Cargolux

Im Krebsgang

d'Lëtzebuerger Land vom 09.07.2009

Es ist ein Rennen gegen die Zeit, das die Cargolux derzeit läuft. Erstens, weil das nationale Schlichtungsamt Arbeiternehmern und Arbeitgebern bis zum 30. Juli Zeit gegeben hat, um den ausgelaufenen Kollektivvertrag zu erneuern und diesen dann mit einem gesonderten Antikrisenprogramm zu begleiten. Zweitens, weil ein Aufschwung derzeit nicht in Sicht ist und die Frachtfluggesellschaft jeden Monat Bargeld blutet. Bargeld, das in begrenzten Mengen zur Verfügung steht. 

Ende 2008 hatte die Firma 100 Millionen Dollar Cash auf der Bilanz. Quellen zufolge verliert Cargolux derzeit im Schnitt zehn Millionen Dollar monatlich. Bislang habe die Firma 2009 um 80 Millionen Dollar Defizit gemacht. Dieses Jahr werden zwar der Verkauf des Hangars (der zurückgeleast wird) sowie die Einnahmen aus dem Verkauf zweier 747-400 an UPS den Kassenstand anheben. Doch davon, so David Arendt, bei der Vorstellung des Jahresberichtes im April, wollte er eigentlich Ende 2009 fällig werdende Kredit-Tranchen zurückzahlen. Falls die Firma weiterhin in diesem Tempo Geld verliert, muss man sich fragen, wie lange sie diesen Krisenzustand durchhalten kann.

Ulrich Ogiermann, CEO, lehnt es ab, die genannten Defizite zu kommentieren, räumt aber ein, die Firma habe in den ersten fünf Monaten „signifikante Verluste“ verzeichnet. Er meint, bei einem Status Quo würde bei dieser Ergebnislage „jeder Firma die Luft ausgehen“. Deswegen will er es nicht beim Status Quo belassen. „Wir haben sehr aggressive Sparprogramme“, sagt Ogiermann. Budgets für Öffentlichkeitsarbeitsarbeit? Zusammengestrichen. Hotelverträge und die für Crew-Verpflegung? Neuverhandelt. Alle Cash-Ausgaben, wurden soweit möglich auf 2010 verschoben oder ganz gestrichen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, Fazilitäten zu verhandeln und sind dabei auch ziemlich erfolgreich. So dass wir vorbereitet sind, aber dennoch sehr, sehr genau auf unsere Cash-Situation aufpassen.“ Durch die Fazilitäten, sprich Kredite und Kreditlinien, wird die ohnehin schon recht hohe Verschuldung des Unternehmens – Ende 2008 standen einem Dollar Stammkapital 1,34 Dollar Schulden gegenüber – weiter steigen.

Insgesamt 41 Millionen Dollar will die Firmenleitung 2009 einsparen. Ein Tropfen auf den heißen Stein? „Mit Sparen allein kann man diese Krise nicht kompensieren“, weiß Ogiermann. „Doch wir müssen demonstrieren, dass jeder mit anpackt.“ Deswegen hat sich das Top-Management vorsorglich schon mal selbst die Gehälter um zehn Prozent gekürzt. Gewerkschaftsvertreter befürchten, dass dieser Prozentsatz als Vorgabe für Einsparungen bei den Personalkosten insgesamt gelten könne. Zehn Prozent von 214 Millionen Dollar Lohn- und Sozialversicherungskosten 2008 wären plus minus 20 Millionen Dollar. Dass beim Personal drastisch gespart werden soll, wenn ohnehin die wenig beeinflussbaren Kerosinpreise mit einem Anteil von fast 50 Prozent Kostenfaktor Nummer eins sind, sehen sie nur bedingt ein. Zumal es ihnen schwerfällt zu verstehen oder zu akzeptieren, dass die Rücklagen für bereits bekannte oder noch drohende Kartellstrafen kein Reservoir sind, aus dem sich die Firma in der derzeitigen Krisensituation bedienen kann.

Weil sich aber die Gewerkschaften bislang erfolgreich gegen ein Einfrieren der Gehälter gewehrt haben, mussten die Sozialpartner vergangenen Donnerstag beim Schlichter antreten. Der schlug ihnen vor, einstweilen den Kollektivvertrag unverändert und mit den darin enthaltenen Automatismen zu erneuern und daneben ein Antikrisenprogramm aufzulegen. Jetzt sind sich die Gewerkschaften darüber uneins, ob das nun heißt, dass ein Plan de maintien dans l’emploi vorbereitet werden soll oder nicht, weil sie anscheinend das Risiko von Arbeitplatzabbau unter­schied­lich hoch einschätzen. Vielleicht liegt das daran, dass die Firma ihren Ausblick seit Anfang des Jahres drastisch nach unten korrigieren musste. Hoffte Vorstandsvorsitzender Marc Hoffmann im April noch, dank der UPS-Gelder werde man das Jahr 2009 unterm Strich mit einer Null abschließen können, sagt Ogiermann jetzt: „Wir schaffen kein Nullergebnis mehr.“ Dabei leidet Cargolux, wie die Branchenkollegen auch, unter dem, was Ökonomen eine Rezession in Form eines „L“ nennen. Will heißen, rasanter Absturz der Wirtschaftsleistung, gefolgt von einer Stabilisierung auf niedrigem Niveau, ohne darauffolgen Aufschwung – man denke an das Beispiel Japan. Es geht im Krebsgang voran, seitwärts. Nicht nur die Cargolux-Verantwortlichen waren zu optimistisch. Die Nachfrage im Flugfrachtsegment sank im Mai um 17,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, teilte der internationale Luffahrtverband IATA Ende Juni mit. Seit Dezember hinkt die Nachfrage im Jahresvergleich rund 20 Prozent hinterher. Der Ertrag auf der Luffracht sank im ersten Quartal um 17 Prozent, so die IATA, die Einnahmen gingen dadurch um 35 Prozent zurück. 

IATA-Chef Giovanni Bisignani meinte, er könne sich schwerlich vorstellen, dass man nach der Krise zum business as usual zurückkehren können. „Diese Krise ordnet die Industrie neu“, sagt er bei der Vorstellung der Zahlen. Die Organisation korrigierte die Verlustvorhersage für die gesamte Luftfahrtbranche von 4,7 Milliarden Dollar im März auf neun Milliarden Dollar im Juni. „Die Schlüsselfrage ist, ob der Nachfragerückgang konjunkturell bedingt ist, und über die Zeit wieder rückgängig gemacht wird, oder ob es sich dabei um eine strukturelle Änderung aufgrund einer Deglobalisierung handelt“, fragen die IATA-Experten in ihrem Cargo eChartbook. „Alle reden von grünen Trieben in der Weltwirschaft, wir sehen die nicht“, sagt Ogiermann trocken. Fast 100 Frachtflugzeuge wurden die­ses Jahr bereits aus dem Verkehr gezogen, doch die Kapazitäten übersteigen immer noch die Nachfrage. In der direkten Nachbarschaft gibt es erste Krisenopfer.

Cargo B Airlines, eine reine Frachtgesellschaft mit Basis in Brüssel, legte vergangenen Woche den Schlüssel unter die Türmatte. Erst 2007 hatte die Gesellschaft, die ohne falsche Scham und mit großer Bewunderung das Geschäftsmodell der Cargolux zu kopieren suchte und teilweise die gleichen Strecken abflog, den Flugbetrieb aufgenommen. Dass die Konkurrenz, die in ihrer Verzweiflung den Preisdruck noch erhöhte, jetzt weg vom Fenster ist, löst bei Cargolux-Mitarbeitern eine gewisse Schadenfreude aus, erinnert aber gleichzeitig an die eigenen prekäre Lage. 

Durch die Insolvenz der Cargo B sind zwei weitere Boeing 747-400 aus dem Markt raus. Dass aber Cargolux, deren Flotte derzeit so organisiert ist, als ob sie aus nur 14 statt aus 16 Fliegern bestehe, die zwei Flugzeuge, die sie im Herbst an UPS abgibt, ersetzt, hält Ogiermann für unwahrscheinlich. „Dazu bräuchte es einen richtigen Aufschwung“. Der ist derzeit nicht in Sicht. Auch wenn im kommenden Jahr – wegen Streiks bei Boeing mit erheblicher Verspätung – drei Flugzeuge der neuen 747-8-Serie geliefert werden, wird die Zahl der Flugzeuge vorraussichtlich bei 14 bleiben. Entsprechend ist der Verkauf drei weiterer 747-400 bereits besiegelt. Die neuen 747-8 braucht die Cargolux dennoch , um sich im Wettbewerb besser aufzustellen – sie verbrauchen weniger Sprit als die 747-400. Konkurrenten setzten mittlerweile die spritsparende 777 als Frachtflugzeug ein. „Da hat man mit den 747-400 keinen Wettbewrbsvorteil mehr“, so Ogiermann.

„Die Flotte ist nicht ausgelastet, die Kapitalkosten laufen dennoch weiter“, erklärt er die aktuelle Situation. „Wir müssen vermuten, dass wir die nächsten zwei bis drei Jahre in negativem Territorium sind, im Vergleich zu 2008. Der Preisverfall hat die Cargolux noch stärker getroffen als den Rest der Branche: Die Nettopreise – also Treibstoff- und sonstige Aufschläge ausgenommen – waren in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 19 Prozent niedriger als im Vorjahr, ein„Extrem“. Der Ladefaktor war im Mai sechs Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Das sei übers ganze Netz verteilt „enorm“. Doch es ist vor allem der Preisverfall, der dem Unternehmen zusetzt, Schuld daran ist, dass die Kasse nicht stimmt.

„Es wird eine lange Durststrecke für die ganze Transportbranche“, so der Cargolux-Chef. In der Tat. Im Frachtzentrum der Luxair werden im Vergleich zum Vorjahr 20 Prozent weniger Frachttonnen umgeschlagen. Zeitarbeitskräfte werden nicht mehr gebraucht und auch eigenes Personal hat Hjoerdis Stahl, Leiterin der Luxair-Cargo-Sparte, an andere Dienste abgegeben. Nach dem Rekordjahr 2007, als im Cargozentrum 891 000 Tonnen umgeschlagen wurden, rechnet man bei Luxair für das Jahr 2009 mit 740 000 Tonnen Fracht. Dabei hält sich die Cargolux in einem schlechten Umfeld gut, meint Stahl. Andere Kunden hätten viel größere Schwierigkeiten, sich im derzeitigen Umfeld Marktanteile zu sichern. Ihren eignen Konkurrenten geht es erst recht schlecht. 

Die Probleme von Swissport, die im Herbst die Zelte in Luxemburg abbrechen will, waren zwar nicht krisenbedingt, wurden dadurch aber sicher nicht gemindert. Das Logistikunternehmen Panalpina entließ vor vier Monaten 50 seiner 300 Mitarbeiter. Auch Stahl glaubt, dass sich die Luftfrachtbranche fundamental verändern wird. Nachdem in den vergangenen drei Jahren die Saisonalität vollkommen verschwunden war und alle Zeichen auf ganzjähriges Wachstum standen, glaubt sie an eine Rückkehr der traditionellen Saisons: Schlechtes Geschäft zum Jahresbeginn, ein Hoch zu Ostern, danach ruhiges Geschäft bis zum September. Dann, von September bis Dezember, wird Geld verdient. Falls man zu diesem Muster zurückkehrt, hofft Stahl „auf einen moderaten Anstieg ab September“, so ihre vorsichtige Prognose. 

Wenn Cargolux die beiden 747-400 nicht ersetzt, heißt das aber auch, dass es zuviel Personal gibt – 50 Mitarbeiter pro Flugzeug, lautet die Faustregel. Ogiermann ist optimistisch, dass die nötigen Anpassungen über freiwillige Maßnahmen verdaut werden können und niemand entlassen werden muss. Zum Beispiel, indem man älteren Mitarbeitern den vorzeitigen Ruhestand anbiete, auf den Weg freiwilliger Arbeitszeitverkürzungen gehe, Sabbatjahre anbiete, aber auch durch eine gesteigerte interne Mobilität der Arbeitnehmer. „Wir sind dabei, dies durchzugehen“, sagt der Cargolux-CEO, der sich auf Form und Details nicht festlegen will. Er nennt es einstweilen „Beschäftigungssicherungsplan“. „Das einzige, das wirklich hilft, ist eine Wiederbelebung des Marktes.“ 

Michèle Sinner
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