerhalb der EU eine Annäherung an das niederländische System gegeben hat, zumindest in Bezug auf Präventionspolitik und Suchtbehandlung, fürchtet sich die Regierung in Den Haag wohl vor dem Unmut der Nachbarländer. Das würde zumindest die widersprüchlichen Neuerungen des Drogengesetzes seit Mitte der Neunziger erklären. Hatten sich die Sozialdemokraten und die Linksliberalen bisher immer für die Legalisierung weicher Drogen ausgesprochen, mussten sie ihre Forderungen als Regierungsparteien relativieren. Der Grund dafür war, neben den Proteststimmen aus dem Ausland, auch die Opposition in Form der Christdemokraten und der kleineren christlichen Parteien, sowie der rechtsliberale Koalitionspartner. Das Resultat ist ein halbherziger Reformversuch des Opium Aktes. So wurden einerseits die Menge des erlaubten Verkaufs von 30 auf fünf Gramm herabgesetzt und die Zahl der Coffeeshops reduziert, gleichzeitig aber dürfen Coffeeshops statt wie früher nur 30, jetzt bis zu 500 Gramm Cannabis lagern. 

Wim Kok meinte neulich, man könne nicht von einer weiteren Liberalisierung sprechen, solange die Drogenbestimmungen der Niederlande eine Sonderposition in der EU einnehmen würden. Es ist allerdings zu befürchten, dass sich daran in nächster Zukunft nichts ändern wird. Schweden zum Beispiel strebt eine drogenfreie Gesellschaft durch Prohibition an. Und Tony Blair hatte erst im März eine Liberalisierung des britischen Drogengesetzes abgelehnt. 

Der Vertrag von Maastricht hat es zwar geschafft, die Zusammenarbeit der europäischen Sicherheitskräfte, auch in Bezug auf den Drogenhandel, zu fördern. Eine Harmonisierung der europäischen Drogenpolitik liegt aber noch in weiter Ferne. In einer Debatte, die derart ideologisch und kulturell geprägt ist, wird ein Konsens nur schwer zu erreichen sein.

Sandra Sacchetti
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