Braun, Josy: Pontelach

Fallbeispiele

d'Lëtzebuerger Land vom 11.11.2010

Das beginnt jeweils wie der sonntägliche Tatort: Eine Leiche wird aus der Mosel gezogen. Die Polizei findet keine Papiere, so dass schnell klar wird: das war Mord. Oder ein kostümierter Bogenschütze erschießt bei einer Benefizveranstaltung im Theater einen ebenfalls kostümierten Hauptdarsteller. Wollte er wirklich diesen Darsteller treffen, ein Ersatzmann, oder den, der eigentlich für die Rolle vorgesehen war? Oder ein bekannter Journalist wird ermordet in der Redaktion seiner Zeitung aufgefunden. Hatten wohl seine Recherchen über einen Immobilienskandal damit zu tun?

An Einfällen mangelt es Josy Braun nicht. Sein neues Buch enthält drei kürzere Krimigeschichten, von denen jede genauso gut auch ein eigener Roman hätte werden können. Braun legt sichtlich großen Wert darauf, seine Figuren mit einer je eigenen Persönlichkeit und Stimme auszustatten. So gewinnen der Journalist mit dem wunderlichen Namen Che Marburg, der junge Polizist Daniel Baum und selbst die nur als Nebenfigur fungierende Sekretärin Lotti schnell an Kontur. Die Rückbindung an das Hier und Jetzt des Lesers erweist sich unter der Feder des Autors als eine Tugend der Unterhaltungsliteratur. Nie verliert Braun den Aktualitätsbezug seiner Geschichten aus den Augen und verortet sie in einer teils erfundenen, teils dem Leser vertrauten Geografie. Ein ambitionierter Kirchenmann bekommt so nach etlichen Jahrzehnten die Quittung dafür, sich im Internat an jüngeren Mitschülern vergangen zu haben und ein rücksichtsloser Politiker dafür, dass er bei seinem Aufstieg zu fest nach unten getreten hat.

Hier bedient Braun seine gewohnten Themen: Korruption, provinzielle Borniertheit und bürgerliche Bigotterie, Frömmelei und Obrigkeitshörigkeit. Besonders anschaulich sind ihm diesmal die kleinkarierten Gewinnler geraten, die immer stets zur Stelle sind, wenn es etwas zu holen gibt: Entfremdete Verwandte, die kaum erwarten können, dass die Polizei die Wohnung oder das Auto des Ermordeten endlich freigibt, damit sie die unverhofft angefallenen Besitztümer in Beschlag nehmen können.

Pontelach, De Kinnek am „Petit Prince“ und Pierre Lapôtre sind solide Erzählungen mit plausiblen Plots und realistischem Zuschnitt: Braun verschont den Leser mit wilden Verfolgungsjagden, Ballerei, Geheimbünden und Verschwörungstheorien; die Fälle werden größtenteils detektivisch, also mittels Genauigkeit und analytischem Verstand gelöst. Alle drei haben ein größeres Spannungspotential als der Anfang dieses Jahres erschienene Roman E Graf op Madeira. Dennoch ist das neue Buch um einiges schwächer als dieser Roman. Zwar versteht sich Braun auf eine ­differenzierende Figurenzeichnung, aber auch die braucht Zeit, so dass der Leser die Figuren zurücklassen muss, wenn sie gerade angefangen haben, vertraut und interessant zu werden. Ähnliches gilt für die Plots. Dadurch, dass Braun dreimal Anlauf nehmen und eine ganz neue Geschichte entwickeln muss, fehlt es diesen Geschichten am Ende doch an der nötigen Tiefe, die ihnen zu einem bleibenden Eindruck beim Leser verhelfen würde. Dabei wäre es womöglich gar nicht so schwer gewesen, einen solchen Eindruck selbst bei getrennten Plots herzustellen: In allen drei Geschichten findet sich ein Zweigespann von polizeilichen Ermittlern, die sich mit der Auflösung befassen. Diese Figuren, die allesamt kaum mit einer Privatsphäre oder besonderen persönlichen Merk­malen ausgestattet werden, verschwimmen im Rückblick soweit ineinander, dass man kaum noch sagen könnte, welches Ermittlerpaar zu welcher Geschichte gehört. Diese Verwirrung hätte Braun vermeiden können. Warum dreimal von vorne anfangen, wenn es auch ein einziges Ermittlerduo getan hätte, das der Leser dann nach und nach besser kennen gelernt hätte?

Leider sind dem Autor diesmal auch einige unschöne Flüchtigkeitsfehler unterlaufen. (Er kann sich zum Beispiel nicht entscheiden, ob einer seiner Kommissare „Greg“ oder „Grég“, und ob der Chefredakteur „Neymann“ oder „Freymann“ heißt.)

Josy Brauns Krimis gehören nach wie vor zum Besten, was die luxemburgische Unterhaltungsliteratur zu bieten hat. Er beweist, dass es nicht immer hysterische Showdowns und Explosionen sein müssen. Wenn sich der Autor dazu überwinden könnte, wieder einen schönen dicken Roman mit differenziert ausgearbeiteten Figuren und einem etwas komplexeren Plot zu schreiben, würde der Leser gern auch etwas länger auf das Ergebnis warten wollen.

Josy Braun: Pontelach. De Kinnek am „Petit Prince“. Pierre Lapôtre. 3 Erzielungen. Éditions Josy Braun 2010. ISBN 978-99959-671-0-9.
Elise Schmit
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