Wahlgesetz

Spiel mit dem Wahlgesetz

d'Lëtzebuerger Land du 06.11.2008

Die parlamentarische Demokratie fußt auch hierzulande auf der schmalen Grundlage eines mehr oder weniger vernünftigen Konsenses. Ihre Legitimierung setzt nämlich nicht nur voraus, dass regelmäßig Wahlen stattfinden, sondern auch, dass so gut wie alle Wähler das Ergebnis dieserWahlen anerkennen. Diese Notwendigkeit gilt besonders für jene Wähler, die von einer Mehrheit überstimmt wurden, also keinen richtigen Grund zum Respekt desWahlergebnisses haben außer den Trost, „gute Demokraten“ zu sein.

Damit das Wahlergebnis allgemein respektiert wird, muss zuerst die Wahlprozedur akzeptiert werden, mit der man zu dem Ergebnis gelangt. Diese Prozedur muss unter anderem gerecht und transparent erscheinen.Außerdem muss sie als zuverlässig und berechenbar gelten. Der Eindruck, dass vor jedem Spiel oder gar während des Spiels die Spielregeln geändert würden, wäre verheerend, weil dann die Wähler in Versuchung gerieten, sich ihrerseits nicht mehr an die Spielregeln zu halten.

Umso überraschender mag erscheinen, wie wenig sich der Gesetzgeber gerade um die Rechtssicherheit bei der für die Demokratie grundlegenden Wahlprozedur schert. Kaum ein anderes Gesetz wird nämlich so oft geändert wie das Wahlgesetz – seit 1924 mehr als 50 Mal, im Durchschnitt also alle anderthalb Jahre, kurz vor einem Wahlgang kann es auch häufiger sein.

Wie fahrlässig die Regierung und ihre parlamentarische Mehrheit mit der Rechtssicherheit der Wahlprozedur umgehen, zeigt sich seit bald zweiJahren mit den Einschreibefristen zu den Europawahlen. Denn auchacht Monate vor den Wahlen kann derzeit niemand mit Sicherheit sagen,bis wann man sich in die Wählerliste eintragen muss. Die Einschreibefrist zu den Europawahlen vom 2009 ist am 1. April dieses Jahres abgelaufen. Seither darf sich niemand mehr einschreiben, der an den nächsten Europawahlen teilnehmen will. Das gilt weniger für die Luxemburger Wahlberechtigten als für die eingewanderten, die angesichts des sehr frühen Zeitpunkts, zu dem die Wählerlisten hierzulande abgeschlossen werden, oft die Gelegenheit verpassen, schon anderthalb Jahre vor den Wahlen die nötigen Belege zu beschaffen und sich in die Wählerlisten eintragen zu lassen.

Aus diesem Grund hatte sich die Regierung auf Druck verschiedener Parteien, Gewerkschaften und Ausländerorganisationen vor bald zweiJahren dazu bewegen lassen, eine Verlängerung der Einschreibefrist zu versprechen. Aber es blieb beim Versprechen – bis vier Wochen vorAblauf der Frist, als Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) am 25.März dieses Jahres einen Gesetzentwurf im Parlament deponierte, um,neben allerlei anderen Bestimmungen, die Einschreibefrist von rund14 auf drei Monate, vom 1. April des Vorwahljahrs auf 13 Wochen vor dem Wahlgang, zu verkürzen.

Doch das Gesetz wurde nicht vor dem Ende der diesjährigen Einschreibefrist gestimmt. Kein Problem, meinte die Regierung, dann werden durch sein Einkrafttreten die abgeschlossenen Wählerlisten eben wieder aufgemacht und erneut Einschreibungen für die nächsten Europawahlen zugelassen. Das stellt aber nicht nur einen ziemlich rücksichtslosen Umgang mit einem Teil der Wählerschaft dar, sondern ist auch rechtlich höchst bedenklich. Wenn man nämlich davonausgeht, dass das Wahlgeschäft für die nächsten Europawahlen nichterst mit der Stimmabgabe, sondern mit der Bestimmung des Wahlkörpers durchdie Einschreibung in dieWählerlisten beginnt, stellt die geplante Gesetzesänderung einen Eingriff in das laufende Wahlgeschäft dar.

Doch seit der Gesetzentwurf auf den Instanzenweg gebracht wurde, istwiederum mehr als ein halbes Jahr verstrichen, ohne dass er vom Parlament gestimmt worden wäre. Dabei nahm das Parlament am 28. Mai einstimmig eine Änderung des Wahlgesetzes im Zusammenhang mit den Europawahlen an. Aber es wurde lediglich die Zahl der Kandidatenpro Liste halbiert. Die Regierung und das Parlament hatten es nichtfür nötig befunden, die Gelegenheit zu nutzen und die Verlängerungder Einschreibefrist in das Gesetz zu packen. In den Debatten erwähnteein einziger Abgeordneter das Thema beiläufig.

So dass es nun bloß noch vier Monate sind, bevor auch die im Gesetzentwurf vorgesehene, verkürzte Einscheibefrist ablaufen würde – falls sie noch einmal begänne. Doch bisher hat lediglich der Staatsrat ein Gutachten zum Entwurf abgegeben, in dem er unter anderem Unklarheiten bei den Einspruchsprozeduren und -fristen kritisiert. Andere Gutachten liegen noch nicht vor. Der parlamentarischeAusschuss für Institutionen und die Verfassungsrevision hat sichnoch nicht mit dem Gesetzentwurf befasst, so dass er noch weit entferntvon seiner Verabschiedung scheint. 

Sollte das Gesetz aber tatsächlich noch gestimmt werden, wird das Zeitfenster zwischen seinem Inkrafttreten und dem darin vorgesehenen Ende der Einschreibefrist immer kürzer. Die Möglichkeit der angesprochenen Personen, effektiven Gebrauch von ihrem neuen Recht zu machen, schwindet mit jedem Tag. So als verspräche die Regierung in der Theorie ein Recht für einen Teil der Wähler, das sie in der Praxis zu verhindern versuchte.

Gar nicht zu reden von der Rechtsunsicherheit für alle an den Europawahlen Beteiligten, die bis wenige Monate vor dem Wahlgang zu herrschen droht. 

Peter Feist
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