Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Geschlossene Gesellschaft

d'Lëtzebuerger Land vom 09.07.2021

Über den Umsatz oder gar die Gewinne zu reden, geziemt sich nicht. Deshalb wird die Größe der Firmen hierzulande nach der Beschäftigtenzahl beurteilt. Das statistische Amt Statec verbreitete vor einigen Tagen eine Pressemitteilung „Les principaux employeurs au Luxembourg au 1er janvier 2021“.

An dieser Liste der größten „Arbeitgeber“ fällt auf, dass der mit Abstand größte, der Staat, unterdrückt wurde. Er beschäftigte am 1. Januar 31 049 Leute. Auch die Stadtverwaltung Luxemburg fehlt in der Aufstellung. Die Gemeinde käme mit 4 333 Beschäftigten auf Platz sechs.

Es gibt keinen ökonomischen Grund, die Dienstleistungen der Steuerberater zu berücksichtigen, nicht aber die der Steuerverwaltung oder der Müllabfuhr. Der Grund ist vielmehr ein ideologischer: Privatunternehmen werden als naturgegebene Norm dargestellt. Wirtschaftliche Aktivitäten, die nicht dem Gewinnstreben dienen, gelten als pathologische Abweichungen. Sie werden des unlauteren Wettbewerbs und gleichzeitig der Ineffizienz bezichtigt. Bis zur Covid-Seuche sollten sie „abgespeckt“ und privatisiert werden. Manche Länder überließen die Seuche den Heilkräften des Marktes. Am meisten profitierten dann die Bestattungsunternehmen.

Hierzulande wirtschaftet auch die öffentliche Hand. Dem Staat folgen in der Hitparade die Staatsunternehmen Post und Eisenbahn, später die Staatssparkasse. Unter den 30 größten Firmen sind auch sechs Krankenhaus- und Pflegefirmen. Sie sind nicht in öffentlicher Hand, aber werden aus ihr gefüttert. Sie leben von der staatlich organisierten Kranken- und Pflegeversicherung.

Die 30 größten Firmen beschäftigen fast ein Viertel aller Erwerbstätigen. Die Hälfte dieser Firmen wird von ausländischem Kapital kontrolliert. Zwei Drittel arbeiten für den Binnenmarkt. Obwohl die Lobby der Exportindustrie die lautstärkste ist.

Die 30 größten Firmen sind eine geschlossene Gesellschaft. Über die Jahre ändert sich nur ihre Rangfolge. Der einzige Neuankömmling in 15 Jahren war Amazon. Der Versandhändler steht mit 3 280 Beschäftigten inzwischen auf Platz zehn (das heißt zwölf). Die 2014 gegründete Krankenhausgruppe Robert Schuman ist weniger neu. Sie entstand aus Fusionen bestehender Spitäler.

Nur zwei Firmen haben in den vergangenen 15 Jahren Arbeitsplätze abgebaut: der Stahlkonzern Arcelor-Mittal und die Banque Internationale. Im Covid-Jahr 2020 stellten der Staat, Amazon und BGL ein, Arcelor-Mittal, Sodexo und Luxair bauten ab.

Vor zehn Jahren hatte Arcelor-Mittal mit 6 070 Beschäftigten noch die zweitgrößte Belegschaft nach dem Staat. Nun ist die Gruppe mit 3 660 Beschäftigten auf Platz sechs (das heißt acht) abgerutscht. Zu den 30 größten Firmen gehört nur ein weiteres Industrieunternehmen: der Reifenhersteller Goodyear.

Inzwischen wird die Liste der größten Unternehmen von ein paar Dienstleistungsbranchen beherrscht: der öffentlichen Hand, Dienstleistungen an Unternehmen, medizinischen und Pflegediensten, Banken. Hinzu kommen zwei Luftfahrtgesellschaften und zwei Einzelhandelsketten. Der Anteil der produktiven Arbeiter und Arbeiterinnen sinkt, die Dienstleistungsgesellschaft hat sich breit gemacht. Das galt als fortschrittlich. Bis in China die Atemschutzmasken knapp wurden.

Vor 15 Jahren war die Bankenbranche nach der öffentlichen Hand die personalreichste unter den Großunternehmen. Drei Banken gehörten zu den 20 größten Firmen. Heute ist es noch eine: BGL. Nun nennt sich der Bankenplatz „Finanzplatz“.

Die Big Four-Unternehmensberater haben in den vergangenen 15 Jahren ihre Beschäftigtenzahl von 2 130 auf 8 370 vervierfacht, mehr als das Doppelte der Stahlindustrie. Fünf weitere Firmen, die für Unternehmen putzen, kochen oder bewachen, haben ihre Belegschaft auf 10 930 verdoppelt. Das geschah vor allem durch die Auslagerung von Arbeitsplätzen aus bestehenden Unternehmen. So kann an der besser bezahlten und besser geschützten Stammbelegschaft gespart werden.

Romain Hilgert
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