Bis zur Sommerpause könnte die Scheidungreform im Parlament zur Abstimmung kommen. Und mit ihr der geregelte Nachkauf von Rentenrechten aus dem Güterstand der Eheleute

K(l)eine Rente nach der Gütertrennung

d'Lëtzebuerger Land du 23.03.2018

Im letzten Bericht Travail et cohésion sociale des Statistikinstituts Statec steht: 2016 waren in Luxemburg 65,1 Prozent der Frauen berufstätig. Das waren deutlich mehr als im Jahr 2000, als der taux d’emploi feminin nur 53,8 Prozent betrug, doch die Berufstätigkeit der Männer lag auch 2016 mit 76,1 Prozent wesentlich höher.

Weil mit der Berufstätigkeit auch die Beitragspflicht zur Sozialversicherung einhergeht, folgt aus dem Unterschied von elf Prozentpunkten zwischen der Männer- und der Frauenbeschäftigung, dass es bei einer Ehescheidung vor allem die Frauen sind, die anschließend kleineren oder schlimmstenfalls gar keinen eigenen Rentenrechten dastehen können. Denn die Sozialpolitik wurde jahrzehntelang von einer christlich-sozialen Familienpolitik geprägt, in deren Mittelpunkt das heilige Sakrament der Ehe eines männlichen Ernährers und einer erwerbslosen Hausfrau steht, die lediglich von ihrem Gatten „abgeleitete“ Sozialversicherungsrechte besitzt, von ihm bis ins Rentenalter wirtschaftlich abhängig bleibt und bei einer Scheidung die abgeleiteten Rechte verliert.

Seitdem 2003 der damalige CSV-Justizminister Luc Frieden einen Gesetzentwurf zur Reform des Scheidungsrechts im Parlament einreichte, haben die nachfolgenden Regierungen diesen Text überarbeitet. Die aktuelle Regierung nahm im Mai 2016 einen neuen Entwurf an. Wie 2003 und danach soll auch heute das Rentenrechte-Problem zumindest entschärft werden. Denn man kann zwar davon ausgehen, dass es allmählich kleiner wird: Jüngere Frauen sind viel häufiger berufstätig, 2016 waren es 80 Prozent der 25- bis 39-jährigen. Doch von den gleichaltrigen Männern waren es 84 bis 91 Prozent, so dass ein nennenswerter Unterschied bleibt. Hinzu kommt, dass sich hinter der Berufstätigkeit bei Frauen viel öfter als bei Männern eine Teilzeitanstellung verbirgt: 2016 arbeiteten von den in Luxemburg ansässigen 20- bis 64-jährigen Berufstätigen 5,9 Prozent der Männer Teilzeit, aber 34,8 Prozent der Frauen. Da die Höhe der Altersrente vor allem vom Umfang der über die Jahre in die Rentenkasse eingezahlten Beiträge abhängt, führt Teilzeitarbeit zwangsläufig zu kleineren Rentenrechten. Für verheiratete Frauen, die Teilzeit arbeiten, ist eine Scheidung ein umso größeres Langfristrisiko mit Blick auf die Rente, je länger sie in Teilzeit bleiben.

Weil all das überhaupt nicht neu ist, wurde schon in den Siebzigerjahren diskutiert, wie eine Lösung aussehen könnte. Der Wirtschafts- und Sozialrat meinte 1977 in einem Gutachten an die Regierung, sie könne „nur“ darin bestehen, dass im Falle einer Scheidung die Partner alle ihre während der Ehe erworbenen Rentenrechte miteinander teilen.

Damit war schon vor vier Jahrzehnten das „Renten-Splitting im Scheidungsfall“ auf dem Weg, gesellschaftlich und politisch konsensfähig zu werden, und es ist nicht ohne weiteres einzusehen, weshalb die DP-LSAP-Grüne-Regierung in ihrem Scheidungsreformentwurf dahinter zurückbleibt. Im Unterschied zu den vorherigen Texten stehen die Chancen nicht schlecht, dass der Gesetzentwurf von Justizminister Félix Braz (Grüne) es bis zur Sommerpause zur Abstimmung ins Kammerplenum schafft: Der parlamentarische Justizausschuss arbeitet mit Hochdruck daran. In Kraft träte die Reform am ersten Tag des vierten Monats, der auf die Publikation des Gesetzes im Memorial folgt. Das könnte im Spätherbst sein. Wenngleich Braz den ursprünglichen Entwurf vom Mai 2016 im September vergangenen Jahres auf gut 20 Stellungnahmen von Berufskammern, Justizbehörden, Interessenverbänden und Staatsrat hin in nicht weniger als 128 Punkten änderte und der Staatsrat im Januar weitere Anpassungen verlangte, dürfte sich an dem Text, der viele Rechtsaspekte betrifft und unter anderem eine Familiengerichtsbarkeit ganz neu schaffen soll, nicht mehr viel ändern, was die Rentenrechte im Scheidungsfall betrifft: Statt Splitting soll es einen geregelten Nachkauf von Rechten geben.

Ein Unterschied dabei ist der: Beim Splitting würden die von den Partnern im Laufe der Ehe erworbenen Rentenrechte geteilt, um dem schlechter Gestellten zu helfen. Im Extremfall einer Hausfrauenehe, die geschieden wird, müsste der Mann die Hälfte seiner Rentenrechte an die Frau abtreten. Nachkauf von Rentenrechten dagegen heißt, neue Rechte zu erwerben, indem sie bei der nationalen Pensionskasse (Cnap) gekauft werden. Der mit Rentenrechten besser ausgestattete Partner würde kein einziges davon abtreten, sondern beim Nachkauf helfen.

Zweitens: Im Unterschied zum Splitting-Modell, das sich auf die gesamte Dauer der Ehe bezöge, soll der Nachkauf nur für Zeiträume gelten, in denen die Partner – es muss ja nicht nur einer sein – ihre Berufstätigkeit unterbrochen oder verkürzt haben. Diese Zeiträume würden zu einer „Referenzperiode“ addiert. Anschließend würde der Durchschnitt aus den Bruttoeinkünften gebildet, die die Ehepartner in der Referenzperiode bezogen. Der Partner mit den kleineren Einkünften hätte dann Anspruch darauf, durch Nachkauf so viele Rentenrechte zu erhalten, als hätte er – meist aber wohl sie – in der Referenzperiode Einkünfte gehabt, die brutto so hoch waren wie der Durchschnitt des Paares. Wie viel der Nachkauf genau kostet – der „Referenzbetrag“ – und wie lang die Referenzperiode ist, würde auf Antrag des Familienrichters, der mit dem Scheidungsantrag befasst ist, die Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) ausrechnen. Nach dem letzten offiziellen Stand des Gesetzentwurfs vom September 2017 müssten die zur Referenzperiode summierten Zeiträume mindestens zweieinhalb Jahre ergeben. Anfangs wollte die Regierung fünf Jahre vorschreiben, halbierte das Minimum aber auf Einsprüche der Salariatskammer hin.

Man könnte diesen Ansatz für eine Art Splitting im Nachhinein halten, das bürokratischen Zusatzaufwand mit sich brächte, aber berücksichtigt, dass Frauen immer öfter eigene Rentenrechte haben, die allenfalls aufzubessern wären. Deshalb erklärte Sozialminister Romain Schneider (LSAP) im Mai 2016, nachdem der Regierungsrat Félix Braz’ Gesetzentwurf angenommen hatte, der Rentenrechte-Nachkauf im Scheidungsfall werde „zu einer Regel, die im Sozialversicherungsbuch verankert wird“ (d’Land, 27.05.2016). Wie die Dinge liegen, heißt das aber nicht, dass bei jeder Ehescheidung der Nachkauf zur Regel wird, wenn einer der Partner nicht genug Rentenrechte hat, und es ist nicht absehbar, wie oft er in der Praxis angewandt werden könnte.

Das liegt schon daran, dass für den Nachkauf genug Geld da sein muss: Wie bei beruflicher Aktivität, entsteht auch beim Nachkauf ein Rentenrecht durch Einzahlen von zwei mal acht Prozent eines Bruttoeinkommens in die Pensionskasse. Mit dem Unterschied, dass die acht Prozent Versichertenanteil und die acht Prozent Arbeitgeberanteil von den zu scheidenden Ehepartnern gemeinsam übernommen würden. Weitere acht Prozent soll, wie bei der normalen Rentenversicherung, der Staat zuschießen. Doch auch dann ist der Nachkauf teuer, wie das Sozialministerium schon 2016 an Beispielen demonstrierte: Wurde eine Tätigkeit, für die der anderthalbfache Mindestlohn verdient wurde, zehn Jahre unterbrochen, danach wieder aufgenommen bis sich 40 Beitragsjahre ergeben, betrüge die Rente monatlich 1 911 Euro. Sollen im Scheidungsfall die zehn Jahre Unterbrechung kompensiert und das Zehnjahres-Äquivalent eines 1,25-fachen Mindestlohns an Rentenrechten zugekauft werden, würde das 41 568 Euro kosten. Die Rente nach 40 Jahren stiege dann auf 2 442 Euro.

In einer abgewandelten Variante dieses Beispiels würde die Tätigkeit zehn Jahre lang auf halbtags verkürzt. Für einen Nachkauf des 0,75-fachen Mindestlohn Äquivalents müssten 16 627 Euro aufgewandt werden, damit die monatliche Rente nach 40 Beitragsjahren 2 652 Euro betrüge, anstelle 2 396 Euro ohne Nachkauf.

Weil es seit 2016 eine Mindestlohn- und eine Indexanpassung gab, sind diese Beträge heute nicht mehr dieselben. Ihre Größenordnung trifft aber noch immer zu, und es ist klar, dass nicht jedes zu scheidende Paar sich den Nachkauf leisten könnte. Damit beide Partner dazu beitragen – und nicht wie beim Splitting-Modell der besser Gestellte etwas an den schlechter Gestellten abträte –, soll der Nachkauf aus der Gütergemeinschaft des Ehepaars bestritten werden, ehe eine weitere Gütertrennung vorgenommen wird. Doch wenn es keinen gemeinsamen Besitz gibt, etwa eine Immobilie, wird der Nachkauf schwierig, wenn nicht unmöglich.

Scheidungen im gegenseitigen Einvernehmen wären ein Fall für sich: Da „gegenseitiges Einvernehmen“ impliziere, dass die Partner unter sich einig werden, könne ein Richter nicht anordnen, für sie Referenzbetrag und Referenzperiode ausrechnen zu lassen, meinte der Staatsrat. Justizminister und Kammerausschuss haben sich dem angeschlossen und gehen stillschweigend davon aus, dass im gegenseitigen Einvernehmen die Rentenrechtefrage geklärt werde. Auch, weil die Scheidungsrechtsreform vorsieht, dass die Convention de divorce für eine einvernehmliche Scheidung in Zukunft mit einem Notar oder einem Anwalt aufgesetzt werden muss und diese Fachperson auf Rentenfragen hinweisen kann. Auf jeden Fall aber erfolgt die Mehrzahl der Scheidungen im gegenseitigen Einvernehmen; das ist bereits seit Jahren so. Im vergangenen Jahr war das 798 Mal der Fall, im Jahr zuvor 805 Mal. Scheidungen „par cause déterminée“, wie sie in der Statistik der Justizorgane genannt werden, wurden im vergangenen Jahr 436 Mal und 2016 434 Mal gesprochen. So dass es prinzipiell nicht ausgeschlossen ist, dass die meisten Scheidungen ohne Nachkauf über die Bühne gehen könnten.

Ob der geregelte Nachkauf bei Scheidung internationaler Ehen und von Paaren, die nicht nur in Luxemburg, sondern auch in anderen Ländern Rentenrechte erworben haben, in jedem Fall machbar wäre und vor allem: korrekt berechnet werden kann, scheint ebenfalls nicht so sicher. Bevor ein Familienrichter die IGSS mit der Berechnung von Referenzperiode und Referenzbetrag beauftragen kann, müsste er alle Daten über die Beitragslaufbahnen der Eheleute zusammentragen. Da mehr als die Hälfte der in Luxemburg Rentenversicherten eine „gemischte“ Beitragskarriere hat, dürfte das aufwändig werden.

Zu guter Letzt war zumindest Anfang des Jahres noch unklar, worin genau die Einkünfte bestehen sollen, die für den Referenzbetrag herangezogen würden. Wie mit Einkünften von Freiberuflern umgegangen werden soll, war eine Frage. Die Pensionskasse Cnap warf noch eine andere auf: Denkbar sei ja, dass Paare geschieden werden, von denen ein Partner Rentner ist. Soll die Rente in diesem Fall als Ersatzeinkommen gelten oder nicht? Offenbar bestehen dazu unterschiedliche Definitionen bei der Sozialversicherung einerseits und dem nationalen Solidaritätsfonds andererseits.

Angesichts dieser Probleme, von denen nicht alle lediglich „technisch“ sind, kann man sich fragen, ob das Splitting, das der Wirtschafts- und Sozialrat 1977 für die einzig gangbare Lösung hielt, es auch 40 Jahre später wäre. Der Sozialminister und die Generalinspektion der Sozialversicherung hatten das 2016 verneint: In Luxemburg bestünden Rentenrechte einerseits aus den im Laufe einer Karriere eingezahlten Beiträgen, zweitens aus einer Komponente, die die Beitragsjahre enthält. Hinzu kann drittens ein Complément kommen, das eine zu kleine Rente zur Mindestrente aufbessert. Solche ausgesprochen individuellen Rechte ließen sich nicht splitten, und ein Splitting mit den vielen internationalen Beitragskarrieren, die in Luxemburg anzutreffen sind, sei schon gar nicht machbar. Deshalb habe der Staatsrat 2010, als wieder einmal einer überarbeitete Version von Luc Friedens Scheidungreformentwurf vorlag und darin von einer „Prestation complémentaire“ die Rede war, die zu einer Art Splitting führen und über die der Richter entscheiden sollte, als nicht praktikabel verworfen und den Nachkauf als einzige Alternative empfohlen.

Tatsache ist aber auch, dass zum Regierungswechsel 2013 das Renten-Splitting im Scheidungsfall politisch tot war: Im Wahlkampf sprach nur déi Lénk sich klar dafür aus, die ADR klar dagegen. In den Programmen von CSV und Grünen war von den Rentenrechten Geschiedener keine Rede. Die DP versprach zwar, dafür zu sorgen, „dass künftig Ehepaare zwischen der Hinterbliebenenrente und dem Rentensplitting wählen können“, schien damit aber nur Ehen zu meinen, die ab einem Stichdatum eingegangen würden, aber keine Lösung bei der Scheidung bereits bestehender.

Die LSAP schließlich, die 2009 das Splitting noch wollte, war 2013 davon abgerückt. Stattdessen plädierte sie dafür, „gemeinsame Einkünfte bei Bedarf (...) gerecht unter geschiedenen Ehepartnern aufzuteilen“ und bei Berufsunterbrechungen „Kompensationszahlungen an[zu]erkennen“. Im Rückblick scheint die verquere Formulierung den Nachkauf vorweggenommen zu haben. Die LSAP und ihre Sozialminister waren aber auch immer ganz besonders dem Druck der Gewerkschaften ausgesetzt, die das Splitting nie wollten. Die Salariatskammer wies in ihrer Stellungnahme zu Félix Braz Gesetzentwurf darauf hin, dass der Wirtschafts- und Sozialrat in den Achtzigerjahren seine Meinung änderte, weil beim Splitting viele „Hungerrenten“ entstehen könnten. Man kann in solchem Widerstand auch den von Männerbünden sehen, die Gewerkschaften nun einmal sind.

Denn in der Praxis sind die kleinen Renten vor allem Frauenrenten. Das beschrieb die Pensionskasse, die solche Zahlen nicht regelmäßig publiziert, 2011 anlässlich der Pensionsreformdebatte: Von den in den Jahren 2000 bis 2005 frisch Pensionierten fehlte Männern, die mit 60 eine vorgezogene Altersrente antraten, nicht in einem Fall auch nur ein Jahr zu den 40 Beitragsjahren, nach denen Anspruch auf eine volle Rente besteht. Den neu pensionierten Frauen gleichen Alters fehlten im Schnitt sechs Jahre. Und hatten jene Männer, die zwischen 2000 und 2005 erst mit 65 in Pension gingen, das offenbar nicht selten auch getan, um ihre Beitragslaufbahn aufzubessern, weil ihnen sogar im legalen Renteneintrittsalter im Schnitt noch vier Jahre für einen Vollrentenbezug fehlten, lag bei den 65-jährigen Neu-Rentnerinnen diese Lücke bei 13 Jahren (d’Land, 13.04.2012).

Ob der kostspielie Rentenrechte-Nachkauf an dieser Lücke viel ändern würde, bliebe abzuwarten. Die Frage ist ja auch, wie viele Eigenheime veräußert würden, um Renten aufzubessern, wenn anschließend die Aussicht besteht, sich womöglich als Konkurrenten um die wenigen preiswerten Mietwohnungen wiederzufinden.

Peter Feist
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