Films made in Luxembourg

Über das Denken

d'Lëtzebuerger Land du 04.01.2013

Man hat es nicht leicht mit Hannah Arendt. Die deutsch-amerikanische Politologin und Philosophin hat nicht die medienstrahlende Einfachheit. Ihr Werk besteht aus Kompendien, aus kiloschweren Büchern, die sich mit dem Totalitarismus auseinandersetzen, die vom Vita Activa sprechen und das Urteilen zu Verpflichtung erheben. Nicht unbedingt Themen, die für Unterhaltung auf der Kinoleinwand sorgen. Ihr Privatleben hingegen schon: Jüdin, die vor den Nazis fliehen muss, aber ein leidenschaftliches Verhältnis mit dem Philosophen und NSDAP-Mitglied Martin Heidegger eingeht – und es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wenn auch weniger leidenschaftlich, fortführt. Filmreif unter dem Titel „Der Nazi, den ich liebte“. Es ist eine große Verführung, diesem Aspekt zu erliegen. Es böte genügend Filmminuten für Drama. Mit wenig Scheinwerferlicht auf der Philosophie Arendts.
Die Filmemacherin Margarethe von Trotta widerstand dieser Verlockung des einfachen Films, der sich in reißerischer Aufmachung leicht hätte verkaufen lassen, um dann früher oder später in der üblichen, stereotypen Diskussion mit der Feststellung zu enden, dass die Nazis Menschen waren. Von Trotta setzt dem ihren Film Hannah Arendt entgegen. Er zeigt nicht das passierende Leben Arendts, sondern das denkende Sein einer urteilenden Frau. Dazu beschränkt sich die luxemburgisch-deutsch-französisch-israelische Koproduktion (in Luxemburg von Amour Fou koproduziert) auf nur ein Werk Arendts, das umstrittenste Buch der politischen Philosophin: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Die Filmemacherin zeigt die Vorgeschichte, den Eichmann-Prozess und die Rezeption von Arendts Buch. Es sind die Jahre 1960 bis 1964.
Adolf Eichmann wurde 1960 vom israelischen Geheimdienst aus Argentinien entführt, wohin er sich nach Kriegsende flüchten konnte. Von April bis Dezember 1961 wurde ihm in Jerusalem der Prozess gemacht. Es war wohl der erste Medienprozess in der Geschichte – er wurde weltweit im Fernsehen gezeigt. Der Staatsanwalt berief Zeugen, die weniger Aussagen zu den Taten Eichmanns machten, sondern zum Holocaust im Allgemeinen, zum Leiden in den Konzentrationslagern, zur Grausamkeit der Verfolgung und zur Unvorstellbarkeit des Verbrechens. Eichmann berief sich in seiner Verteidigung auf seinen Befehlsnotstand. Für den Staat Israel war der Prozess wichtig, denn mit ihm wurde die Erinnerung an den Genozid zum identitätsstiftenden Merkmal. Hannah Arendt nahm als Gerichtsreporterin für die Zeitschrift The New Yorker an dem Prozess teil, weil sie darin ihre letzte Chance sah, einem „leibhaftigen Nazi“ gegenübertreten zu können. Eichmann wurde im Dezember 1961 zum Tode verurteilt und im Mai 1962 hingerichtet. Arendts Prozessbericht erschien Anfang 1963 zunächst als fünfteilige Artikelserie, kurz darauf dann als Buch.
Und führte zum wohl größten internationalen Skandal der damaligen Zeit, der die politische Diskussion prägte und erst durch die Ermordung John F. Kennedys in der öffentlichen Wahrnehmung zurücktrat. Die Dimension des Skandals ist bis heute ermessbar, weil die These von der „Banalität des Bösen“ regelmäßig aufgenommen und weitergeführt wird. Das Buch geriet aus drei Gründen in die Kritik: Es wurde Arendt vorgeworfen, zum einen die Rolle Eichmanns zu verharmlosen, indem sie ihn als eifrigen und pflichtversessenen, aus dem Befehl heraus handelnden Schreibtischtäter darstellte, zum anderen war es das kurze Kapitel über die von den Nazis einberufenen „Judenräte“. Arendt schreibt, diese Judenräte seien für die Nazis ein nützliches Werkzeug gewesen, um eine möglichst große Anzahl Juden mit möglichst geringem finanziellem und administrativem Aufwand zu vernichten. Darüber hinaus war es der von Arendt eingeführte Begriff „Verbrechen gegen die Menschheit“.
Auf diese Kritikpunkte konzentriert sich Margarethe von Trotta in ihrem Film und tut sehr gut daran. Denn so gelingt ihr die Fokussierung auf die Philosophin und ihr politisches Denken, wobei sie auch die Persönlichkeit von Hannah Arendt nicht außen vor lässt, die die Diskussion um die Autorin und ihr Werk befeuerte.
Hannah Arendt galt vielen Zeitgenossen und Kritikern als eine typische Vertreterin der deutsch-jüdischen intellektuellen Bohème, die sich ganz und gar dem Denken und Nachdenken widmete – dem „Denken ohne Geländer“, wie es Hannah Arendt selbst nannte, dem Denken ohne Rücksichtnahme, wie ihr viele Menschen vorwarfen. Dieses Denken arbeitet von Trotta heraus, zeigt, wie Arendt erläutert und diskutiert, wie sie ihre „Erweiterte Denkungsart“ aus dem Kategorischen Imperativ Kants ableitet, in dem sie sich über die Dinge stellt, indem sie sich nicht über die Dinge erhebt, sondern versucht zu verstehen, um schließlich urteilen zu können. So kommt von Trotta ohne Trivialisierung zum Dreiklang in der Philosophie Arendts: Denken, Verstehen, Urteilen.
Hannah Arendt ist ein guter Film, ein wichtiger Film, ein aktueller Film. Ein Film, der sich gegen die Banalität des Seins richtet. Es ist ein tiefgründiger Film gegen die Oberflächlichkeit. Es ist ein berührender Film gegen die Gedankenlosigkeit und ein aufrüttelnder Film, ein Plädoyer für das Denken, das Andenken, das Vorausdenken, das Mitdenken und das Querdenken.
Der Film hat zwei Schwachpunkte: Die Einstiegsszene braucht das historische Wissen, weil sie – historisch unkorrekt, aber wunderschön gefilmt – die Entführung Adolf Eichmanns in Argentinien zeigt. Die Szene wird im weiteren Verlauf des Films nicht aufgegriffen, aufgelöst oder erläutert. Vor allem aber ist es die Hauptdarstellerin Barbara Sukowa, die an Hannah Arendt scheitert. Ihre Darstellung der Philosophin ist über weite Strecken zu banal. Es gelingt Sukowa nicht, Arendt als Denkerin darzustellen. Zu oft bleibt ihr Blick leer, gedankenverloren, ausdruckslos. Arendts ständiger Kampf mit dem Korsett der Sprache, wie sie es selbst bezeichnete, bleibt bis auf zwei Szenen außen vor. Der Grund, warum zwischen Prozess-Ende und Veröffentlichung so viel Zeit verging, resultierte auch aus der Formulierungswut Arendts, ihrer fortwährenden Suche nach den passenden Worten, dem nie enden wollenden Denkprozess. Hier bleibt Sukowa zu leichtfüßig, zu unreflektiert. Es fehlt Arendts Zorn. Auch zeigt sie viel zu selten, wie sehr die Diskussion um das Buch Hannah Arendt mitnahm, sogar zeichnete; wie sehr es sie traf, dass lange, tiefe, innige Freundschaften zerbrachen, nur weil sie es gewagt hatte, zu denken. Die Verbitterung darüber, die viele ihr als Uneinsichtigkeit auslegten. Das Gesicht Sukowas verweilt glatt und gut gecremt.

Martin Theobald
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