Staatsratspostenvergabe

Die Erbsünde

d'Lëtzebuerger Land du 15.10.2009

Seit der schweren Wahlniederlage der DP 2004 wurmt es CSV und LSAP, dass zu viele DP-Leute im Staatsrat sitzen. Denn mit dem liberalen Anwalt Victor Gillen, CFL-Kommissar Paul Schmit, dem ehemaligen DP-Schatzmeister Claude A. Hemmer, dem ehemaligen DP-Generalsekretär Kik Schneider und der ehemaligen DP-Generalsekretärin Agnès Durdu zählen die Liberalen derzeit fünf von 21, fast ein Viertel der Staatsräte. Aber bei den Wahlen im Juni erhielten sie nicht einmal mehr ein Sechstel der Stimmen.

Um das Missverhältnis zu begradigen, hatten CSV und LSAP zuerst die elegante Tour versucht: Sie brachten, wie 2004 im Koalitionsabkommen abgemacht, im April 2005 einen Gesetzentwurf ein, mit dem die Zahl der Staatsräte auf 27 erhöht werden sollte, angeblich um dem wachsenden Arbeitsaufkommen gerecht zu werden. Auf diese Weise hätten die Regierungsparteien und vor allem die CSV mehr Staatsräte bekommen, ohne dass einer anderen Partei etwas hätte weggenommen werden müssen. Aber der Versuch scheiterte am Staatsrat selbst. Denn der hielt eine Vergrößerung für wenig nützlich und forderte stattdessen, dass zusätzliche Beamte für sein Sekretariat eingestellt würden. Seither ist der Gesetzentwurf auf dem Instanzenweg blockiert.

Doch seit die DP bei den letzten Wahlen noch einmal Stimmen und einen Sitz verloren hat, scheint für die Regierung die Zeit zum Handeln endgültig gekommen. Die bei den Wahlen deutlich gestärkte CSV meldete bereits in den Koalitionsverhandlungen ihre Ansprüche an. Wenn die elegante Tour, die Vergrößerung des Staatsrats, gescheitert ist, dann soll eben nun jemand etwas weggenommen werden, um die christlich-sozialen Ansprüche zu befriedigen.

Schließlich gibt es einen rezenten Präzedenzfall: Vor zehn Jahren hatte Premier Jean-Claude Juncker erstmals den Grünen einen Sitz im Staatsrat angeboten. Aber seine Großzügigkeit ging auf Kosten der LSAP. Denn die Grünen durften den Sitz von Fernand Georges übernehmen, der 1965 als LSAP-Mitglied ernannt wurde, dann aber ein halbes Dutzend Jahre später die Partei verließ und sein Staatsratsmandat behielt. Als Dissident Fernand Georges aufhörte, ging sein Mandat nicht zurück an die LSAP, sondern an die Grünen. Deren Vertreterin Agnès Rausch, beispielsweise in der Euthanasiedebatte, keine grünen, sondern CSV-Positionen einnahm.Staatsräte halten ihr Mandat 15 Jahre lang oder bis zu ihrem 72. Geburtstag; eine Ausnahme bilden noch vier Räte, die bereits bei der Reform von 1996 im Amt waren, sie dürfen 18 Jahre bleiben. Wenn nächsten Monat wieder zwei Sitze im Staatsrat freiwerden, soll die LSAP nun erneut zur Ader gelassen werden. Die Regierungsparteien einigten sich nämlich während der Koalitionsverhandlungen darauf, dass Staatsratspräsident Alain Meyer (LSAP), dessen Mandat am 15. November ausläuft, durch einen CSV-Vertreter ersetzt werden soll. Der nächste DP-Sitz, der frei wird, voraussichtlich derjenige von Vizepräsident Claude A. Hemmer übernächstes Jahr, soll dann an die LSAP gehen.

Dadurch wird die CSV umgehend zehn statt bisher neun Mandate erhalten und so knapp die absolute Mehrheit im 21 Mitglieder zählenden Staatsrat verfehlen. Dadurch entsteht so ein Übergewicht der CSV, das ihr Wahlresultat nicht rechtfertigt, da sie landesweit keine 48, sondern 39 Prozent der Stimmen erhielt. Hinzu kommt, dass auch der Vorsitz des Staatsrats, ebenso wie derjenige der Regierung, des Parlaments und des Rechnungshofs, an die CSV übergehen soll. Auch wenn der Staatsrat nicht mittels Kampfabstimmungen funktioniert, erleichtert dies nicht seine Rolle als Gegengewicht und Kontrollorgan im gesetzgeberischen Prozess.Doch seit das soziokulturelle Radio 100,7 am Freitag von dem Manöver berichtete, laufen insbesondere bei den kleinen Parteien die Taschenrechner heiß. Aus ihrer Sicht haben sie auch allen Grund. 

Denn im Vergleich zu den Wahlergebnissen sind CSV, DP und LSAP im Staatsrat überrepräsentiert, weil sie bis auf eine Ausnahme sämtliche Staatsräte stellen. Während beispielsweise die DP mit 15 Prozent der Stimmen bei den Kammerwahlen fünf Staatsräte hat, verfügen die Grünen mit 12 Prozent nur über eine Rätin. Der ADR bot der Premierminister nicht einmal ein Staatsratsmandat an, als sie so stark wie die Grünen war – vielleicht, weil die ADR, anders als die Grünen, weniger unter LSAP-, als unter den CSV-Wählern wildert.

Deshalb beklagte die ADR inzwischen, dass sie „die einzige der im Parlament vertretenen Parteien ist, die im Machtspiel der ‚traditionellen’ Parteien keinen Rat im Staatsrat zuerkannt bekommt“, und CSV und LSAP „nun hinter verschlossenen Türen“ und „unter Missachtung sämtlicher demokratischer Spielregeln“ die nächsten zwei frei werdenden Posten vergäben.

„Das Misstrauen der Grünen“ gegenüber dem vor allem als Überrest des reaktionären Staatsstreichs von 1856 angesehen Staatsrat habe sich seit der vom Procola-Urteil ausgelösten Reform „weitgehend gelegt“, stellte der grüne Abgeordnete Felix Braz am Montag fest. Deshalb verlangt seine Partei nun, dass die Mitglieder des Staatsrats ausschließlich vom Parlament ernannt werden und das Vorschlagsrecht der im Vergleich zu den letzten Kammerwahlen am stärksten unterrepräsentierten Partei zufällt. Was die ADR wäre, wenn die Linke nicht über einen gewieften Mathematiker verfügt.Um so zurückhaltender sind die drei großen Parteien in der Öffentlichkeit. CSV und LSAP wollen nicht einmal richtig zugeben, dass sie während der Koalitionsverhandlungen eine Absprache über die Staatsratsposten getroffen haben. Und auch die DP hält sich zurück, da sie sich in ihr Schicksal gefügt hat, auf einen Sitz im Staatsrat verzichten zu müssen.

Denn dem Ansehen des Staatsrats wird mit diesem Gefeilsche kein Dienst geleistet. Alle Rechenkünste laufen nämlich immer nur darauf hinaus, die Widersprüche zwischen den hehren Ansprüchen und der Erbsünde einer heuchlerischen Ernennungs­praxis bloßzulegen: Laut Gesetz werden die Staatsräte zu je einem Drittel vom Großherzog, dem Parlament und dem Staatsrat vorgeschlagen beziehungsweise ernannt, in Wirklichkeit werden sie allesamt von den Parteien bestimmt und teilweise sogar in deren Parteigremien gewählt.Laut seinem Selbstverständnis ist der Staatsrat ein weit über den Niederungen der Parteipolitik schwebendes, unabhängiges Expertengremium aus verdienten Notabeln und hohen Beamten. In Wirklichkeit streiten die Parteien um die Zahl ihrer Mandate. Manchmal benutzen sie das Gremium sogar als „dépotoire“ für abgewrackte Parteigrößen, wie der grüne Fraktions­sprecher François Bausch meint.

Wenn die Parteien die Zahl der Staatsräte an ihren eigenen Wahlergebnissen messen, dann unterstreichen sie dadurch gewollt oder ungewollt, dass der Staatsrat gerade nicht gewählt wird, ihm also die demokratische Legitimation fehlt. Diese Widersprüche werden jedesmal für Aufruhr sorgen, bis die Ernennung der Staatsräte reformiert ist.

Romain Hilgert
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