Berufsausbildung

Ein Schritt vor und zwei zurück

d'Lëtzebuerger Land du 03.01.2008

Das neue Jahr hat erst begonnen, doch eines steht jetzt schon fest: Für Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres wird es nicht einfach werden. Pünktlich zum Heiligabend legte der Staatsrat sein Gutachten zur Reform der Berufsausbildung vor: ein Weihnachtsgeschenk sieht anders aus.

Obwohl die Regierung ihren ursprünglichen Gesetzentwurf im Oktober nachgebessert hat, ist das hohe Gremium nicht zufrieden. Insgesamt sei mehr Wert auf Strukturen als auf Lehrinhalte gelegt worden, bedauert der Staatsrat und fordert wesentliche Nachbesserungen. Das Vorhaben, die „10e plein temps“ und das bei Unternehmen unbeliebte „Certificat d‘initiation technique et professionnelle“ (CITP) abzuschaffen und durch das praktischorientierte „Certificat de capacité professionnelle“ (CCP) als Basisausbildung zu ersetzen, wird zwar grundsätzlich begrüßt. Ebenso die Idee, den berufsbezogenen Unterricht künftig nachModulen zu organisieren. 

Dreh- und Angelpunkt für eine verbesserte Berufsausbildungmuss laut Staatsrat allerdings die berufliche Orientierung sein. Die sei schlicht ungenügend. Wie im Mai 2002 die OECD in ihrem Bericht zum Orientierungswesen, fordert der Staatsrat daher, die bestehenden Strukturen zu überprüfen und besser zu koordinieren.Große Bedenken äußert er zudem hinsichtlich der Technikerausbildung. 

Um die Berufsausbildung nach oben durchlässiger zu machen und den hohen Durchfallquoten zu begegnen, plant das Unterrichtsministerium, den Techniker künftig stärker an die Berufsausbildung zu binden. Das ist auf starke Kritik der Lehrer-gewerkschaften gestoßen, die sich gegen das geplante Schlussexamen für weiterführende Hochschulstudien wehren, weil sie darin eine Abwertung des Technikers sehen. Aufgrund des massiven Widerstands und weil der Vorschlag „aurait pour l’effetde bouleverser l’ensemble de paysage de l’enseignement technique“,schlägt der Staatsrat vor, die Pläne ganz fallen zu lassen oder in einem zweiten Anlauf, bei einer allgemeinen Reform des Sekundarunterrichts, anzugehen.

Damit reiht sich der Staatsrat in die Phalanx derer ein, die zwar laut eine Grundsatzreform fordern, aber wenn es darum geht, alte Gewohnheiten und bestehende Strukturen radikal zu hinterfragen, das Ganze doch lieber auf unbestimmte Zeit verschieben. Die Berufskammern haben in ihren Zusatzgutachten vom Jahresendedie Änderungsvorschläge der Regierung zwar begrüßt, sie gehen ihnen aber nicht weit genug. Die Angestelltenkammer will den CCP als Teil der Initialausbildung, die Handwerkskammer droht gar mit einer Fundamentalopposition, sollte die Ausbildung der Basisausbildung zugeschlagen werden. Einigkeit besteht darin, die berufliche Orientierung neu zu organisieren – eine Forderung,auf die sich die Regierung (noch) nicht einlassen will. Die Ministerinhatte lediglich erklärt, dies in einem zweiten Schritt angehen zu wollen. Offenbar fürchtet sie Konflikte mit den schulpsychologischen Diensten und mit dem Arbeitsministerium.

Auf Dauer wird der Regierung aber kaum etwas anderes übrig bleiben: Verlässliche Zahlen fehlen zwar, doch die Orientierung nach unten und der damit verbundene negative Blick auf die Berufsausbildung als quasi letzte Option für all jene, die dasGymnasium nicht schaffen, gelten seit langem als zentrales Problem.Andererseits: Den Einfluss der Berufswelt auf die Orientierung zu erhöhen, hilft da nur wenig, schließlich können Schüler kaum dazu gezwungen werden, ungewünschte Laufbahnen einzuschlagen. Zudem ist die Orientierung in Luxemburg wesentlich für die soziale Selektion verantwortlich. Eine rein formale Reform dürfte das Grunddilemma des Schulsystems kaum beheben. Der abwertendeBlick sei ein gesellschaftliches Problem, hatte Paul Krier vonder Handwerksammer festgestellt. 

Eben deshalb will die Regierung die Techniker- und die Basisausbildung neu strukturieren: Die Berufsausbildung soll nach oben durchlässiger und dadurch attraktiver werden. Dann wäre Schluss mit dem Sackgassengefühl, sobald sich jemand für eine Lehre entscheidet. Bei entsprechenden Leistungen stünde der Weg zum Fachstudium offen. In diesem Sinne wäre es allerdings nur konsequent gewesen, wenn das Unterrichtsministerium den Meisterbrief mit berücksichtigt hätte.

Eines wird jedenfalls überdeutlich: Weil verlässliche Zahlen fehlen, tut sich die Regierung sehr schwer damit, die von ihr gesetzten Schwerpunkte zu rechtfertigen. Externe, unabhängige Expertenmeinungen fehlen. So geschieht, was man in hiesigen Bildungsdiskussionen allzu oft beobachtet: Der angeblich große Wille zur Modernisierung entpuppt sich bei näherem Hinsehen als zweitrangig gegenüber lobbyistischen Interessen von Berufsverbänden und Gewerkschaften. Eine echte Diskussion,wie die Berufsausbildung sinnvoll und effektiv verbessert werden kann, findet nicht statt. Die politischen Parteien halten sich zurück. Lediglich die Grünen haben im September ein Grundsatzpapier zur Berufsausbildung vorgelegt, große Visionen sucht man allerdings auch dort vergeblich. Die Gesamtschule, eigentlich eine Kernforderung der Grünen, taucht nur in einem Nebensatz auf. So liegt der Ball wieder beim Unterrichtsministerium. Wenn von dort nicht klare Zeichen kommen, ist der angebliche Konsens für eine Grundsatzreform der veralteten Berufsausbildung bald zerredet. Wenn es ihn überhaupt je gegeben hat.

Ines Kurschat
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