Theater

Die Sammlerin

d'Lëtzebuerger Land du 11.10.2019

Ein hölzernes Etwas wird in Abständen über die Bühne geschoben, geometrisch kaum definierbar. Das sperrige Teil dient als Hängeleine, Regal, vielleicht auch als Zug. Vielleicht. Einat Landais deutet mit seiner Bühne vor allem an. Wie dieses Holzgetüm, das Nicole Max in ihrer Rolle als Anna herumschiebt, kippt und zerrt, lässt sich auch das welke Herbstlaub nur ansatzweise deuten. Es mag für die Endlichkeit stehen, die jedem Sein, jeder Erinnerung innewohnt und den Text leitmotivisch durchzieht.

Wie die Requisite gestaltet sich Keenes Text Der Regen in seiner deutschen Übersetzung von Paul Bäcker als Ansammlung von Andeutungen, die erst dem Ende hin konkreter werden. Von Deportation ist die Rede, von Menschen, die auf dem Weg in Zugabteile ganze Trampelpfade „wie ausgetrocknete Flüsse“ hinterlassen. Und sie, Anna, erzählt von ihren Begegnungen mit diesen Fremden, die der Anwohnerin ihr letztes Hab und Gut vorübergehend anvertrauen. Anna hortet die Taschen, Münzen und Dosen in ihren Zimmern. Sie hat „mehr Sachen als Zimmer“, überlässt ihr Haus den Utensilien. Sie selbst schläft im Hof. Anna wird zur Allegorie der Erinnerung und muss dann doch mit wachsender Überforderung erkennen, dass selbst das hartnäckigste Gedenken im Vergessen endet: „...und versuche, alles so zu erhalten, wie man es mir gegeben hat. Aber es gibt Sachen, die zerfallen einfach. (...) Nur der Staub bleibt ewig.“ Zugleich aber wird gegen Ende das Anonymat gelüftet und die Deportierten bekommen ein Gesicht: Ein junges Paar in feinem Zwirn hinterlässt eine Blechbüchse mit abgegriffenen Geldstücken. Ein Mann mit blauem Glasauge schleicht „gekrümmt und gebogen wie ein Fragezeichen“ an ihr vorbei. Eine Frau vertraut ihr Vogelfedern jeder Art an. Ein Junge schließlich hat den Regen in einem Gefäß gesammelt: „Der Regen gehört Gott. Ich habe ihn für ihn aufbewahrt.“ Der Besitzer ist unauffindbar, außer Dienst.

Der preisgekrönte und mehrfach übersetzte australische Autor Keene (1955) liefert einen Text, der mit seinen lexikalischen Feldern um Deportation und Erinnerung ein dichtes, atmosphärisch geladenes Drama hinterlegt. Es dient als Basis für ein multilinguistisches Projekt, das in mehreren europäischen Ländern inszeniert wird.

Was textlich überzeugt, stört auf anderen Ebenen: Am Anfang dieser stillen One-Woman-Show übertönt eine Rückkoppelung in der Tontechnik die Stimme von Nicole Max. Ein Holzgerüst, mit Stofftüchern behangen, löst sich aus seinen herabgelassenen Seilen und knallt auf den Bühnenboden. Unter 30 Zuschauern nickt einer ein und stört mit seinem Schnaufen. Die Sanitäranlagen der Mieter im ersten Stock sorgen anfangs für befremdliche Zusatzgeräusche.

Mögen diese Zwischenfälle dem Kasemattentheater als hauseigener Charme nachgesehen werden, so ist ein anderer Makel dieses Theaterabends kaum schönzureden: Die Darstellerin ist rhetorisch und mimisch von Der Regen überfordert. Hätte die Wahlpariserin sich in der französischen Fassung versucht, hätte sie vielleicht überzeugt – reine Spekulation. Das Spiel ihrer Hände, die mimischen Züge der Desorientierung und Verzweiflung wirken bemüht und mechanisch. Die Darstellerin geht die dichterische und atmosphärische Subtilität mit einer Interpretation an, der es an Feinheit fehlt. So beschränkt sich diese Darbietung auf einen mimischen Vortrag. Verkörperung ist etwas anderes.

Am Ende des Theaterabends jedoch gewinnt die Vorstellung an Aussagekraft: Während so mancher versteckte Hinweis und möglicherweise auch die Deutungsgewohnheiten heutiger Zuschauer einen Bezug zum Holocaust vermuten lassen, werden am Schluss von Barlinds Inszenierung Fotografien an die Theaterwand projiziert, die Rückschlüsse auf Deportationen, Schlepperbanden und Gefangenenlager jenseits des Dritten Reichs schließen lassen. Selbst diese Einspielung wird nicht vom Fehlerteufel verschont: Das Akku im Notebook, über das die Datei abgespielt wird, ist platt. Die entsprechende Meldung begleitet die Projektion minutenlang.

In seiner 45-minütigen Gesamtheit präsentiert Projektinitiatorin und Regisseurin Anne Barlind eine kurze, verstörend einfühlsame Produktion mit gehörigem Potenzial. Die genannten Störungen und Schwächen beeinträchtigen jedoch einen insgesamt durchwachsenen Theaterabend.

Der Regen von Daniel Keene; eine Produktion des Thalie Théâtre Paris, Fundamental Monodrama Festival 2018 und des Luxemburger Kulturministeriums; Regie von Anne Barlind; Bühne und Video von Einat Landais; Kostüm von Madeleine Lhospitallier-Barbe; mit Nicole Max. Keine weiteren Vorstellungen.

Claude Reiles
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