Deutschland und die griechische Emanzipation

Alternativloses Abwarten

d'Lëtzebuerger Land vom 06.02.2015

„Wenn ich ein verantwortlicher griechischer Politiker wäre“, sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) dieser Tage in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt, „dann würde ich keine Debatten über einen Schuldenschnitt führen.“ Damit sprach Schäuble seiner Chefin und Parteikollegin Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der Seele. Beide sehen darin derzeit die einzige deutsche Handlungsoption: alles, nur kein weiterer Schuldenschnitt. Denn der ist innenpolitisch nicht zu verkaufen. Schon gar nicht vor einer Landtagswahl – wie sie in Hamburg Ende des Monats ansteht. Ansonsten heißt es in Berlin „Mal schauen“. Oder wie Merkel es formulierte: „Wir, also Deutschland und die anderen europäischen Partner, warten jetzt erst einmal ab, mit welchem Konzept die neue griechische Regierung auf uns zukommen wird.“

Abwarten und aussitzen. Das klingt ein wenig nach Kalenderblatt-Politik: „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ An eigenen Strategien oder Lösungsvorschlägen lässt die Bundesregierung derzeit nichts verlauten, denn wenn Berlin eines in den vergangenen Monaten gelernt hat, dann sind dies Zurückhaltung, Schulterschluss mit den Euro-Partnern und Vermeidung jedweder Form von Dominanz. Man steht mit Nachdruck für seine Sparpolitik, allein aus Gesichtswahrungsgründen. Selbst wenn für das „Weiter-so-Sparen“ auch in Deutschland zurzeit wenig spricht und die Innenpolitik von Angela Merkel eine andere ist. Es geht die Angst vor der Deflation um. Die deutsche Wirtschaft braucht Wachstums-impulse, die aus dem Binnenkonsum allein nicht kommen können, und der krachende Exportüberschuss stößt anderen Volkswirtschaften auf. Darüber hinaus sucht die bürgerliche Mitte nach politischen Alternativen jenseits von Christ- wie Sozialdemokraten, gerne auch im radikalen Milieu, wie es Aufstieg und Fall der Pegida-Bewegung zeigt. Die CDU wird das Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD) beobachten. Gerade hier werden die Bürgerschaftswahlen in Hamburg ein erster Gradmesser sein, ob die konservative bis rechtsradikale Partei den Christdemokraten im alten Westen gefährlich werden kann.

All das mag sein. Doch Merkel und ihr Kabinett bleiben bei der Beibehaltung des bisherigen Kurses: Die Europäische Union setze ihren bisherigen Kurs der „konsequenten Reformpolitik“ fort, gleichzeitig wird aber Kurs der Europäischen Zentralbank abgesegnet, wenn auch mit Einschränkungen: „Die EZB, die unabhängig ist, kann im Rahmen ihres Auftrags eigenständig Maßnahmen ergreifen, wie jetzt den Kauf der Staatsanleihen“, so Merkel in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt. Klar sei aber, dass das Geld der EZB-Reformen in den Euro-Ländern nicht ersetze, sondern jedes Land an seiner Wettbewerbsfähigkeit und soliden Haushaltspolitik ohne „immer neue Schulden“ arbeite. „Deutschland ist mit dem ausgeglichenen Haushalt auf dem richtigen Weg.“ Im Übrigen zeige man sich aber mit Griechenland und anderen Ländern, die von der Krise betroffen sind, weiterhin solidarisch.

Welche Alternative hat Berlin? Vor allem eine. Die hat Angela Merkel selbst auf dem Höhepunkt der Krise aufgelegt und durchgeführt: ein Konjunkturprogramm – wie seinerzeit die „Abwrackprämie“, die den Binnenkonsum in Deutschland ankurbelte, der Automobilindustrie über die Runden half und Spritschleudern von der Straße holte. Ein europaweites Konjunkturprogramm – etwa in Bildung oder in Infrastruktur – könnte nun einen gleichen Effekt auf Gesellschaft und Wirtschaft in der Union haben. Zwar werden in Brüssel stets und ständig neue Programme gegen Bildungsnotstand und Jugendarbeitslosigkeit beschlossen und verkündet, doch deren Messbarkeit und Wirkung bleiben im Verborgenen. Einem Programm, das etwa Breitband-Anschlüsse in ländliche Regionen Europas bringt oder Verkehrswege und Schulen saniert. Das Programm muss Vorgaben erfüllen: Es muss zeitlich und räumlich begrenzt sein, die Ausgaben überschaubar und der Empfängerkreis klar definiert. Das Konjunkturbelebungsprogramm muss transparent sein, Anreize für Privatmenschen in der EU bieten und Vorgaben aufsetzen, die in der ganzen Union gelten. Das kann beispielsweise ein Breitbandanschluss für jeden Haushalt sein, der gegen eine Kostenbeteiligung seitens der Verbraucher auch im ländlichen Raum realisiert wird. Doch Gedankenspiele liegen Angela Merkel nicht.

Sie bleibt bei ihrem Mantra des Sparens. Die Austeritätspolitik und der Stabilitätspakt in der EU sind für Berlin alternativlos – ein Wort, das Merkel gerne bemüht. Auch wenn ihre eigene Politik andere Wege verfolgt. Sie verlangt von den krisengebeutelten Staaten Einschnitte ins Sozialnetz, fährt in Deutschland beispielsweise in der Rentenpolitik einen anderen Weg. Doch diese Widersprüchlichkeit ist vor allen Dingen ein Signal an die europäischen Partner: Wenn ihr richtig spart, dann könnt ihr euch bald auch wieder Wahlgeschenke an eure Mitbürger erlauben.

Martin Theobald
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