Die Kulturhäuser sollen ihre Kollektionen elektronisch erfassen

Kutter, digital

d'Lëtzebuerger Land du 19.05.2017

Die digitale Strategie der Regierung beschränkt sich nicht auf den Bau von Datenzentren und die Förderung von Fintech-Start-ups. Sie macht, wenn es nach Plan läuft, sogar vor Bauernschränken, aus vergangenen Jahrhunderten und den Haushaltswaren der alten Römer nicht Halt. Wie genau der Plan, der alle Kultureinrichtungen umfassen soll, aussehen wird, kann die Koordinatorin für die digitale Strategie im Kulturministerium, Marianne Backes, derzeit noch nicht sagen. Doch im Hintergrund laufen die Arbeiten bereits an.

Beispielsweise im Nationalen Geschichts- und Kunstmuseum (MNHA) am Fischmarkt. Direktor Michel Polfer hat die Gunst der Stunde und den Wunsch des Kulturministers Xavier Bettel (DP), mit der Eröffnung einer Nationalgalerie für die nationale Kunstproduktion in die Annalen einzugehen, genutzt, und will in den kommenden zwei Jahren die Luxemburger Kunst- sowie die Luxemburger Numismatiksammlung des Museums vollständig digital erfassen und aufarbeiten lassen. „Wenn man ein Projekt wie die Nationalgalerie plant, wäre es gut zu wissen, was man hat“, sagt Polfer pragmatisch. Warum dafür auch die Numismatiksammlung erfasst werden muss, erklärt der MNHA-Direktor : „Viele der Luxemburger Scheine, Münzen und Medaillen sind von Luxemburger Künstlern gestaltet. Wir verfügen nicht nur über die fertigen Stücke, sondern haben auch Skizzen in der Sammlung oder beispielsweise Druckplatten.“ Der Luxemburger Bestand von etwa 3 000 Objekten entspricht nur einem Bruchteil der gesamten numismatischen Kollektion von insgesamt 250 000 Stücken. An Werken Luxemburger Künstler besitzt das MNHA zwischen 4 000 und 5 000, schätzt der Direktor. Um sie zu erfassen und digital weiterzuverarbeiten, hat das Museum beim Ministerium zwei Vollzeitpositionen über zwei Jahre hinweg beantragt, ob sie gestattet werden, wird spätestens Anfang Oktober bei der Vorstellung des Haushalts fürs kommende Jahr klar. Polfer ist optimistisch, dass die Mittel bewilligt werden, ob im Museumshaushalt oder in einem zentralen Haushaltsposten beim Ministerium, das die Digitalisierungsbemühungen der verschiedenen Kultureinrichtungen koordiniert. Auch weil das Centre informatique de l’État jetzt schon logistische Unterstützung leistet, sein Knowhow bei der Auswahl der Software anbietet, um sicherzustellen, dass es keine technischen Inkompatibilitäten zwischen den verschiedenen Akteuren gibt.

Ohne zusätzliches Personal, unterstreicht Polfer, sei die Aufgabe nicht zu schaffen. Derart umfangreiche Arbeiten könnten die Mitarbeiter des Museums nicht neben ihren normalen Aufgaben erledigen. Weil dem so ist, sei die digitale Aufarbeitung der verschiedenen Kollektionen des Museums bisher unterschiedlich weit fortgeschritten. Denn erste Bemühungen, das Museumsinventar, die Kataloge, elektronisch zu erfassen, begannen bereits unter seinem Vorgänger, erzählt der Direktor. Seither haben sich die technischen Mittel weiterentwickelt und die Zielsetzung hat sich verändert. „Vor 20 Jahren ging es vor allem darum, elektronische Datenbanken für den Eigenbedarf im Museumsbetrieb anzulegen. Dass das Material dem Publikum integral zugänglich gemacht würde, war damals überhaupt kein Thema“, so der Direktor. „Zwischen diesen beiden Ebenen liegen Welten“, sagt Polfer, und welche Ebene man als Museum am Besten anvisiert, ist eine Frage, die auch im internationalen Museumsbetrieb nicht eindeutig beantwortet ist. Wem soll davon profitieren, wenn ganze Sammlungen sozusagen online besucht werden können? Die Museen? Das Publikum? Die Forschung?

Den Museen selbst dürfte es weiterhin eher darum gehen, Publikum in ihre Ausstellungen zu locken. Das, findet Polfer, lasse sich besser dadurch erreichen, dass man den Besuchern im Netz eine kleine Auswahl an wichtigen Objekten biete, statt sie mit Daten zu überschütten. „Das Publikum will, dass jemand eine Auswahl trifft“, ist er überzeugt, „der einzelne Nutzer weiß ja gar nicht, wonach er sonst suchen soll. Sonst könnten wir die Leute ja auch einfach in unsere Lager schicken.“ Als nächste Etappe in der neuen Digitalisierungsstrategie des MNHA will das Museum deshalb das Buch, in dem bis Ende des Jahres die 100 wichtigsten Exponate zusmmengefasst werden, auch online herausbringen.

Vor allem kleineren Museen, meint Polfer, biete die digitale Ausstellung ihrer Sammlungen aber enorme Chancen. „Ihre Werke kommen dadurch im wahrsten Sinne des Wortes überhaupt erst auf den Bildschirm.“ Ein Werk, das einmal in einer Ausstellung gezeigt wurde, habe große Chancen, später von anderen Kuratoren und Kommissaren ausgewählt zu werden. Doch wenn niemand wisse, welche Werke es in kleineren Kollektionen gibt, könnten sie nicht gezeigt werden. So könnten frei zugängliche Datenbanken helfen, unbekannte Schätze zu entdecken.

Zumindest theoretisch biete die Digitalisierung der Museumskollektionen auch der Wissenschaft große Chancen, sagt der Historiker. Wenn alle Bestände von überall her frei zugänglich und abrufbar seien, wäre das der Idealzustand für die Forscher, die ihre Recherchen vom Schreibtisch aus erledigen könnten. Bedingung dafür, dass die Museumsbestände tatsächlich abrufbar werden, sei aber eine Erfassung und Beschreibung nach einheitlichen Kriterien. Der Teufel, so Polfer, stecke in den Metadaten. Er zeigt auf den Schrank in seinem Büro am Fischmarkt. Wenn ein Museum ihn als Bauernschrank aus dem 18. Jahrhundert einstufe, ein anderes ihn als Schrank aus der Barockzeit und ein weiteres ihn auf die Jahrhundertwende datiere, könne das die Datenbankfilter stark beeinflussen und die Ergebnisse verfälschen. „So kann ein völlig falsches Bild der Situation der Bestände entstehen“, warnt Polfer. Er bezweifelt, dass die notwendige Datenbankqualität auf europäischer Ebene erreicht werden kann, um, wie das EU-Projekt Europeana es anstrebt, den gesamten europäischen Kulturbestand digital so zu erfassen, dass eine Suche die richtigen Ergebnisse bringt.

Bei der Digitalisierung der Luxemburger Kunstsammlung stellen die Nutzungsrechte am geistigen Eigentum das MNHA – wie andere Museen und Einrichtungen auch – vor große Herausforderungen. Obwohl alle Werke, die erfasst werden, dem Museum gehören, bleiben die Nutzungsrechte bei der Veröffentlichung von Fotos 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers oder der Künstlerin bei den Nachkommen oder speziell eingerichteten Stiftungen. Die wenigsten Luxemburger Künstler, berichtet Polfer, seien bei einer Verwertungsgesellschaft angemeldet. Ein wirkliches Pendant zur Sacem, die sich um die Verwertung der Musikrechte kümmert, gebe es für die bildende Kunst in Luxemburg nicht, so dass ein Ansprechpartner fehlt. „Das ist ein Problem, das zentral gelöst werden muss“, sagt Polfer. Wie die Lösung aussehen soll, weiß er nicht; er erhofft sich Vorschläge in der digitalen Strategie des Kulturministeriums.

Michèle Sinner
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