Anscheinend gab es sie schon immer

Männer, so anders

d'Lëtzebuerger Land du 04.03.2016

Etwas ganz, ganz Schlimmes bedroht uns im Moment. Es ist quasi überall, oder es kommt, zu Fuß sogar. Oder es steht herum, oder es schaut, angeblich dumm. Dann macht es etwas, nichts Gutes.

Es muss etwas ganz Schlimmes sein. Es heißt Männer.

Was ist das eigentlich? Mal guggeln. Männerfrisuren kommt, dann Männerschnupfen, der ist jetzt wissenschaftlich als solcher bewiesen. Männer sind Schweine, sagt mein Guggel, Männer, die auf Ziegen starren, sagt mein Guggel. Wo bleibt Männer? Männer verstehen, bietet Guggel mir eine Bedienungsanleitung an. Aber was Männer sind, verrät er nicht. Mal schauen unter Mann, vielleicht gibt es das auch in der Einzahl.

Aha, Bezeichnung eines erwachsenen Menschen männlichen Geschlechts, was nicht extrem scharfsinnig klingt. Die andersgeschlechtliche Artgenossin ist die Frau, lerne ich.

Anscheinend gab es diese erwachsenen Menschen männlichen Geschlechts schon immer. Mitten unter uns. Sie seien aber vom Aussterben bedroht, lerne ich. Warum dann die ganze Aufregung? Aha, es dauert noch 125 000 Jahre, okay, da braucht man Geduld. Andere gefährliche Arten sind abgeschafft, zum Beispiel der Säbelzahntiger und der Tyrannosaurus Rex. Aber der Mann hat es bis ins dritter Jahrtausend geschafft. Trotz intensivster Bemühungen der Selbstabschaffung.

Diese mit einer Naturwaffe, vielleicht sogar einem Killer-Gen ausgestattete Art ist weltweit verbreitet. Sie vermehrt sich rasend, um sich dann wieder rasend zu dezimieren, mit ihr ist immer was los. Es ist nicht wie mit den Wölfen, die gerade mühsam wieder angesiedelt werden, damit sie die Schafe von Bergbauern reißen; sie sind nicht Teil eines künstlichen Naturprojekts, sie stehen nicht mal unter Natur- oder Unartenschutz. Es wäre auch komplett unmöglich, sie zu schützen, vor sich selber, ist der Tenor der ausführlichen Ausführungen, sie erfinden dauernd die erfindungsreichsten Arten, sich selbst und ihresgleichen um die Ecke zu bringen. Ein Großteil ihrer Energie, auch ihrer Intelligenz, verwenden sie darauf. Eigentlich müsste das alles schon längst ein natürliches Ende gefunden haben, mit ihnen.

Wären da nicht die andersgeschlechtlichen Artgenossinnen. Die sie füttern und bemuttern und ihnen allerhand Dekoratives beibringen. Damit es nicht allzu roh zugeht, sie zu grüßen lehren und in den Spucknapf zu spucken, solche Dinge. Schon das Auf-die-Welt-Kommen dieser Spezies verursacht überdurchschnittlich viel Aufwand, ihr Auf-der-Welt-Sein auch. Alle möglichen Verhaltensvarianten fallen ihnen ein, sie stottern und sind noch nicht stubenrein, während gleichaltrige Menschenkinder einer anderen Chromosomengruppe längst schon mehrstrophige Gedichte rezitieren. Sie sind zwar nicht besonders friedlich, aber doch irgendwie niedlich, werden die andersgeschlechtlichen Artgenossinnen nicht müde zu behaupten, während sie ihre kleinen Neanderthaler bewachen, so nennen sie sie manchmal liebevoll-nachsichtig. Die großen Neanderthaler sind leider gerade im Krieg oder in der Forschung. Oder schauen fern. Manchmal verschwinden sie auch, Traummänner heißen sie dann.

Die Namen der Wissenschaften, die sich mit diesen erwachsenen Menschen männlichen Geschlechts befassen, sind bezeichnend: Andrologie beschäftigt sich mit den Anderen, die Urologie ist für Uriges zuständig. Die andersgeschlechtlichen Artgenossinnen greifen aber häufig nicht auf wissenschaftlich Fundiertes zurück; wer bei ihnen recherchiert, stößt auf widersprüchliche Aussagen. Sie seien gar nicht so, flüstert frau einander zu, verschwörerisch, eigentlich seien sie ganz anders. Ein bisschen gefährlich, das schon, natürlich, sie stehlen Herzen, rauben den Verstand, manchmal auch den Nerv. Manchmal bringen sie die andersgeschlechtlichen Artgenossinnen um, aus diesem oder jenem Grund, es gibt immer einen Grund, die Recherchen sind alles andere als beruhigend. Weil die andersgeschlechtlichen Artgenossinnen da sind. Oder weil sie nicht da sind. Weil sie sie reizen, vor allem. Männer können sehr schnell gereizt sein.

Ihre Toleranzschwelle ist niedrig, wegen des Testosterons. Das nämlich ist das Problem, das Testosteron. Aber es ist auch ganz was Tolles. Es macht sie echt leistungsfähig und speedy. Sie bauen Autobahnen und Atomkraftwerke, schreiben die Bibel, das Kapital und sogar Kochbücher. Sie können allerhand installieren und montieren, Abflussrohre, sogar künstliche Herzklappen. Sie fangen Kriege an und ziehen sie auch durch, sie können Klos entstopfen.

Zwischendurch leben sie mitten unter uns Menschen, sitzen an unserm Tisch, essen von unserm Tellerchen, wir schaufeln ihren voll. Manche liegen gar in unserm Bett, zeitweise finden wir sie arg nett. Es gibt sogar welche von uns, die eine Art peaceful coexistence hinkriegen. Die es sogar schaffen, sie in den Tangokurs zu schleppen, oder in eine Ausstellung, oder in die Paartherapie, oder mit ihnen in die Rocky Mountains fahren, oder in die Beskiden, es geht also.

„Männer sind auch Menschen“, singt der Mann Herbert Grönemeyer. Er ist ein Betroffener, vielleicht weiß er es.

Michèle Thoma
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