Privatschule Sainte-Sophie

König Mammon

d'Lëtzebuerger Land vom 27.08.2009

Die Privatschule Sainte-Sophie kommt nicht zur Ruhe. Zwei Wochen ist es her, dass die katholische Traditionsschule für Schlagzeilen sorgte. Der Grund: Zum dritten Mal in Folge hat die Direktion langjährige Mitarbeiterinnen auf die Straße gesetzt.Diesmal trifft es vier Lehrer aus dem Sekundarunterricht, in den Fächern Mathe, Zeichnen, Französisch und Wirtschaft. Vor allem die Umstände erhitzen die Gemüter: Das Kündigungsschreiben kam mit der Post, ein Vorabgespräch mit der Direktion über den Abbau hat es nicht gegeben. Dabei waren mindestens zwei der Betroffenen schon über 20 Jahre im Dienst – und hatten bis dato nie Beschwerden erhalten. Spätestens bei den Notenkonferenzen muss klar gewesen sein, dass weitere personelle Einschnitte folgen würden. Erst als die Entlassungen öffentlich wurden, weil sich eine Lehrerin der Presse mitteilte, nahm Verwaltungsratspräsident Albert Hansen Stellung und behauptete, sie seien sehr wohl begründet. Zudem erklärte er den verdutzten Zuhörern, neben den vier Entlassungen würden für das kommende Schuljahr 15 neue Lehrer eingestellt. 

Ein Blick auf das Kündigungsschreiben aber zeigt, Gründe zu den Entlassungen wurden nicht genannt. Vom Land dazu befragt, betonte Schuldirektor Alain Simonelli sogleich, die Entlassungen seien „arbeitsrechtlich korrekt“ und aus „wirtschaftlichen Gründen“ erfolgt. Schrumpfende Schülerzahlen und zu kleine Klasseneffektive im Sekundarschulunterricht hätten „keine andere Wahl“ gelassen.Das Argument der wirtschaftlichen Klemme bemüht die Direktion nicht zum ersten Mal. Schon im Vorjahr waren Land-Recherchen zufolge Lehrkräfte entlassen worden, darunter eine mit 15 Jahren Schulzugehörigkeit. Die Kündigung erfolgte stets mit demselben formelhaften Brief, unterschrieben von Schulleiter Alain Simonelli und Präsident Albert Hansen – und ohne Angabe von Gründen. Laut Gesetz muss der Arbeitgeber den Kündigungsgrund nur noch auf Anfrage nennen. Allerdings ist es nicht verboten, die betreffende Person im Vorfeld zu informieren – wovon die Direktion absah. Man habe „schlechte Erfahrungen“ gemacht, begründet Simonelli den unpersönlichen Stil. Lehrer hätten sich, in böser Vorahnung, krankschreiben lassen, um so einer Kündigung zu entgehen. 

In einem Fall kam die Antwort per Anwaltsschreiben: Die Schule „a dû procéder à des mesures de rationalisation“, steht in dem vierseitigen Brief, der dem Land vorliegt. „Du fait que les subventions sont nettement inférieures pour les chargés de cours, il en résulte que vos prestations sont en quelque sorte plus ‚coûteuses’ pour l’école“, so die kühle Kosten-Nutzen-Rechnung. Für diplomierte Lehrer überweise der Staat 90 Prozent „du coût d’élève“, für nicht-diplomierte Lehrpersonen dagegen lediglich 40 Prozent. Wegen sinkender Schülerzahlen sei man gezwungen, Stellen abzubauen. 

Ähnlich angespannt ist die Lage im Sekundarschulunterricht. Laut Alain Simonelli ist die Zahl der Einschreibungen im technischen Lyzeum zwar „um 30 Prozent gestiegen“, für den Classique aber gilt der gegenläufige Trend. Im Blog von RTL Radio, das die Geschichte als erste aufgegriffen hatte, beschweren sich Schüler einer 3e classique, mit dem Jahreszeugnis erst unmittelbar vor den Ferien informiert worden zu sein, dass die 2e gestrichen sei und sie sich eine neue Schule suchen müssten. Eine 7e classique, die für dieses Jahr vorgesehen war, musste mangels Einschreibungen entfallen, so die Schulleitung. Die kurze Anmeldefrist, bis Ende Juni, begründet Simonelli damit, „Eltern die Chance zu lassen, ihre Kinder gegebenenfalls noch anderswo einzuschreiben“. Die „Aufregung“ über die vier Entlassungen in der katholischen Schule – davon „drei mit reduzierter Tâche“ – kann Simonelli nicht ganz verstehen, schließlich treffe es andere Arbeitnehmer ungleich härter, „siehe Duscholux und Villeroy [&] Boch“.

Mit der Konjunkturkrise aber hat der rigide Sparkurs der ehemaligen Nonnenschule wirklich nichts zu tun. Ursache ist vielmehr ein millionenschwerer Schuldenberg, den die Sainte-Sophie angehäuft hat. Und zwar nicht erst seit Sommer 2008, als die Banken zusammenbrachen, sondern mindestens seit 1995 (ab da sind die Bilanzen im Memorial einsehbar). 1995 betrug das Defizit 94 250 573 Franken, das sind rund 2,3 Millionen Euro. Fünf Jahre später klaffte ein Loch von 4,1 Millionen Euro. Und im Jahr 2007 belief sich der Schuldenberg auf sage und schreibe 7,1 Millionen Euro. Dass kleinere Klassen und niedrigere Schülerzahlen sich negativ in der Geschäftsbilanz niederschlagen, ist logisch. Denn staatliche Subventionen werden nach dem Privatschulgesetz von 2003 pro Schüler gerechnet. Ergo bedeuten weniger Schüler auch weniger Geld. Schließlich kann es nicht die Aufgabe des Steuerzahlers sein, für Luxus-Miniklassen in einer Privatschule aufzukommen. 

Die Sainte-Sophie ist nicht die erste katholische Einrichtung, die auf Rentabilität setzt und ihre Geschäfte konsolidiert, sie hat dafür sogar eine Ökonomin angestellt. Der Trend zum Outsourcing, weg von Laien-Schwestern hin zu Anzugträgern mit Ökonomie-Diplom in der Tasche, betrifft auch den Kranken- und Pflegebereich und vollzieht sich europaweit. Allerdings kommt der Kurswechsel recht spät. Denn Warnungen vor der „Durststrecke“ (Simonelli) gibt es schon länger. Dem Land liegen Sitzungsberichte von 2004 vor, in der die Personaldelegation der Sainte-Sophie den „manque de fermeté et de rigeur de la part de la direction“, die interne Kommunikation und Organisation anprangerte und vor sinkenden Anmeldungen warnte. Auch die Streichung von drei Urlaubstagen wurde bemängelt.

Damals war Jean-Paul Nilles noch Direktor – und heftig umstritten. Sein launischer Führungsstil führte zu zahlreichen Klagen sowohl von Lehrern wie Eltern. Legendär seine Wutausbrüche, von denen einer dazu geführt haben soll, dass geschockte Eltern die Einschreibungsprozedur abbrachen. Gute Eigenwerbung sieht anders aus. Auch in Sachen Finanzen hatte der Direktor kein glückliches Händchen. Ein von ihm ins Leben gerufenes Musikerziehungsprogramm scheiterte wegen mangelhafter Organisation und, das legt eine Notiz im Sitzungsbericht nahe, fehlender finanzieller Transparenz. Die angeheuerten Musiker mussten ebenso überraschend den Hut nehmen, wie sie eingestellt worden waren. Im öffentlichen Gedächtnis hat sich besonders der Rauswurf von 19 Schülern eingebrannt, deren Eltern mangelnde „Loyalität“ vorgeworfen wurde. Der Gipfel der Eskalation war erreicht, der gute Ruf dauerhaft lädiert. Bald darauf verschwand Nilles auf Nimmerwiedersehen. 

Das tiefe Misstrauen zwischen Schulleitung und Teilen der Lehrerschaft ist aber nicht bereinigt. Die Stimmung ist, wieder einmal, auf dem Nullpunkt. Öffentlich Stellung zu beziehen, trauen sich die wenigsten, aus Angst, als Nächste ihren Job zu verlieren oder ihre Rechte in erbitterten Schlammschlachten vor Gericht erkämpfen zu müssen. 2004 hatte Nilles Lehrkräfte vor die Tür gesetzt – aber nicht aus ökonomischen Gründen: Einer wurde vorgeworfen, sie habe Schülerinnen sexuell belästigt und sich rassistisch geäußert. Beweise für die schweren Anschuldigungen gab es nicht, die Schule wurde vom Arbeitsgericht wegen „licenciement abusif“ verurteilt. Kollegen von früher sind noch heute fassungslos „über die Lügen“ – der Lehrer ist seit drei Jahren arbeitslos.

Im Februar 2006 beschwerte sich die Personaldelegation bitter darüber, „que le moral des enseignants est au plus bas à cause de l’ambiance qui règne dans l’établissement suite notamment aux trois licenciements effectués dans un délai de deux mois et aux nombreuses convocations chez la direction“. Lehrer seien des Blau-Machens verdächtigt worden, obwohl sie brav in ihren Klassen unterrichteten. Im Streit um Gehälteranpassun­gen kritisierte die Personaldelegation, „les salaires n’avaient plus été adaptés à cette évolution sans que les instances dirigeantes aient ressenti le besoin d’en informer le personnel“.

Vielleicht fährt die jetzige Direktion eine neue Taktik, um (zu) teures Lehrpersonal abzubauen, unken einige „Hinterbliebene“ sarkastisch. Andere werfen der Schule vor, Lehrer nach und nach zu entlassen, „fir nëmme kee Sozialplang mussen ze maachen“. Es sei „eine Atmosphäre wie in einer Firma. Was hat das noch mit christlichen Werten zu tun?“, empört sich eine Lehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will. Sogar von Mobbing ist die Rede. Dass Direktion und Verwaltungsrat die Entlassung via simplen Brief mit befürchteten Krankmeldungen rechtfertigen, kränkt viele zutiefst: „Jedes Jahr die Ungewissheit zu haben, ob noch genügend Arbeit da ist oder nicht, macht auf Dauer krank.“ Dass Lehrer den parallelen Ausbau der französischen Sektion argwöhnisch betrachten, kann man ihnen unter diesen Umständen kaum verdenken.

Zumindest offiziell hat die Schule aber keinen Richtungswechsel vor. Schulleiter Simonelli betont im Gegenteil, „ganz sicher nichts machen zu wollen, was auf Kosten eines anderen Schulzweigs geht“. Die Schule stehe besser „auf drei Säulen – Luxemburger Primär- und Sekundarunterricht und frankophoner Primärschule“ als auf zwei. Unübersehbar ist aber, dass das Angebot in der luxemburgischen Sektion über Jahre geschrumpft ist. An den allgemeinen Schülerzahlen kann es nicht liegen, die nehmen zu, der Staat baut weiter Lyzeen. Deren Angebote sind jedoch kostenlos – und bieten Kontinuität: Normalerweise müssen die Schüler nach der 3e nicht plötzlich die Schule wechseln. 

Eine Spezialisierung vor allem auf das französische System wäre für die Sainte-Sophie auch nicht ohne Risiko: Ihren guten Ruf hat die 400-jährige Privatschule, in besseren Tagen, mit den Luxemburger Sektionen aufgebaut. Auch das französische Lycée Vauban baut aus – die Konkurrenz um frankophone Schüler wird sich demnach verstärken. Ob Eltern, gleich welcher Nationalität,  ihre Kinder in eine gebührenpflichtige katholische Privatschule geben wollen, die wiederholt für Negativschlagzeilen sorgt und beliebte Pädagogen ganz unchristlich sang- und klanglos in die Arbeitslosigkeit entlässt? Wohl eher nicht. 

Ines Kurschat
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