Vorrechte des Großherzogs

In der Referendumsfalle

d'Lëtzebuerger Land vom 18.12.2008

„Néies ann dëser Affaire!!”, meldete der Differdinger Invalidenrent­ner Jeannot Pesché am Montag aufgeregt in dem Internetforum Fir d‘Baibehaalen vun der Monarchie an géint eng „Republik Lëtzebuerg“. Denn „dir braucht kënng Ënnerschrëften méi ze sammelen, wëll mir hunn Én Politiker op éiser Säit, dén de Bréif opgestallt huet! Mir sinn elo am Gaang d‘éi néideg Schrëtter ze machen, vir de Referendum ze lancéieren!!!! De Bréif schëkken ech maat 5 Ënnerschreften unn de Premier Jean – Claude Juncker!!” Der ehemalige Schmelzarbeiter, Getränkelieferant und Gastwirt mit CSV-Parteikarte und Sympathien für die ADR hatte zuvor als Vorsitzender von Tinnitus/Acouphènes Luxembourg auf der Internetseite seiner Selbsthilfegruppe für Ohrgeräuschgeplagte informell Unterschriften für ein „Référendum contre le changement de notre Constitu­tion“ gesammelt.

Eine solche Volksbefragung hatte zuerst der parteilose Abgeordnete Aly Jaerling verlangt. Doch das Parlament hatte den Antrag abgelehnt, Jaerling, den Regierung und großherzoglicher Hof bei der Kon­sultie­rung der Parteien übergan­gen hatten, enthielt sich als Einziger bei der Verfassungsrevision.

Jaerlings ehemalige Partei, die ADR, hatte dagegen vergangene Woche geschlossen für die Verfassungsänderung gestimmt. Am Dienstag verlangte sie dann, die für Donnerstag anberaumte Lesung des Euthanasiegesetzes aufzuschieben, bis über das Referendum gegen die Verfassungsänderung entschieden ist. Selbst auf hartnäckiges Drängen von CSV-Pre­mier Jean-Claude Juncker wollte sich der ratlose Gruppensprecher Gast Gibé­ryen nicht festlegen, ob die ADR nun bei einem Referendum für oder gegen die Verfassungsänderung wäre. Wie beim Referendum über den Eu­ro­pä­ischen Verfassungsvertrag versucht die ADR, gleichzeitig dafür und dagegen zu sein, und läuft Gefahr, am Ende wieder zwischen allen Stühlen zu sitzen.

Dabei weiß die Rentnerpartei, dass es hier um ihr ureigenes politisches Milieu geht. Denn in der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten braut sich rechts von der CSV eine populistische Stimmung gegen eine Demokratisierung und Modernisierung  des Staats zusammen. Schlachtruf ist die Gleichung: Für den Großherzog = gegen die Euthanasie. So als müsste der guten, alten Zeit nachgetrauert werden, als der Großherzog noch der Landesvater war, das Sterben noch in Gottes Hand lag und, so CSV-Fraktionssprecher Michel Wolter, die Landesflagge noch einen feurigen Löwen trug.

Überraschend dabei ist, dass die nun zusammenfindenden monarchistischen Euthanasiegegner einen unerwarteten Helden: einen aufgeklärten, vordemokratischen Großherzog. So als käme es noch einmal in der europäischen Geschichte zu einer Allianz zwischen einem Mo­narchen und dem einfachen Volk gegen das bürgerliche Parlament, des  Staatsoberhaupts und der Unterschicht gegen die von allen Parteien bei den nächsten Wahlen hofierten Mittelschichten. Vielleicht wollen sie deshalb dem Großherzog jene Bestätigungsbefugnis belassen, die dieser anscheinend selbst abgeben will, damit die Hand, die das Volk gegen Parlament und Parteien schützen soll, auch wehrhaft bleibt.

Neu ist aber vor allem, dass nicht einmal eine Handvoll Internet-Surfer im Laufe der vergangenen Woche von interessierter Seite darauf gestoßen wurden, dass das Referendumsgesetz von 2005 den im Leben zu kurz Gekommenen ermöglichen könnte, sich mit minimalem Aufwand maximal an „denen da oben“ zu rächen, die bekanntlich hinter dem Rücken der kleinen Leute schalten und waten, wie sie wollen. Dass diese so­ziale Revanche die derzeitige Verfassungskrise noch zu vertiefen und dank der Unnachgiebigkeit des Großherzogs vielleicht sogar eine Regierungskrise zu verursachen droht, haben sich dann die Parteien und Parlamentarier anscheinend nur selbst zuzuschreiben.

So ist Murphys Gesetz, dass prinzi­piell alles schief geht, was schief gehen kann, in diesen Tagen dabei, Verfassungsrang zu erhalten. Ziemlich hilflos sehen Regierung und Parlament einer drohenden Massenkarambolage der gesetzgeberischen Prozeduren und Fristen von Euthanasiegesetz, Verfassungsrevision und Referendum zu. Zumindest so lange, wie das Staatsoberhaupt nicht bereit ist, sich doch noch den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie zu beugen und das Euthanasiegesetz zu unterzeichnen.

Manche Politiker, die 2003 geholfen hatten, Verfassungsartikel 114 zu ändern, und 2005 das Gesetz über nationale Volksbefragungen einstimmig zu verabschieden, entdecken nun erstaunt, dass jeder Stammtisch von fünf Personen ohne demokratische Legitimation eine Referendumsprozedur anstoßen kann. Damit können sie insbesondere bei einer Verfassungsrevision, wie im vorliegenden Fall, spielend die Regierung, sämtliche Gemeinden und das Verwaltungsgericht zwingen, ihr Gesuch im Memorial und in der Presse zu veröffentlichen, Unterschriftenlisten anzukündi­gen und auszulegen, die Ergebnisse zu sammeln, auszuwerten, zu veröffentlichen und über Einsprüche zu befinden – selbst wenn kein einziger Wähler seine Unterschrift gibt.

Dabei hatte die Staatsbeamtenkammer bereits vor vier Jahren in ihrem Gutachten zum Gesetzentwurf gewarnt: „Si cinq électeurs suffisent, et s’il suffit qu’ils présentent l’intitulé et le texte de la proposition de loi don’t ils prennent l’initiative, le pays risque d’être submergé par les ini­tiatives les plus surprenantes. Puis­qu’il n’y a qu’une barrière insignifiante au début de l’initiative, toute initiative donnera lieu à la procedure d’ouver­ture de la collecte des signatures des électeurs qui voudront soutenir l’ini­tiative des cinq premiers. Comme cette procédure de collecte des signatures n’est pas sans coût, il vaudrait mieux renforcer davantage le droit d’entrée.” Noch eindringlicher hatte die Handwerkerkammer gegen die vor allem von Grünen und ADR betriebene Idealisierung des Referendums als höchste Form der Demokratie gewarnt: „En introduisant l’initiative populaire, le Gouvernement ouvre la ‚boîte de Pandore‘. Ce faisant, il prend un risque considérable et il est condamné de la réussite. Il n’y aura pas de retour possible, ni de possibilité de deuxième chance.”

Doch selbst der Großherzog hat nicht unbedingt Grund, über seine neuen Freunde begeistert zu sein. Auf Facebook hat sich der unermüdliche Surfer und neue Coverboy der Presse, Jeannot Pesché, unter anderem in Interessengruppen eingeschrieben mit Titeln wie „Vive le Grand-Duc! A vive an d‘Drecks­kescht mam Euthanasie-Gesetz“, „Et muss rem mei op Letzebuergesch geflucht gin !!!“, „Ich unterstütze den FC Bayern auch nicht international!“, „Ech sin letzeboier an stolz drop!“.

Romain Hilgert
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