Deutschland

Kein Interesse

d'Lëtzebuerger Land du 17.07.2020

Die Deutschen und ihre Ordnungshüter: War das Verhältnis lange Zeit von Obrigkeitshörigkeit bestimmt, so begibt man sich heute zunehmend in ein zwiespältiges Verhältnis. Auf der einen Seite sollen Polizistinnen und Polizisten Recht und Ordnung sicherstellen und das Gewaltmonopol des Staates aufrechterhalten. Auf der anderen Seite drängt sich die Vermutung auf, dass manche Polizeibeamte ihr Amt missbrauchen, um Untaten zu begehen oder zumindest zu unterstützen. Die Frage, ob es sich dabei um ein strukturelles Versagen handelt, mag Bundesinnenminister Horst Seehofer (CDU/CSU) nicht so recht beantworten lassen. Doch aktuelle Ereignisse verlangen eine deutliche Ansage des Ministers.

So geht etwa die Polizei in Hessen dieser Tage Fällen von rechtsextremistischen Bedrohungen möglicherweise aus den eigenen Reihen nach. Von einem Rechner der hessischen Polizei seien persönliche Daten einer Künstlerin abgerufen worden, die von Rechtsextremisten seit Monaten mit Schmäh- und Drohschreiben überzogen werde, berichtet die Tageszeitung Frankfurter Rundschau. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte Anfang der Woche, dass es „weitere Fälle“ gebe. „Wir haben mehrere Drohschreiben gegen mehrere Geschädigte.“ Namen wollte sie nicht nennen. Die jeweiligen E-Mails weisen Ähnlichkeiten in Aufbau und Wortlaut zu bisher bekannt gewordenen Fällen auf, wie die Zeitung unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft berichtete.

So hatte die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die im NSU-Prozess die im Prozess um die rechtsterroristische Mordserie Familien der Opfer als Nebenkläger vertrat, 2018 Drohungen erhalten, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. In diesem Jahr hat Janine Wissler, Vize-Vorsitzende der Linken, solche Schreiben bekommen. Zuvor waren jeweils persönliche Daten der Betroffenen über einen hessischen Polizeicomputer abgefragt worden. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat keine Belege, aber den Verdacht, dass es ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei geben könnte, was nun interne Ermittler klären sollen.

An einer Aufklärung müsste auch Bundesinnenheimatminister Horst Seehofer interessiert sein. Gerade in seiner Funktion als oberster Dienstherr aller deutschen Polizistinnen und Polizisten. Dies sollte eine Studie leisten, die vor rund einem Monat von einem Sprecher des Innenministeriums angekündigt wurde. Sein Ressort sowie das Bundesjustizministerium, so zitierte die Tageszeitung Die Welt den Ministeriumssprecher, arbeiteten derzeit an der „konzeptionellen Entwicklung für eine Studie zu Racial Profiling durch die Polizei. Kurz darauf stellte das Innenministerium klar, dass das Vorhaben auf eine Empfehlung des Europarats gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) zurückgehe. Seehofer stellte sich allerdings dagegen und erklärte im Innenausschuss des Bundestags, dass eine solche Studie nie geplant worden sei. Das Ministerium versucht nun herauszufinden, wie es zur Ankündigung einer solcher Studie überhaupt hat kommen können.

Der Begriff Racial Profiling beschreibt Fälle, bei denen Polizeibeamte Menschen allein aufgrund von äußeren Merkmalen wie etwa der Hautfarbe kontrollieren. „Schon der Titel einer solchen angeblichen Studie wäre doch tendenziös und gleicht einer Vorverurteilung der Polizei“, sagte der CDU-Innenexperte Armin Schuster der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). „Dass von unseren Polizisten systematisches Racial Profiling betrieben würde, ist eine groteske polittheoretische Wahrnehmung auf der linken Seite.“ Schuster regte stattdessen an, eine Studie aufzulegen, die „aus Sicht der Bürger repräsentativ untersuchen würde, wie sie die Qualität der Polizeiarbeit einschätzen und wie zufrieden sie mit der deutschen Polizei sind“. Würden dabei strukturelle Missstände offengelegt, „böte das dann Gelegenheit, zielgerichtet vorzugehen“.

Andrea Lindholz (CSU), Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, erklärte dazu, dass erst einmal abgewartet werden solle, was der Verfassungsschutz mit seiner neuen Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst herausfinde: „Wenn wir das auf dem Tisch haben, kann es durchaus sinnvoll sein, so eine Studie in Auftrag zu geben. Aber bestimmt nicht jetzt in dieser aufgeheizten Atmosphäre.“

Allerdings, Seehofer bekommt auch Gegenwind aus den eigenen Reihen, nämlich von Annette Widmann-Mauz, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung und CDU-Mitglied. Es brauche die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, um eine sachliche Diskussion zu ermöglichen, sagte die Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci sagte, er könne Seehofer zwar „verstehen, dass er sich in einer aufgeheizten Lage vor die Polizisten stellt, aber ich verstehe auch meinen Fraktionskollegen Karamba Diaby mit seinen Alltagserfahrungen sehr gut“. Diaby ist im Senegal geboren. Castellucci fügte mit Blick auf die diskutierte Studie hinzu: „So etwas hätten wir schon längst mal machen müssen. Wir erweisen doch auch den Polizisten einen Bärendienst, wenn wir da keine Klarheit haben.“ Dies gelte insbesondere in Hinblick auf Polizisten, die sich nichts vorzuwerfen haben.

Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hat das Nein des Bundesinnenministers zu einer Untersuchung zu rassistischen Polizeikontrollen kritisiert. „Ich finde die Begründung, die ich gehört habe, einigermaßen peinlich, weil sie natürlich nicht schlüssig ist. Und sie erweist auch den Sicherheitsbehörden selber einen Bärendienst“, sagte der BDK-Vorsitzende Sebastian Fiedler am Montagabend in den ARD-Tagesthemen. Fiedler plädierte beim Nachrichtenportal ZDF-heute für eine Studie, die „anonymisiert die Einstellungen bei der Polizei“ zu Rassismus und Rechtsextremismus” untersucht.

Hingegen sprach sich der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek dagegen aus: „Eine Studie zu Rassismus in der Polizei lehne ich ganz klar ab, denn wir haben kein Rassismusproblem.“ Wichtiger sei es, der Ursache dieser Wahrnehmung auf den Grund zu gehen. Eine Prüfung bestehender Gesetze, deren Anwendung womöglich dazu beitrage, dass die Polizei in ihrem Handeln als rassistisch wahrgenommen werden, sei wichtig. „Denn die Rechtsprechung des einen oder anderen Falles zeigt, dass wir da sehr schwammig aufgestellt sind. Ich möchte, dass meine Kollegen Rechtsgrundlagen haben, mit denen sie klar und deutlich arbeiten können.“

Doch die Medaille hat auch eine zweite Seite: Unzählige Überstunden, ein hoher Krankenstand und immer wieder tätliche Angriffe auf Einsatzkräfte machen der Polizei zu schaffen. Besonders drastisch zeigte sich dies kürzlich in Stuttgart, wo sich Jugendliche regelrechte Straßenschlachten mit den Beamten lieferten. In Deutschland haben die Polizeibeamten von Bund und Ländern mehr als 20 Millionen Überstunden angesammelt, wie eine Auswertung der Polizeigewerkschaft zeigt – und das obwohl in den vergangenen Jahren tausende zusätzliche Stellen geschaffen wurden. Im vergangenen Jahr lag im Schnitt die Fehlzeit etwa bei bayerischen Polizisten bei 14,7 Arbeitstagen pro Person. Zum Vergleich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über alle Berufsgruppen hinweg im gleichen Zeitraum durchschnittlich für 10,6 Arbeitstage krank gemeldet.

Martin Theobald
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